Sabine Kerkau: Nicht machbar oder, ein Tauchgang an der Prezidentas Smetona

Sabine Kerkau auf dem Weg, das Unmögliche zu versuchen

Jeder Wracktaucher hat seinen „Mt. Everest“, ein Wrack, das er unbedingt einmal betauchen möchte. Der ganz persönlicher „Gipfel“ meiner Tauchkariere war die HMHS Britannic, dachte ich jedenfalls. Bis…. die Prezidentas Smetona ins Spiel kam. Unmöglich habe ich schon öfters gehört und dann war es doch möglich. Aber in diesem Fall? Sollte es gelingen, das „un“ aus diesem Wort zu streichen?

Vor knapp zwei Jahren hörte ich zum ersten Mal von der Prezidentas Smetona. Ein Wrack mit einer grossen historischen Bedeutung für Litauen, handelt es dich hierbei doch um das Wrack des ersten und einzigen Kriegsschiffes, das Litauen in den Jahren der Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1940 besass.

Die Prezidentas Smetona wurde 1917 in Deutschland gebaut. Das Schiff diente in der Deutschen Marine als Minenleger und wurde 1922 an eine Pariser Firma verkauft. 1927 wurde es von Litauen übernommen. Der einstige Minenleger wurde aufgerüstet und bekam den Namen Prezidentas Smetona, nach dem ersten Präsidenten der jungen litauischen Republik. 1940 ging die Prezidentas Smetona als Kriegsbeute in den Besitz der russischen Marine über. Das Kriegsschiff wurde abgerüstet und wieder als Minenleger eingesetzt. Es wurde in Otlichnik und später in Korall umbenannt. 1945 sank die Korall vor Tallinn, sie lief vermutlich auf eine Mine.

Der Traum eines jeden litauischen Tauchers ist es, dieses Wrack einmal mit eigenen Augen zu sehen. Auch meine Kollegen vom Baltic Sea Heritage Rescue Project waren da keine Ausnahme. Sie erzählten mir, dass bisher niemand an dem Wrack getaucht habe und selbst das Archäologische Institut der Universität Klaipeda keine Genehmigung für einen Tauchgang erhalten hätte. Was soll ich sagen, solche Aussagen haben mich noch nie abgeschreckt, sie spornen mich eher an, das unmögliche zu versuchen.

Zunächst nahm ich Kontakt mit Professor Zulkus vom Archäologischen Institut der Universität Klaipeda auf. Er war gerne bereit, mein Vorhaben mit einem Empfehlungsschreiben zu unterstützen, machte mir aber wenig Hoffnung, dass ich erfolgreich sein könnte. Dann setzte ich mich mit einigen Tauchshops in Estland in Verbindung und bekam ganz unterschiedliche Antworten. Von „kein Problem“ bis „unmöglich“ war alles dabei. Am Ende kam ich auf diesem Weg nicht weiter.

Auf der EUROTEK 2018 in Birminghan traf ich Immi Wallin, eine Finnin, die mit ihrer Firma Subzone für Firmen, Museen, Behörden und viele mehr nach Wracks und archäologisch bedeutsamen Objekten im Golf von Finnland sucht. Immi und ich kennen uns schon einige Jahre und ich weiss, dass sie nie mit „Hobby Tauchern“ arbeitet. Deshalb hatte ich sie bis dahin auch nicht um Hilfe gebeten.

Auf der EUROTEK waren wir beide als Sprecher eingeladen und, wie es der Zufall wollte, teilten wir uns ein Hotelzimmer. Das gab mir die Gelegenheit, in Ruhe mit ihr über mein Vorhaben zu sprechen. Ich hatte Glück, Immi kannte das Wrack und die Bedingungen am Tauchplatz. Sie erklärte mir, was nötig wäre um einen Tauchgang am Wrack der Prezidentas Smetona (Korall) durchzuführen. Zuerst würden wir eine Genehmigung brauchen, denn das Wrack ist ein Kriegsgrab, steht unter Denkmalschutz und das wird streng überwacht. Das wäre allerdings kein grosses Problem, wenn Immi sich entscheiden sollte, dieses Projekt mit mir gemeinsam durchzuführen. Als zweites würden wir eine Safety Zone um den Tauchplatz benötigen, denn das Wrack liegt genau da, wo sich die zwei am stärksten befahrenen Schifffahrtsstrassen vor Tallinn kreuzen.

Die Safety Zone zu bekommen, erfordert die Unterstützung von starken Partnern. Bisher wurde sie noch nie erteilt. Immi liebt wie ich die Herausforderung und ihr Interesse war geweckt. Wir einigten uns, dass sie sich in Finnland und Estland um Unterstützung bemühen wollte und dann einen Antrag auf eine Safety Zone stellen würde. Die Genehmigung am Wrack zu tauchen stellte kein Problem dar. Immi ist im Besitz einer Generalvollmacht für fast alle Wracks im Golf von Finnland, einschliesslich der Prezidentas Smetona (Korall).

