Editorial Juli 2020

Liebe Leserinnen und Leser,

ein Zukunftsforscher verkündete kurz nach dem Lockdown überzeugend, dass die starken Eingriffe in die persönliche Lebensgestaltung der Menschen im Miteinander positive Veränderungen bewirken würden. Die erzwungene Solidarisierung, der erzwungene Verzicht, die erzwungene Selbstbesinnung sollte unter anderem auch messbare Veränderungen auf egoistische Grundhaltungen bewirken. Er ging davon aus, dass das Teilen einen größeren gesellschaftlichen Stellenwert bekommen würde, denn alle hatten sich den Maßnahmen fügen müssen. Doch Worte oder auch laut ausgesprochene Gedanken sind Schall und Rauch.

Die monatelange Internierung zuhause, in den Bundesländern, in den internationalen Landesgrenzen, die fehlende Perspektive wo und wann ein Urlaub gebucht werden kann, hat das Freizeitverhalten der Menschen tiefgreifend irritiert. Unter dieser Situation kollabieren aktuell Naherholungsgebiete in Südbayern und Oberösterreich, bevorzugt Seen und deren Anrainergemeinden leiden darunter extrem.

Lassen Sie mich als Münchner den Walchensee ansprechen. Seitdem die Menschen „offiziell“ wieder an den See fahren dürfen – verboten war es definitiv nie während des Lockdown – überschwemmen Tagesausflügler und nun zusätzlich auch Urlauber das Gebiet. So gefragt wie gerade war der Walchensee noch nie. Parkplätze für Tagesbesucher gibt es in umweltverträglich überschaubarer Zahl.

Es sind keine Taucher, die diesen enormen Druck auf die Erreichbarkeit der Ufer des Walchensees ausüben, es ist eine verschwindend kleine Menge im Verhältnis der plötzlich auf Naherholungsziele fixierten aus dem städtischen Umland. Wenn schon kein Urlaub auf Mallorca, dann halt die Ressourcen im eigenen Land nutzen. Und plötzlich wird deutlich, wie begrenzt die landeseigenen Ressourcen sind und wieviel der grenzüberschreitende Tourismus an Umweltlast vor der Haustüre abnahm.

Das Schlimme, wenn am Walchensee die Parkplätze dicht sind, was man nach einer nunmehr staubedingt langen Anfahrt über die letzten paar Kilometer die Kesselbergstraße hinauf wahrnehmen muss, wird egoistisch dennoch versucht, das programmierte Ziel des Tages zu realisieren. Parkverbotszonen, Rettungswege, Einfahrten werden als solche ignoriert und zugeparkt. Hier im letzten Winkel Bayerns ist eh alles Wurscht, da schaut niemand drauf, so die „keinesfalls“ egoistische Meinung der Auswärtigen. Dass nun die Politik reagieren wird mit Maßnahmen, die keinem schmecken werden, wen wunderts? Dann werden auch jene spürbar damit konfrontiert, die sich pro Walchensee profilierten, die kleine Schar der Taucher.

Als Münchner kann ich auch mal einen Blick über die Grenze nach Österreich werfen. Tatsächlich war ich bereits einmal nach der „hysterischen“ Grenzöffnung am Mondsee bei Camaro. Die digitale Jahresvignette für die Autobahn dort hätte ich mir sparen können, aber von der ASFINAG gibt es kein Gutschriftangebot, was sie haben, haben sie. OK, mein Bier.

Und dann ärgern mich heute außerordentlich miese egoistische Verhalten von illegalen Campern mit ihren Wohnmobilen auf Parkplätzen am Attersee. Sie blockieren die Möglichkeit, dort überhaupt mit dem PKW einen Platz zu finden. Sie bleiben über Nacht, länger schon, sparen sich die Gebühren eines Campingplatzes und ignorieren die Interessen aller Erholungssuchenden, die an Seen in Österreich ohnehin die Arschlochkarte gezogen haben. Viele Uferstreifen an österreichischen Seen sind in Privatbesitz.

Das Wildcampen ist schlicht unerträglich und wie es sich gerade anfühlt, sind die hier geforderten Gemeinden, diesem egoistischen Unfug ein Ende zu bereiten, untätig. Dass die Wohnmobile aus D kommen, macht mich besonders sensibilisiert zornig. Aber in D wurde ja schon die Handtuchbesetzung von Liegestühlen weltweit erfunden, an Pools, an Stränden und in Wellnessbädern.

Ich schäme mich.

 

Beste Grüße, Ihr

Michael Goldschmidt