Editorial April 2023

Tauchplatz nach der Pandemie

Editorial
Tauchplatz Hausboot / Attersee 26.3.2016

Liebe Leserinnen und Leser,

war ich bis Ende 2019 so gut wie jedes zweite Wochenende zum Tauchen am Attersee, kam 2020 aus bekanntem Grund ein großer Bruch. Die Pandemiehysterie riegelte die Grenze nach Österreich für lange Zeit ab, da ging nichts mehr, was als „normal“ empfunden wurde. Ob diese Maßnahme sinnvoll war, kann zu Recht bezweifelt werden, nachdem in Bayern verschiedene Anordnungen, die unter anderem den Menschen das Verlassen der Wohnung ohne triftigen Grund verbot, gerichtlich abgemahnt wurden. Bußgelder müssen zurückbezahlt werden und die Schließung von Schulen und Kitas, so räumt die Politik kleinlaut ein, wären nicht nötig gewesen.

Natürlich wurde uns in diesem Zusammenhang auch das Tauchen madig gemacht, selbst dann noch, als die staatliche Großzügigkeit die Internierung aufhob. Da sahen sich plötzlich Wasserrettungsorganisationen als Backup im Spiel, um bei einem eskalierenden Geschehen Rettungsaufgaben auf der Straße oder beim Krankentransport zu übernehmen.

Da dürfte es unveröffentlichte Papiere von höherer Stelle gegeben haben, denn von sich aus kommt man als Wasserretter wohl kaum auf so eine Idee. Als Ergebnis dessen wurde verbreitet, dass von Tauchaktivitäten abgesehen werden sollte, da die freiwilligen Einsatzkräfte an anderer Stelle gebraucht werden könnten, so geschehen etwa am Walchensee.

Abseits der Wasserrettung wurden sie nie gebraucht und weil sich viele nicht aus dem Haus trauten, obwohl sie wieder durften, hatten sie eigentlich nichts zu tun. Auch nicht, als sich viele Taucher, denen Fernreisen verwehrt waren, sich an ihre Wurzeln erinnerten, Trockenanzüge und eigene Pressluftflaschen entstaubten und die Ufer in Scharen belagerten.

So eine mehrjährige Belagerung erlebte auch der Attersee, das Ufer an den Taucheinstiegen glich einer Freizeitmesse für Wohnmobile, die wegen geschlossener Pensionen, Gasthäuser und Hotels einen unglaublichen Boom erlebten. Dass das wilde Campen verboten ist, scherte die meist langfristig die Parkplätze blockierenden Tauch – Wohnmobilisten nicht, denn die Aufsichtsorgane hatten keine Lust, sich hier kontrollierend und regulierend Arbeit an den Hals zu hängen.

Keine 5 Tauchgänge stehen von 2020 bis 2022 im Attersee in meinem Logbuch. Also ein neuer Versuch, ein Wochenende in Oberösterreich, am und im Atter zu verbringen. Fast auf den Tag genau ist es ein Jahr her. Ich bin gespannt, wie belagert die Einstiege sein werden.

Und dann das. Gähnende Leere. Nur wenige Taucher, kein einziges Wohnmobil, jetzt sieht es so aus, als sei eine Seuche aufgetreten. Die meisten der wenigen Taucher sind aus der Region, mit etwa 165 km Anreiseweg sind wir wohl die mit dem weitesten Weg an den See. Selbst die obligatorischen Polen und Tschechen, die sich hier gerne Tiefen von 100 Metern + gönnen, erfasst das Radar nicht.

Dafür gibt es jetzt kleine Schilder an den Tauchplätzen, auf denen „campen verboten“ kommuniziert wird. Hat ja nur drei Jahre gedauert.

Dann endlich der erste Tauchgang. Offiziell am Hausboot in Nussdorf, das war zwar ein lang bekannter Platz, aber nicht auf der Liste der ausgewiesenen Tauchspots. Erst das Projekt Pfahlbauten unter Wasser veränderte 2019 dessen Status.

Ich war oft dort, das Hausboot und weitere Attraktionen machen Laune, sind wunderbare Fotomotive. Die Sicht ist gut, leider fehlt die Sonne, um dem Tauchgang die Magie des Lichts zu geben. Hab ich etwas falsch in Erinnerung? Mein Tauchcomputer zeigt nur 8 Meter Tiefe an, es müssten doch 10 Meter sein. Nun gut, ist jetzt hier nicht das Thema.

Ich bin etwas irritiert, denn all die Jahre, an denen ich das Hausboot betauchte, war es in einem guten Zustand, eigentlich unverändert. Jetzt liegen Holzplanken entlang der Seiten auf dem Seegrund, es scheint, als sei das Boot in einem Auflösungsprozess. Bei näherer Betrachtung bestätigt sich mein Verdacht, da hat nicht der Zahn der Zeit genagt, das war abartig dumme Lust an Zerstörung.

Das ist weltweit kein Einzelfall bei Wracks. Und das machen keine Taucher, die ortsansässig sind oder langjährig dort tauchen. Ich überlege, viele Jahre war das Hausboot eher etwas für Insider. Dann kam eine der drei künstlich geschaffenen Pfahlbauattraktionen unmittelbar daneben unter Wasser, ein offizieller Einstieg wurde ausgewiesen und das veränderte die Situation grundlegend.

Also keine so gute Idee, den Pfahlbauwald dort zu bauen.

Irgendwie scheint sich auch niemand mehr so wirklich um die weiteren, alten Attraktionen zu kümmern. Ein kleines Holzboot unmittelbar am Heck des Hausboots überwuchert mit  Wasserpflanzen, bald ist es nicht mehr zu erkennen, der bekannte Wegweiser ist überzogen mit Schleim und behängt mit Fundstücken verlorener Gegenstände.

Der nächste Tag bestätigt die richtige Anzeige meines Tauchcomputers. Auf der Suche nach einem Einstieg zu einem von mir noch nie betauchten Spot, der nicht mit Stahltreppen ausgestattet wurde – da gibt es überraschend viele – ich werde aufmerksam. Man kann hier gar nicht sicher ins Wasser gelangen. Die Felsbrocken am Ende eines natürlichen Abstiegs oder einer alten Betontreppe lassen es nicht zu, mit schwerer Ausrüstung hier abzutauchen. Und es gibt weitere Hinweise, die meinen Verdacht bestätigen, dem See fehlt Wasser. Mindestens ein Meter ist der Wasserstand unter dem normalen Niveau. Später bestätigen mir das nachgefragt Einheimische.

Es ist ja wohl für mich, mit Blick auf so viele Tauchspots, die sich in ihrer Qualität stark negativ veränderten, der Fluch der frühen Geburt. Wer heute erstmalig ans Hausboot kommt, mag es mega oder geil finden. Ich habe da eher die Vorstellung eines abgenagten Knochens.

 

Herzliche Grüße, Ihr

 

Michael Goldschmidt

 

 

PS: Zur Erinnerung an gute Zeiten am Hausboot das Titelbild zum Editorial  c: Michael Goldschmidt 03/2016