Cressi hat mit dem Aquawing Plus eine völlig neue Sparte von Tariermitteln geschaffen, die es bislang in dieser Form noch nicht gab. Wer von seinem klassischen ADV Jacket in die Welt der technischen Taucher wechseln wollte, musste in den sauren Apfel beißen, allen bis dahin gekannten Komfort an den Nagel zu hängen. Cressi geht mit dem Aquawing Plus eher einen behutsamen Weg, den Umstieg auf ein echtes Wing angenehm zu gestalten, was die geradezu geniale Anpassung der Schultergurte unterstützt.
Cressi hat mit dem Aquawing Plus mehr als einen Akzent gesetzt, die Herangehensweise an ein neues Wingsystem ist erstaunlich. Anfänglich war ich eher zurückhaltend, das mag auch daran liegen, dass das Label nicht gerade offensiv sein Produkt vorstellte. Das mag aber auch daran liegen, dass Cressi ganz bewusst aktuell keine Ziele verfolgt, eine eigene Tek – Linie zu entwickeln. Warum auch, denn es gibt genau in der Nische zwischen Sport- und Techtauchen keine Schlüsselprodukte, die hier greifen würden, das Aquawing besetzt einen freien Stuhl.
Selbst als technischer Taucher aktiv weiß ich, dass es kein wirklich komfortables Tariersystem, bestehend aus Wingblase, Backplate und Begurtung gibt, weil die Philosophien von DIR oder GUI dagegen stehen. Die größte Unbequemlichkeit bei den von Tek – Labels angebotenen Produkten ist die umständliche Anpassung der Schultergurte auf die ideale Länge. Und die variiert auch noch je nach eingesetztem Tauchanzug.
Und weil es so fummelig ist, die Gurte anzupassen, bleiben sie auf dem einmal festgezurrten Level. Dann in die Schulterschlaufen hineinwurschteln, dabei das Auslassventil des Trockenanzugs auch noch überwinden müssend, das mag „echte Tekkies“ ausmachen, denn diese Selbstbestrafung muss wohl sein. Die Philosophien von DIR und GUI sind festgeschrieben und sollen auch nicht hinterfragt werden. Nicht zu vergessen, bei dem ganzen Vorgang muss man autark vorgehen, Hilfe von einem Buddy, wie beim Sporttauchen üblich, ist eher verpönt.
Genau da hat Cressi mit dem Aquawing angesetzt, das Anlegen eines innovativen Wingystems für Um- und Einsteiger komfortabel zu gestalten. Keine festgezurrten Schultergurte, keine Pseudo – Steckschnallen, dafür verblüffend einfache Anpassung der Gurtlänge, das zündet. Ich war schon lange nicht mehr so von der Funktionalität einer Wingsystem – Begurtung angesprochen, wie hier.
Der Trick – Modulares Verstellsystem MAS
Letztlich bestimmt der Bauchgurt die Anpassung der gepolsterten Schultergurte. Zum Anlegen des Aquawing Plus werden die Schultergurte so weit geöffnet, dass sie bequem übergestreift werden können. Dann greift man zu den Bauchgurten und zieht diese schräg nach oben vom Körper weg, die Schultergurte passen sich jetzt in der Länge entsprechend an. Das geht wirklich verblüffend einfach. Brustgurtschnalle schließen, Schrittgurt in die Frontschnalle einschieben, mehr ist nicht zu tun.
Bei der überstehenden Länge der Bauchgurte hat es Cressi wirklich gut gemeint, hier kann nach individueller Anpassung die Schere angesetzt werden, um tatsächlich überflüssiges Material abzuschneiden, aber bitte nicht zu knapp, je 15 cm sollten schon noch im Plus übrig bleiben.
Die Blase
Das Aquawing Plus hat eine Donutblase, wie sie beim technischen Tauchen auch verwendet wird. Die Form erinnert an einen runden Donat, daher die Namensgebung. Die Luft verteilt sich in der Blase an die Tauchlage angepasst und ermöglicht so eine optimal stabile Körperposition unter Wasser. Das Wing ist zweischalig, Innenblase 210 Denier Nylon, Außenschale 1500 Denier Cordura-Nylon zweifarbig schwarz und blau (Aquawing nur schwarz). Der Auftrieb wird mit 120 N angegeben, das Gewicht des Users sollte 125 kg nicht übersteigen. Dazu können bis zu 11 kg Blei in die 4 Taschen (2 am Flaschengurt, zwei am Bauchgurt) aufgenommen werden.
Anders als bei klassischen Tek – Donatblasen ist der Inflator nicht mittig am höchsten Punkt angesetzt, sondern etwas tiefer seitlich nach links versetzt. Das spielt in der Praxis des technischen Sporttauchens keine Rolle, markiert nur einen Unterschied. Der Inflator hat einen Schnellablass integriert, ein weiterer ist in der Blase unten links eingebaut. Und der lässt sich erstaunlich gut erreichen und greifen, hier wurde die bestmögliche Position gefunden.
