Nachruf: Dr. Erich Ritter, ein Schweizer als Haiforscher in den USA

Dr. Erich Ritter studierte als erster Biologe in USA das Verhalten der Haie in ihrem Lebensraum

Als ich im Februar 2000 den Auftrag bekam, als UW-Kameramann eine Dokumentation der ARD über den Haiforscher Dr. Erich Ritter in Miami und auf den Bahamas zu begleiten, gefiel mir die Aufgabe, auch wenn ich nicht wusste, wer Erich war und was er so machte. Die Redakteurin Dr. Angelika Sigl war auf jeden Fall ein Garant für eine spannende und anspruchsvolle Story.  

In Miami trafen wir uns dann das erste Mal. Erich war freundlich aber eher zurückhaltend. Warum zurückhaltend erfuhr ich später, das hatte nichts mit uns als Team zu tun.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Erich allein, ok, das stimmt nicht ganz, sein bester Freund war sein kleiner Hund, der ihm alles bedeutete. Das kann ich verstehen, denn er hatte es nicht leicht in der US-amerikanischen Wissenschaftsszene, die sich auf die Haiforschung spezialisiert glaubte.

Deren Meinungen und Ansichten entstammten der Sektion toter Tiere und nicht auf Beobachtungen in ihrem Lebensraum. Und so wurde er von der Haiforscherlobby vor Ort angefeindet, zumal er gar kein Amerikaner war, sondern ein in Zürich geborener Schweizer, den die Universität, an der er lehrte, an eine Uni in New York ausgeliehen hatte. Das war natürlich kein Zufall…

Für Erich stand auf alle Fälle fest, dass er keinesfalls mehr an der Uni in Zürich lehren sondern langfristig in den USA seinen Forschungen nachgehen wollte, wie er mir anvertraute. Zu diesem Zeitpunkt musste er seine Absichten und Zukunftspläne noch hinter vorgehaltener Hand äußern.

Dass sich nur wenige Jahre später sein Leben auf den Kopf stellen würde, weil sein Freund Gary Adkinson, mit dem er zusammen so viele Forschungstauchgänge und Projekte auf Walkers Cay machte, Mist gebaut hatte, den er fast mit seinem Leben bezahlt hätte, war damals keinesfalls absehbar.

Miami war für uns mehr oder weniger eine Trockenübung. Wir trafen Erich in seinem Haus, besprachen das Projekt, er führte uns zu einem Freund, der ein eindrucksvolles Privatmuseum zum Thema Haie eingerichtet hatte. Ich streckte mich durch das geöffnete Gebiss eines Weißen Hai und stellte fest, der Kamerad hätte mich locker zum Frühstück inhalieren können.

OK, es warteten auf uns in erster Linie Schwarzspitzen Riffhaie, Bullenhaie, Zitronenhaie und Ammenhaie. Summa Summarum können sie dir alle den Tag vermiesen, wenn es blöd läuft. Ja, auch Ammenhaie sind keine drögen Kuscheltiere. Hat sich einer in dich als Zwischenmahlzeit verliebt und sich an dir festgesaugt, lässt er auch nicht ab, wenn du mit ihm zusammen aus dem Wasser gehievt wirst.

Das erklärte uns Erich in lockerer Form, die den Respekt vor den Haien stets deutlich machte. Haie sind keine Kuscheltiere, man muss sie lesen können.

Die Bahamasinsel Walkers Cay ist schon lange Vergangenheit. Als Insel gibt es sie noch, aber ein gewaltiger Hurrikan hatte sie schon vor Jahren platt gemacht. Sie ist eine Privatinsel und gehört dem Erfinder des Sprayflaschen Sprühkopfs bzw. seinen Erben. Hafen, Hotel und Tauchbasis sind nicht mehr intakt. So ist Walkers Cay nun rundum ein unberührtes Haiparadies, das nicht mehr durch Menschen gestört wird.

Wie Erich auf Walkers Cay als Zentrum seiner Feldforschung an Haien aufmerksam wurde, ist mir entfallen. Auf alle Fälle hatte er den Leiter der dortigen Tauchbasis, Gary Adkinson, auf seiner Seite. Und sie erfanden eine coole Anfütterungsmethode für Haie, mit deren Hilfe die Rangordnung in einem Hairudel erkennbar wurde. In einem mit Wasser gefüllten Eimer wurden Fischreste eingefroren und unter Wasser gebracht. Fischeis lockte das Rudel der Schwarzspitzen Riffhaie an und der Punk ging ab, sorgfältig beobachtet und in den Einzelheiten im Video festgehalten von Erich Ritter.

Ganz klar, dass man als Beobachter von den Haien angerempelt wurde, die das Leckerchen ausgemacht hatten, Hunde machen es genauso, folgen sie ihrer Nase einer verlockenden Duftspur. Nur, was ist zu tun, wenn der Spuk vorbei ist?

Da hatte uns Erich vorab Ergebnisse seiner Feldforschung als Verhaltenskodex vermittelt. Achte auf den Hai, beobachte ihn, wenn er auf dich zukommt, macht er einen Katzenbuckel stelle dich quer, dann erkennt er deine Größe und vergisst seinen Appetit.

Und das kam unter Wasser bei den Dreharbeiten zur Anwendung und schaue ich an mir herab, es funktionierte. Da hatte Erich wirklich gute wissenschaftliche Arbeit geleistet.

Was Erich nicht ahnen konnte, war die Neigung zu Diebstahlsdelikten bei Zitronenhaien. Es war ein Dreh angesagt, bei dem Erich und Gary nach Sonnenuntergang im Flachwasser stehend sich von Haien umschwimmen lassen wollten. Natürlich mit Köderfischfutter angelockt. Ich hatte meine Kamera unter Wasser auf einem dort befindlichen Betonsockel installiert, mit reichlich Blei behängt und mit eingeschalteter Lichtanlage.

