Es ist stets berührend und traurig, wenn im Umfeld einer sportlichen Aktivität durch ein unvorhergesehenes Ereignis plötzlich aus Freude Trauer wird. Freizeit, Sport und Tod passen in einer schon lang vom Lebensüberschwang beseelten Vorstellungswelt nicht zusammen. Und passiert ein Tauchzwischenfall in Hemmoor, dann springt die Boulevardpresse von München bis Cuxhaven voll auf dieses Thema auf. Dabei werden reichlich dumme Klischees gebetsmühlenartig verbreitet, die dem Kreidesee einen tödlichen Makel anheften.
Mal ganz entspannt vorausgeschickt, beim traurigen Vorfall in Hemmoor am 5. August 2023 war das Magazin UnterWasserWelt unmittelbar vor Ort mit dem Chefredakteur und der Fachredakteurin für den Bereich Freitauchen / Apnoe. Eine große Veranstaltung für Freediver hatte uns wieder hoch in den Norden Deutschlands geführt, die durch das sehr bedauerliche Ereignis nachvollziehbar in Teilen an Leichtigkeit verlor.
Hemmoor als Synonym für Tod und Verderben, es wäre interessant, die Hintergründe dafür zu recherchieren und warum sich dieses Klischee so hartnäckig und unhinterfragt wohl in allen Boulevardredaktionen quer durch Deutschland per Tastendruck auf dem Bildschirm öffnen lässt. Hier hätte eine KI wohl schon längst ausgemistet, denn es gibt – schauen wir nur auf Zahlen – andere Seen in Deutschland und im benachbarten Österreich, die nicht nur tiefer als die 59 Meter des Kreidesees in Hemmoor sind, sondern weit mehr „Unfälle“ dort registriert wurden.
Wie wäre es mit dem Attersee, Walchensee, Bodensee, Starnberger See, Achensee? Da gäbe es noch einige mehr. Nein Hemmoor ist der Sündenbock, aber für was eigentlich? Dass in diesem wunderbaren See mit beispiellosen Sichtweiten in Deutschland getaucht wird?
Die Unfallstatistik für Hemmoor ist tatsächlich sehr unauffällig in Bezug auf die Menge der dort absolvierten Tauchgänge. Da sind in den im letzten Absatz erwähnten Seen weit mehr Taucher aktiv und aufgrund der erreichbaren Tiefen für extreme Aktivitäten vor Ort.
Aber als Schreiberling in der Tagesredaktion, meist ist es ein Volontär, wird gefordert, aus ein paar hingeworfenen Infos eine Menge X an Zeilen zu produzieren und eine knackige Überschrift, die auch den Gebrüdern Grimm gefallen hätte für den der auszog, das Grauen zu suchen….
Ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, dass ich mich von den Fakten des jüngsten Ereignisses, bei dem eine 30 Jahre junge Frau ums Leben kam, abwende. Ganz im Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass sich das Ereignis unter den Rahmenbedingungen der dort abgehaltenen Tieftauchausbildung auch in jedem beliebigen anderen See abgespielt hätte. Wobei Hemmoor mit seinen guten Sichtweiten ein Stresspunkt weniger angerechnet werden müsste.
Nein, wir beteiligen uns nicht an irgendwelchen Spekulationen und geben auch keine Informationen weiter, die wir unmittelbar vor Ort von uns gut bekannten Ersthelfern, in Rettungsmaßnahmen ausgebildeten Teilnehmern des Freitauchevents mit allen Hilfsmitteln zur Beatmung und Defibrillator, von Beobachtern und Insidern bekommen haben. Und nein, wir haben keine Fotos von den Rettungsfahrzeugen oder dem Hubschrauber gemacht und sind zumindest dahingehend entlastet, dass wir das ganze Geschehen zunächst noch vom Wasser aus beobachteten.
Die Rettungskette funktionierte tadellos, wohl weitaus besser, als an vielen anderen Seen. Hemmoor wird professionell von der dortigen Tauchbasis betreut, mehr geht nicht.
Wie stets werden nun von Polizei und Staatanwaltschaft alle Details und Fakten zusammengetragen. Die Tauchcomputer der jungen Frau und des Tauchlehrers müssen ausgewertet werden, die Menge der vorab absolvierten Tauchgänge für das Tieftauchbrevet am selben Tag, die Ausrüstung und deren Funktion, der Inhalt der Pressluftflasche. Mit hinein spielt die Frage nach dem für diese Aktivitäten üblicherweise erforderlichen Kälteschutz und was die junge Frau tatsächlich als Anzug getragen hatte. Die pathologische Nachschau ist ebenso bereits angeordnet.
Das alles hat also mit Hemmoor nichts zu tun.
Als Redaktion UnterWasserWelt haben wir in der Vergangenheit immer versucht, die Ergebnisse von Tauchunfällen im Starnberger See zu recherchieren. Die Ansprechpartner bei Polizei und Staatsanwaltschaft hätten dies auch gerne unterstützt, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen haben das aber stets verhindert.
Mir liegen hier über 40 Meldungen der Boulevardpresse zu diesem Ereignis vor. Es haben 80% voneinander abgeschrieben und Hemmor stigmatisiert, 20% sind über das Ziel weit hinausgeschossen und der Kreidesee wurde zum potentiellen Todessee. Weiter so „werte“ Kollegen, ARD und ZDF warten auf solche Fachkräfte.
Michael Goldschmidt
Screenshot TAGEBLATT.de