Englands Küsten sind ein Dorado für Wracktaucher. Unzählige gestrandete Schiffe oder Relikte der Kriege säumen den Meeresgrund in unterschiedlichen Tiefen. Oft bleibt nur eine kurze Stunde oder noch weniger Zeit um von den starken Gezeitenströmungen nicht in Gefahr gebracht zu werden. Stefan Baehr besucht oft die Küsten von Dorset und brachte die Geschichte des wohl kuriosesten Wracks, das der M2, einem UW – Flugzeugträger mit.
Historisches
Diese ausgefallene Konstruktion wurde im Jahr 1918 gebaut. Zu diesem Zeitpunkt war M2 noch ein beinahe normales, für damalige Verhältnisse allerdings sehr großes U-Boot, mit einer gewaltigen 12 inch (30,48 cm) Kanone auf dem Vordeck. Bedingt durch diese überschwere Waffe musste der Schwerpunkt des Bootes relativ weit nach hinten verlagert werden. Dies, sowie ein im Vergleich zu üblichen Unterseebooten längeres Vordeck, machten das Boot besonders geeignet für einen im Jahr 1927 stattfindenden Umbau. Die Kanone wurde entfernt, dafür wurde vor dem Turm ein kleiner, wasserdichter Hangar eingerichtet. Vor diesem Hangar entstand ein Katapult, eine Art Schienensystem, auf dem ein kleines Wasserflugzeug beschleunigt und gestartet werden konnte. Das Flugzeug konnte anschließend mit seinen beiden Schwimmern auf dem Wasser landen, wurde von einem am Turm angebrachten Kran auf die Schienen zurückgehoben und von dort rückwärts in den Hangar geschoben. Solche Pläne muten sogar heute noch sehr abenteuerlich an und sind es wohl auch.
Das große Hangartor war es schließlich, was allem Anschein nach zum Verlust der M2 führte. Man vermutet heute, dass es nicht korrekt verschlossen war, als M2 am 26. Januar 1932 versuchte zu tauchen. Durch das Fehlen des großen Luftvolumens des auf diese Weise gefluteten Hangars muss das U-Boot regelrecht in die Tiefe gefallen sein. So schnell, dass das Heck tief im Meeresboden steckte, als man es später fand. Verstärkend kam hinzu, dass M2 als Ausgleich zu dem Hangarvolumen über etwas mehr Ballast als ein gewöhnliches U-Boot verfügte.
Man versuchte zwar, die M2 zu heben und so die Mannschaft, die sich immer noch komplett an Bord befand, zu retten, jedoch stellte es zu dieser Zeit ein Problem dar, ein Wrack überhaupt zu finden. Außerdem war die Bucht auch schon im Jahr 1932 geradezu überfüllt mit Wracks. Die Retter fanden zunächst 60 (!) andere Wracks, die jeweils erst durch einen Tauchgang als Irrtum identifiziert werden konnten.
Die M2 hatte zwar für 48 Stunden Sauerstoffreserven an Bord, aber die wenig entwickelte Tauchtechnik dieser Zeit und das schlechte Wetter zwangen die Rettungsschiffe schließlich aufzugeben. So fanden 60 Seeleute den Tod. Zwei Seeleute konnten später tot geborgen werden. Achtundfünfzig befinden sich somit noch an Bord. Der Turm des Wracks ist deshalb von der Britischen Marine versiegelt worden. Ein Eindringen in die eigentlichen Innenräume innerhalb des Druckkörpers ist nicht möglich und auch nicht erlaubt.
Daten
Werft:Vickers (1918)
Nationalität:Britisch
Länge:90,22 m
Breite:7,62 m
Bauweise:Stahl
Antrieb:2 x 12 Zyl. Diesel mit 1200 PS / 4 Stck. E-Mot. mit 400 PS
Fahrleistung:15 kn an Oberfläche, 9 kn getaucht
Reichweite:4000 Seemeilen mit 11 kn
Bewaffnung:4 Torpedorohre, ein Wasserflugzeug, eine 3 inch (7,62 cm) Kanone,
zwei Lewis Kanonen
Der Tauchgang
Unsere noch etwas verschlafen wirkende Crew steht zu früher Stunde auf dem Parkplatz vor Ian Parry´s Tauchshop in Portland, Südengland, um die schon am Vorabend für uns gefüllten Flaschen auf die Fahrzeuge zu verladen. Wir müssen zeitig an der Wrackposition sein, da dieser Tauchplatz stark tidenabhängig ist und wir nur ein „Zeitfenster“ von etwa einer dreiviertel Stunde für den Tauchgang zur Verfügung haben. Davor und danach macht die strake Tidenströmung jegliches Tauchen unmöglich.
Das Wetter ist für unser Vorhaben ideal, die Sonne scheint und die See ist sehr ruhig, so dass man es wagen kann, von Portland aus zu der außerhalb der Landabdeckung liegenden M2 zu fahren. Mit der Autum Dream, dem schnellen Halbgleiter von Len Hurdis, ist die weite Fahrtstrecke kein Problem.
Len hat schon am Vortag eine Boje für uns setzen lassen. Das U-Bootwrack ist sehr schmal und daher recht schwierig mit dem Bojengewicht zu treffen.
An der Position angekommen, heißt es erst einmal Warteschleifen drehen, denn wir sind sehr früh dran und die Strömung ist noch nicht zum Stillstand gekommen. Wir nutzen die Gelegenheit, um uns wirklich bestens auf den Tauchgang vorzubereiten. Kurz bevor die Strömung steht, müssen Paul und ich ins Wasser, um die verbleibende Zeit des „Slackwater“ optimal auszunutzen.