Die Monate vergingen. Immi hatte sich entschieden, die Expedition über ihre Firma Subzone zu organisieren. Dank Immi wurden wir inzwischen nicht nur vom archäologischen Institut der Universität Klaipeda sondern auch vom Estomian Heritage Board unterstützt. Wir hatten als möglichen Zeitraum für die Tauchgänge an der Prezidentas Smetona Mitte Juli festgelegt.

Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn Ende Juni hatten wir immer noch kein OK für die Safety Zone. Unser Antrag war inzwischen bis zur estländischen Marine hochgereicht worden. Dann endlich, Anfang Juli kam die erlösende eMail von Immi. Wir hatten das OK für die Safety Zone. Man erlaubte uns einen Tauchgang. Für eine Dauer von nicht mehr als 6 Stunden durften wir zwischen dem 15. Und 20. Juli 2019 eine Safety Zone in Anspruch nehmen.

Die Genehmigung der Sicherheitszone war an ein paar Bedingungen geknüpft. Zum einen durfte Immi nicht mit ins Wasser, sie musste die ganze Zeit am Funkgerät bleiben. Ausserdem wurde uns genau vorgeschrieben, bis zu welcher Windstärke wir den Tauchgang durchführen durften und einiges mehr.

Und wieder hiess es warten und die Wetterprognosen studieren. Wir hatten ein Zeitfenster von sechs Tagen. Wenn es in diesem Zeitraum nicht möglich sein würde den Tauchgang zu machen, dann war alles vergebens. Wer die Ostsee kennt, der weiss wie launisch sie ist! Eine sichere Vorhersage für mehrere Tage ist unmöglich. Unsere Genehmigung galt ab Montag dem 15. Juli. Donnerstag davor sah es für Montag gut aus. Einen Tag später sagte die Vorhersage nur für Freitag den 19. geeignetes Wetter vorher und so änderte sich die Prognose fast stündlich. Rolandas Schön, Linas Duoblys und ich warteten in Klaipeda, Litauen, Tom Baier und Stefan Pape in Deutschland und Immi Wallin in Finnland auf eine stabile Wetterprognose, die uns den Tauchgang ermöglichen könnte. Doch statt besser wurden die Vorhersagen immer schlechter. Wir entschieden, uns am Mittwoch in Tallinn zu treffen und das erste mögliche Zeitfenster zu nutzen.

Immi kam Mittwochabend mit ihrem Schiff aus Helsinki. Sie informierte uns, dass laut aktueller Wettervorhersage der Freitag ein möglicher Tauchtag sein könnte. Vorsichtshalber bereiteten wir aber schon Mittwochabend alles für den Tauchgang vor.

Früh am Donnerstagmorgen rief uns Immi an und meinte, wir sollten so schnell es geht aufs Schiff kommen. Die Prognose hatte sich wieder einmal geändert und es sah aus, als könnten wir am Vormittag an der Prezitentas Smetona tauchen.

Und tatsächlich, der Wind hatte sich gelegt, die Sonne schien, ein perfekter Tag! Immi meinte wir könnten eine Ausfahrt versuchen. Es könne allerdings sein, dass die Bedingungen am Tauchplatz noch nicht optimal seien. Für Freitag sei die momentane Prognose besser. Wir entschieden, dass wir es versuchen wollten. Kurz vor unserem Ziel, der Position des Wracks der Prezidentas Smetona, stoppte Immi das Schiff und liess uns entscheiden, ob wir den Tauchgang wagen wollten. Tom, Stefan und ich wollten! Linas und Rolandas übernahmen den Support. Immi informierte die zuständigen Stellen, dass wir auf dem Weg waren und dass wir nun die Safety Zone in Anspruch nehmen wollten.

Am Tauchplatz legt Immi die Schottleine. In ihrem Briefing erklärte sie uns noch einmal, wie wichtig es sei, dass wir uns bei diesem Tauchgang an die vorgegebenen Regeln halten würden. Wir durften nicht in das Wrack hinein tauchen, nichts berühren, nicht einmal die Sedimentschicht auf dem Wrack beschädigen. Jeder von uns war mit mindestens einer Videokamera ausgestattet, die den ganzen Tauchgang laufen musste. Diese Filme und unsere Fotos müssten wir sofort nach unserer Rückkehr in Tallinn an eine Vertreterin des Estonian Heritage Board übergeben. Aus Sicherheitsgründen begrenzte Immi den Tauchgang auf höchstens drei Stunden. Tom sollte mit Stefan zuerst abtauchen. Immi würde mich 5 Minuten später zur Abstiegsleine bringen.

Die Bedingungen am Tauchplatz sind immer noch ziemlich rau. Rolandas und Linas sind mir bei den Vorbereitungen eine grosse Hilfe. Ohne sie hätte ich den Tauchgang nicht machen können.
Um uns herum herrscht reger Verkehr. Tanker, Container- und Kreuzfahrtschiffe fahren sehr dicht am Tauchplatz vorbei. Unsere Safety Zone gilt für 6 Stunden und ist um den Tauchplatz herum auf eine Kabellänge, ca. 180 Meter, beschränkt. Immi ist persönlich verantwortlich und sie muss die ganze Zeit am Funkgerät sein. Wir haben die strikte Anweisung unbedingt mit Kontakt zur Schottleine ab- und auftauchen.