Die Backplate
Die Rückenplatte oder Backplate ist durchaus ein Spiel ohne Grenzen, hier gibt es am Markt die unterschiedlichsten Ausführungen, da toben sich manche Szenehersteller richtig aus. Vor allem, bei technischen Wings ist die Backplate nicht fest verbaut. Anders bei Cressi, hier ist die aus eloxiertem Leichtmetall gefertigte Rückenplatte ein fester Bestandteil des Aquawing, denn sonst wäre die elegante Lösung der Gurtanpassung nicht machbar.
Die Wingblase ist mit Klettbändern an der Backplate befestigt sowie mit Verschraubungen, die die breite Kunststoffschiene der Flaschenhalterung mit dem System verbindet. Der Schulter / Bauchgurt ist zwar wie bei Backplates üblich in einem Stück durch die entsprechenden Öffnungen gefädelt, dann aber durch Verschraubungen fixiert, das ist dem MAS Anpassungssystem geschuldet.
Die Bleitaschen
Auch wenn jedes hervorstechende Detail eines Jackets vom Hersteller üblicherweise ein produktbeschreibendes Kürzel bekommt, hält sich Cressi bei den Bleitaschen des Aquawing Plus vornehm zurück. Die Kombination aus Bleitasche und senkrecht angesetztem Einschub ist in Genua neu. Fixiert wird die Bleitasche durch eine breite Schnalle (siehe Abbildung). Die Einschübe sind direkt an der Backplate fixiert, sitzen also ziemlich weit hinten und je nach Körpergröße bzw. Volumen des Users vergrößert sich die optimale Greifweite zum Bleisystem.
Anders als bei horizontal ausgerichteten Bleieinschüben, die die Platzierung der Tariergewichte im Jacket auch nach dem Anlegen des Tauchsystems ermöglichen, muss das Blei beim Aquawing Plus vor dem Anziehen eingesetzt und mit der Schnalle fixiert werden.
Die D-Ringe
Die Edelstahl – D-Ringe in professioneller Breite von 50mm sind an 4 Positionen angebracht, zwei auf den Bleieinschüben (nicht verstellbar), zwei an den Schultergurten (variabel). Nach entsprechender Anpassung der D-Ring – Position am Schultergurt, können Stageflaschen angehängt werden, um mit entsprechenden Dekogasen einen anspruchsvollen Tauchgang durchzuführen. Im Zustand der Auslieferung sind die D-Ringe an den Schultergurten nur für beliebige Befestigung von Zubehör platziert.
Nicht zu vergessen die zwei D-Ringe am Ansatz des Schrittgurts und dem Fixierungspunkt am Bauchgurt. Am vorderen D-Ring kann die Zugleine eines Scooters angehängt werden, am hinteren etwa ein Reel für die Boje.
Die Bojentasche
Wie bei technischen Wingsystemen ist unter der Rückenpolsterung ein Einschub verborgen, in dem eine Markierungsboje oder auch eine professionelle Dekoboje mitgeführt werden kann. Vom User, der eine grundlegende Ausbildung im technischen Tauchen absolviert hat, kann die entsprechend vorbereitete Boje im Bedarfsfall nach unten aus dem Aquawing herausgezogen werden. Wer in dieser Technik nicht ausgebildet ist, hängt seine Boje mit Karabiner an einen der D-Ringe.
Die Flaschenhalterung
Es lohnt sich auch, einen Blick hierauf zu werfen. An der Backplate ist eine Kunststoffschiene befestigt, die der Flasche eine konkret senkrechte Ausrichtung am Aquawing Plus zuweist. Das stabile Kunststoffmaterial der Schiene ist dennoch so flexibel, dass es sich an die unterschiedlichen Monoflaschendurchmesser nahtlos anpasst. Zwei Flaschengurte fixieren den Tank. Besser geht’s nicht.
Nicht erwähnt
Da gibt’s diverse Details, etwa die schnell trocknenden Materialien der Schultergurt- und Rückenpolsterung, die hochwertige Verarbeitung, der Spaß- und Komfortfaktor, den das Aquawing Plus auch erfahrenen technischen Tauchern bereitet.
Fazit
Das Aquawing Plus ist nicht „hybrid“, es ist eine Klasse für sich. Wirklich mal was Neues. Technischer Komfort, der nicht nur denen gefällt, die ihr „Sporttauch – Image“ verändern wollen. Verbessert werden kann für manche Anwenderprofile die Position der Bleieinschübe, doch das ist für Cressi sicher kein Problem. Nicht jeder ist ein so körperlich schmaler Typ….
Preis: Mittlerer Preis 08.2023 € 499,00
Michael Goldschmidt
Cressi