Editorial Oktober 2020

Theoretisch oder praktisch

Liebe Leserinnen und Leser,

theoretisch sind in Tauchsportmagazinen redaktionell letztendlich Verantwortliche intensiv dem Tauchsport in allen Varianten tief verbunden und können kompetent mitreden.

Praktisch ist das ein Wunschdenken, denn es gibt für die Position des Chefredakteurs in einem Tauchsportmagazin keine allgemein gültigen Anforderungen, die zum journalistischen Knowhow auch vom eigenen Tauchvermögen belegt werden müssen. Das ist so wie in der Politik, ein Minister muss vom ihm zugeteilten Resort keine Ahnung haben, die trichtern ihm Lobbyisten und teure Berater direkt ein, sobald er seinen (mein 😉 ) Eid geleistet hat. Das ist bedauerlicherweise auch hier in Deutschland so und in anderen westlichen Ländern  sieht es kaum anders aus.

Die Ansprüche, die ich immer an mich selbst habe, standen mir oft im Weg, um ein, mein Ziel zu erreichen. Warum, weil Mitbewerber um dieses Ziel nicht so anspruchsvoll waren sich selbst gegenüber. Und wer bekommt letztlich den Zuschlag? Der, der alles nicht so ernst nimmt und der, der dem die Entscheidung tragenden Verantwortlichen auf den ersten Blick keine Probleme bereiten wird.

Auf dieser Grundlage wird das Niveau von Projektentwicklungen und Entscheidungen immer weiter nach unten gezogen. Und das hatte im Tauchsport Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Grundstein gelegt, dass sich der Trend vom Boomsport Tauchen sukzessive ins Minus entwickelte. Anstatt nun kompetent gegenzusteuern, vertrauten Hersteller und Verbände auf die Illusion, dass es sich nur um eine Delle in der Entwicklung handelt. Doch die Delle wurde zum Tal und in dem verharrt der Tauchsport bis heute. Fehler wurden nicht analysiert, das auch mangels diesbezüglich geschulter Fachleute.

In mittlerweile allen Lebensbereichen haben die Medien mehr Einfluss auf die Gesellschaft, als die Politik. Und die lässt sich aus Angst, die nächste Wahl zu verlieren vorführen wie ein Stier am Nasenring. Nicht, dass die Journalisten mehr Ahnung zu allen Themen hätten, die auflagensteigernd wirken, aber das andauernde Bombardement mit leserängstigenden Meldungen trägt viel dazu bei, dass kaum noch gesunder Menschenverstand vertreten werden darf.

Gesunder Menschenverstand bedeutet für mich als Chefredakteur der UnterWasserWelt, kompetent – aus eigener Erfahrung – die im Magazin betreuten Themen beurteilen und veröffentlichen zu können.

Dabei ist für mich eine umfassende Ausbildung in allen Tauchsportbereichen vorausgesetzt. Dass  eine Qualifikation als Sporttaucher grundsätzlich erfüllt sein muss, steht sicher außer Zweifel. Doch das Tauchen im nicht kommerziellen Bereich hat viele weitere Facetten. So habe ich auch eine umfassende Ausbildung als Apnoetaucher und bin als technischer Taucher und Trimixtaucher zertifiziert. Über 3000 Tauchgänge in 36 Jahren mit Gerät sind erfasst, bis heute gab es im schwierigen Jahr 2020 allein 73 Freitauchsessions.

Nur vor dem Bildschirm rumhängen und altklug von vergangenen Tauchzeiten zu schwadronieren ist nicht meins. Und kommt mir – die boot in Düsseldorf ist da ein guter Treffpunkt – irgendein alter Dackel mit Cousteaumütze entgegen, dann biege ich gleich ab, das ist nicht meine Welt. Die Jungs sind am Klodeckel (Vorfahre der Tarierjackets) hängen geblieben und warten darauf, dass gleich Hans Hass ums Eck kommt, um sie zu adeln – oder runterzuspülen 😉

Daran krankt die Tauchsportszene insgesamt. Es gibt keine Protagonisten mehr, die mit ihrem Herzblut die Welt unter Wasser, auf welche Weise auch immer, erschließen, vermitteln, darauf neugierig machen. Das Gros der Tauchsportler ist 50++. Vereine sind überaltert, ein Mitglied nach dem anderen wird schrittweise in den passiven Status wechseln, Innovationen sind nicht in  Sicht. Das kann ich beurteilen, da ich mir aus eigenem Trainingsinteresse die Mitgliedschaft in zwei Tauchclubs gesichert habe. Also auch da bin ich am Ball.

Ich bin der Meinung, dass man gerade als redaktionell Verantwortlicher in einem Tauchsportmagazin alle Facetten des Tauchens pflegen sollte, um mitten drin zu sein und nicht nur zuzuschauen. Heute haben wir unser Apnoetraining nach Dynamik mit und ohne Flossen, mit Monoflosse und dynamischer Statik wieder mit Spielen in 4 Meter Tiefe ergänzt. Bauen mit DUPLO Bausteinen oder Denksport mit dem Nachbau von geometrischen Tangram Vorlagen. Da werden unbewusst Tauchzeiten mit angehaltenem Atem erreicht, die einfach erstaunen. Die Ablenkung siegt über den Kopf….

Liebe Leserinnen und Leser, bei UnterWasserWelt sind Sie gut aufgehoben, denn unsere Meldungen, Reportagen und Tests sind abgesichert durch unser über lange Zeit erworbenes Wissen, unsere taucherische Ausbildung und  – weil wir begeistert immer noch Apnoetauchen, mit Gerät im Sporttauchbereich und mit Mischgas, reizen uns Wracks. Und das alles mit einem wirklich superguten Team. Dem ich hier einfach mal danke sagen möchte. Schön mit euch in einem Boot zu sein.

 

Herzliche Grüße, Ihr

Michael Goldschmidt