Auch dass Immi uns überhaupt mitgenommen hat ist schon ein kleines Wunder, sie fährt sonst keine „Tauch-Touristen“. Doch das alles ist nichts gegen das, was uns unter Wasser erwartet. Schon auf ca. 15 Meter wird es dunkel und kalt. Die Sichtweite ist beeindruckend. Bereits aus 35 Meter kann ich klar das Blinklicht erkennen, das Tom an der Leine gesetzt hat. Bei 60 Meter erreiche ich das Wrack. Die Leine liegt in Höhe der Flybridge, etwa einen Meter von der Bordwand entfernt. Das erste was ich erkennen kann ist eines der Geschütze, es sieht sehr intakt aus.

Ich schwimme Richtung Brücke. Auch die Brückenaufbauten sind intakt. Schon von weitem sehe ich die Alarmklingel an der Aussenwand der Brücke. Im Inneren der Brücke lassen sich durch die Fenster und Türöffnungen der Maschinentelegraf, der Kompass und das Steuerrad erkennen. Alle Telefone hängen da wo sie hingehören. Es ist fantastisch. Ich umrunde die Brücke. Tom gibt mir ein Zeichen dass ich zu ihm kommen soll. Er hat den Vorhalterechner entdeckt und ist ganz aufgeregt. Hinterher erzählt er mir, dass er nur ein einziges Mal das Glück hatte, so etwas zu sehen und das war in einem Museum. Aber dieser hier ist nicht nur unglaublich intakt, es ist auch noch ein russisches Modell, etwas extrem seltenes.

Ich schwimme weiter Richtung Heck, entdecke diverse Munitionskisten für die Geschütze und befinde mich plötzlich auf der Flybridge. Was ich hier zu sehen bekomme, ist so unglaublich, dass ich meinen Augen kaum trauen kann. Alles ist da! Und der Zustand ist unfassbar. Sogar die Abdeckung vom Kompass liegt intakt auf dem Boden vor dem Kompass. Zwischen dem Steuerrad und dem hinteren Geschütz steht eine geöffnete Kiste mit Granaten und selbst die liegen noch fast geordnet in der Kiste.

Ich könnte noch Stunden an diesem Wrack verbringen, trotz der Kälte die sich langsam bemerkbar macht. Noch ein paar letzte Aufnahmen vom grossen Geschütz hinter der Flybridge, dann beginne ich mit Tom zusammen den Aufstieg. Es dauert lange bis es wieder hell wird. Das Wasser ist so kalt, dass meine Heizung fast nicht dagegen ankommt. Erst auf 12 Meter Tiefe merke ich endlich, dass sie funktioniert. Der Aufstieg ist begleitet von ständigen Schiffsschrauben – Geräuschen. Einmal, ich bin noch auf dem 21 Meter Stopp, ist es so laut, dass ich fast befürchte eines der riesigen Schiffe hat die Safety Zone nicht beachtet.

Die drei Stunden die Tom, Stefan und ich im Wasser sind, bedeuten für Immi harte Arbeit. Während unseres Tauchgangs fahren mehr als 20 grosse Schiffe am Tauchplatz vorbei. Jedes einzelne wird von der Trafic Control sechs Seemeilen vor erreichen unserer Position angefunkt, um sicher zu gehen, dass sie die Safety Zone einhalten. Ein unglaublicher Aufwand. Immi meint wir sind definitiv die ersten Taucher, die dieses Wrack mit offizieller Genehmigung betauchen und eventuell werden wir auch die letzten sein. Wäre das Estonian Heritage Board nicht so interessiert an unserer Dokumentation, dann hätten wir diese Safety Zone niemals bekommen.

Ich bin die letzte, die aus dem Wasser kommt. Tom und Stefan sind vom Wrack der Prezidentas Smetona ebenso beeindruckt wie ich. Dieses Wrack ist so gut erhalten und so vollständig, dass wir uns von ganzem Herzen wünschen, dass es so bleibt.

Zurück im Hafen treffen wir uns sofort mit einer Vertreterin des Estonian Heritage Board. Wir sichten unsere Bilder und Filme und übergeben alles an die Behörde. Die Abgesandte ist von unserem Material sehr begeistert.

Am nächsten Morgen hat sich das Wetter wieder einmal zum schlechteren verändert. Wir haben definitiv die Richtige Entscheidung getroffen, dass wir unsere Chance am Donnerstag genutzt haben.
Immi beschliesst zurück nach Helsinki zu fahren. Sie ist sehr zufrieden mit unserer Zusammenarbeit und eventuell gibt es im nächsten Jahr eine Fortsetzung.

Sabine Kerkau