Um Zeit zu gewinnen, gehen Paul und ich also ins Wasser, bevor die Strömung restlos zum Stillstand gekommen ist. Damit das klappt, müssen an Bord ein paar Leute mit äußerster Präzision zusammenarbeiten. Paul und ich sitzen mit dem Rücken zum Wasser auf dem Bordrand und warten auf das Kommando von Fran, der Frau unseres Skippers. Die Autum Dream läuft die Wrackboje vom Strömungslee her an. Fran gibt das Zeichen und Paul lässt sich rückwärts über Bord kippen. Mit wenigen Sekunden Abstand folge ich nach. Ich bin am weitesten in Luv von der Boje, brauche also am längsten, um sie zu erreichen. In der Zwischenzeit hat sich Paul an die Bojenleine gehängt. Dank Len’s präzisem Ansteuern treibe ich ohne jede Anstrengung genau auf die Beiden zu. Paul hält mich am Tauchgerät fest. Jetzt kommt für alle die schwierigste Übung, die Übergabe der Kamera. Len muss jetzt schräg gegen die leider immer noch heftige Strömung anlaufen und so dicht an uns vorbeifahren, dass ich, von Paul gehalten, die Kamera annehmen kann. Fällt uns die Kamera dabei aus den Händen, ist sie unwiederbringlich verloren. Der Bug der Autum Dream schiebt sich langsam heran, das Boot darf jetzt nur nicht zu langsam werden, sonst ist es nicht mehr lenkbar! Mit der Hand gleite ich am Rumpf entlang, Dirk beugt sich mit der Kamera von oben herab und – geschafft! Schnell klinke ich meine Kamera an der in trüben oder extrem tiefen Gewässern obligatorischen Sicherheitsleine ein und gelange mit Hilfe von Paul an die Bojenleine.
Die M2 ist auch für mich etwas völlig neues, ist sie doch das erste U-Bootwrack, das ich betauche. So bin ich sehr gespannt, als ich mich an der Bojenleine entlang in die schwärzliche, blaugrüne Tiefe gleiten lasse.
In 29 Metern können wir den langgestreckten schmalen Rumpf des Unterseebootes schemenhaft unter uns erkennen. Die Bojenleine führt uns genau zu dem scheunenartigen Hangar, der vor dem Turm angebracht und sehr einfach zu betauchen ist. Das große, heruntergeklappte Tor gewährt einen Blick in das Innere. Wir belassen es bei einem kurzen Blick, denn wir wissen schon von Kennern dieses Wracks, dass sich das Aufklärungsflugzeug des U-Bootes nicht mehr an seinem Platz befindet.
Vor dem Hangar verläuft die Startrampe für den kleinen Doppeldecker in Richtung auf den Bug. Im hinteren Bereich sieht sie schon etwas zerfleddert aus, nach vorne hin bessert sich ihr Zustand. Wäre der Bewuchs und der Rost nicht, könnte man glauben, an einem einsatzbereiten Unterseeboot zu tauchen. Wir kehren um, da uns die Gegend um den Turm herum wesentlich mehr interessiert. Auf der Backbordseite ist der Turm herrlich mit weißen Schwämmen bewachsen. Neben dem Turm klafft ein Loch in dem röhrenförmigen Rumpf. Paul leuchtet hinein, wer weiß, vielleicht hat einer der riesigen Conger dieser Gegend hier ein Zuhause gefunden. Leider Fehlanzeige. Die künstliche Höhle ist unbewohnt. Hinter dem Turm befinden sich einige schwer zu identifizierende Schiffseinrichtungen auf der Oberseite des Wracks. Das Deck ist hier in einem etwas besseren Zustand als vor dem Hangar, im Bereich der Startrampe. Ein Schwarm Bibs (Franzosendorsche) glotzt uns mit gleichgültigen Augen an, als wollte man uns auf unsere Rolle als kurzzeitige Gäste erinnern. Ich würde mir gerne noch das Heck des U-Bootes ansehen, aber die Zeit wird knapp. In ein paar Minuten wird der Gezeitenstrom sein ewiges hin und her wieder aufnehmen, außerdem sind wir, gesättigt von etlichen Tauchgängen in den Tagen davor, schon bedenklich nahe am Ende unserer Nullzeit angelangt. Wir finden unsere Bojenleine auf Anhieb wieder, kein Problem bei diesem sehr gut erhaltenen Wrack.
Wir kommen gerade noch an einer Dekopflicht vorbei, machen aber zur Sicherheit noch einen längeren Stop in drei Metern. Mit einer allmählich einsetzenden Strömung tauchen wir auf, um uns von Len mit seiner Autum Dream einsammeln zu lassen.
Tauchtechnik
Der beschriebene Tauchgang an der M2 wurde mit Sporttauchtechnik durchgeführt. Alternative Gase zur Dekompression wurden nicht mitgeführt. Die maximale Tauchzeit zwischen den Gezeiten beläuft sich auf eine Stunde. Durchschnittlich 33 Meter müssen zur Tauchgangplanung als Tiefe angesetzt werden.
Es empfiehlt sich als Hauptgas ein 32er Nitrox. Angesichts der im Gezeitenstrom starken Strömung sollte auf Tauchgänge mit längerer Dekompressionspflicht verzichtet werden.
Stefan Baehr