Wissenschaftlich bis heute ungeklärt ist die Tatsache, warum sich Zitronenhaie stets von hinten an das Objekt ihrer Begierde annähern. Wo bitteschön ist für Zitronenhaie bei einem großen UW-Kamerasystem hinten und vorne? Egal, darüber sinniert im Detail ein Zitronenhai nicht, er beißt hinein und verschleppt das Teil, völlig mühelos. Ich gestehe, ich sah dem ganzen vom Trockenen aus ziemlich ungläubig zu.

Und Erich stand mit Gary zusammen staunend im Wasser, umringt von nicht so diebischen Haien.

Weil es Nacht war, das Kameraequipment mit eingeschalteter Lichtanlage entführt worden war, konnte es im Riff lokalisiert und geborgen werden. Die Hoffnung auf Szenen, gedreht von einem Hai, wurde dann in der Tauchbasis am Monitor zerstört, der Dieb traf mit einem seiner vielen Zähne auf den Hauptschalter der Kamera. Aus.

Auch wenn das alles für die Zuschauer einer Primetime Doku der ARD mit inhaltlich hohem Anspruch im Jahr 2000 ganz interessant ist, war vieles informativ einfach oberflächlich. Und das wollte die Redakteurin Dr. Angelika Sigl hinterfragen. Doch da mauerte Dr. Erich Ritter. Ja, ein Stück weit ließ er uns auflaufen. Das Projekt stand auf der Kippe. Abbruch der Dreharbeiten stand im Raum.

Im gemeinsamen Gespräch vermittelte ich Erich, dass das, was er in die Produktion einbrachte, nicht dafür ausreichen würde, das hochwertige Format in der ARD zu bedienen. Er wiegelte ab, er würde an der Produktion nichts verdienen, US – TV Formate würden ihn gut bezahlen und da kann er uns gegenüber nicht alle Karten auf den Tisch legen.

Eine ARD Doku mit offenen Karten, die in USA ohnehin keiner gesehen hätte, wäre ein echtes Vermächtnis für den Film: DER MIT DEN HAIEN SPRICHT. So ist es halt nur eine Beobachtung geworden.

Trotz allem war Erich noch eine Weile als Haiexperte für unser Magazin UnterWasserWelt präsent, aber weil sich da keine US – üblichen Honorarrahmen ergaben, schlief das auch ein.

Erichs Tiefpunkt war der Moment, als er auf Walkers Cay ufernah im Wasser stehend ein TV – Interview gab. Es musste nicht nur inhaltlich sondern auch beim Geschehen im Wasser um ihn herum prickelnd sein. Da sollten Haie hautnah zu sehen sein und seine Theorie untermauern, dass ruhiges Verhalten Konflikte mit Haien ausschließt.

Doch Gary Adkinson wies die am Ufer stehenden Mitarbeiter an, die Futterbrocken für die Haie so nah wie möglich bei Erich ins Wasser zu werfen. Eine unglaubliche Dummheit. Im Gerangel um die Futterbrocken drängten sich die Tiere auch zwischen Erichs Beinen hindurch und eines nahm seine Wade als Leckerchen mit.

In einer vielstündigen Operation in Miami wurde Erich das Leben und das Bein gerettet.

Nach dem Vorfall verschwand Gary Adkinson in der Versenkung. Er wusste natürlich um seine Schuld.

Sharkprojekt wurde danach von Gerhard Wegner gegründet, der von Erichs Unfall sehr betroffen war. Erich konnte hier Einkünfte generieren, was wichtig war, weil sich mit dem Unfall seine Lebensumstände völlig verändert hatten. Denn, ein von einem Hai angefressener  Haiforscher hat in den USA kein Standing mehr. Seine Verträge mit TV Sendern waren weg, die Uni in New York wollte ihn zurück in die Schweiz delegieren und Erich wollte nicht mehr zurück nach Europa.

Stelle bleibe ich lieber oberflächlich, denn wie heißt es so traditionell: De mortuis nil nisi bene. Hier sei nur Gerhard Wegner zitiert, was er in facebook schrieb: Erich ist tot. Unfassbar.

Leider haben wir es nicht mehr geschafft, uns zu versöhnen.

Sein Leben nach dem Unfall auf Walkers Cay nahm eine Wende, die ihn nie mehr seinen Träumen und Leidenschaften allein wissenschaftlich folgen lassen konnte. Step for Step hätte er es als populärwissenschaftlicher Moderator in die US Medien geschafft, ihm fehlte schlicht ein Manager. Erich war nicht der Typ, der etwas aus der Hand geben wollte, gerade auch nach der Erfahrung, die er mit Gary gemacht hatte.

Im Rahmen der von ihm gegründeten Sharkschool hatte er zumindest die Möglichkeit weltweit Workshops und Seminare zu veranstalten, nicht nur in der Inselwelt der Bahamas. So brachte ihn und Sharkschool die Kooperation mit einem deutschen Tauchreiseveranstalter an die schönsten Ziele, an denen man garantiert auf Haie treffen konnte.

Und mit der Doku „Der mit den Haien spricht“ hatten wir Erich dann in der ARD dem deutschen Publikum vorgestellt, vor 20 Jahren…

OK Erich, wo du nun tauchst oder als leidenschaftlicher Pilot auch fliegst, du hast dich einfach davon geschlichen, das ist doch nicht deine Art. Pass dort auf dich auf und grüß mir die Haie.

  Michael Goldschmidt