Bereits zum 4. Mal: Apnea-College Experiencedays im Kreidesee Hemmoor

Vom 23. Bis 25. Juli 2021 war Hemmoor wieder der Mittelpunkt der Apnoeszene in Deutschland

Freitauchen mit Scooter c: Michael Goldschmidt

Auf ein Neues und ungeachtet der 1050 km von Tür zu Tür waren die Apnea-College Experiencedays in Hemmoor „das“ Freitauchziel für unsere Redaktion und 105 angemeldete Gäste. Wohnt man im Süden Deutschlands, ist Hemmoor eher ein nur von wenigen aufgesuchtes Tauchziel, in dessen Kreidesee sich in erster Linie träge an Land und unter Wasser fortbewegende Doppelflaschentaucher im Trockenanzug das Bild bestimmen. Da bringen die Freitaucher mit ihrem aufrechten Gang und dem eleganten Tauchstil für ein paar Tage rundum frischen Wind in die dortige Unterwasserszene.

2021 ist immer noch kein Jahr zuverlässiger Planungen für Events. Selbst sportlich ausgerichtete Veranstaltungen im Freien sind manchen Politikern nach wie vor ein Dorn im Auge. So war die Flucht in den hohen Norden, weg aus Söderland, höchst willkommen. Alte und neue Freunde treffen, bei den Workshops dazulernen, den See mit seinen Attraktionen freitauchend zu verinnerlichen.

Wie schon 2020 bei den Apnea-College Experiencedays festgestellt, hat die Veranstaltung einen absolut professionellen Charakter mit dazu passenden Referenten und Workshops. Auch das Erscheinungsbild auf der großen Wiese zwischen dem Einstieg 0 und dem Einstieg 1, mit mehr als 10 baugleichen Pavillons, die genau in deckungsgleicher Linie aufgestellt worden waren, zeigt die Liebe zum Detail. Das gefällt.

Die Stimmung könnte nicht besser sein und der Vertreter des Veranstalters, Tolga Taskin (Sozialwissenschaftler, Freitauchlehrer, Instructor Trainer und einer der Geschäftsführer des Apnea Colleges) hat neben seinen herausragenden Leistungen als Freediver auch noch das unbestreitbare Talent eines Entertainers und Moderators, der zur Primetime im TV durch eine hochwertige Show führen könnte. Das stellt er locker unter Beweis, als eingangs die 19 Experten vorgestellt werden. Und da möchte ich gleich darauf hinweisen, dass es sich hier um echte Experten handelt, nicht um politische Hilfskräfte.

Mit Blick auf das Eventangebot und beim ersten Rundgang wird klar, dass in den drei Tagen der Apnea-College Experiencedays eine selektive Auswahl der Workshops getroffen werden muss, um überhaupt in und unter Wasser zu kommen. Und das ist nicht ganz einfach, denn das Angebot ist insgesamt sehr interessant und hochkarätig. Da kämen für uns in die engere Wahl Themen zu Yoga, der letzte Atemzug (nicht so, wie manche Leser denken mögen), Tieftauchen und Druckausgleich, Statik, Free Immersion und, und, und. Leider ist diesmal das Tauchen am Schlitten mit Andreas Pap (hatten uns darauf gefreut) sowie mit Scooter nicht im Programm. Doch wir haben unsere eigenen DPV`s dabei und sind somit unabhängig.

Petra trotzt dem feinen Nieselregen am Freitagvormittag und schließt sich Andreas Falkenroth als Lehrmeister in  Pranayama Atemtechnik an, die für alle Freitauchdisziplinen wichtige Grundlagen bietet. Entspannung und richtiger Umgang mit der ein- und ausgeatmeten Luft sind das Geheimnis für persönliche Leistungssteigerungen, auch im Alltag.

In der Zwischenzeit nutze ich die Zeit, die einzelnen Pavillons zu besuchen und mir ein Bild von den dort angebotenen Workshops zu machen. Zugleich treffe ich alte Bekannte wie Uwe Kiehl, der viele Jahre als Spezialist für die Fertigung hochwertiger UW-Kameragehäuse in der Szene wirkte und den das Freitauchfieber bereits vor längerer Zeit heftig erfasste. Wir haben uns schon einige Jahre nicht mehr gesehen, aber sofort wiedererkannt.

Den am coolsten betitelten Workshop bietet Guntram Kelz aus Wien, eigentlich aus Kärnten ( J ): Der letzte Atemzug. Verinnerlicht man seinen aus Stretching, Elastischem Diaphragma, Lungenvolumen, Entspannung, Tauchvorbereitung und Atembewusstsein gestaltete Veranstaltung nimmt jeder Teilnehmer eine Menge mit, seine Vorbereitung zu jedem Tauchgang – von Statik bis Tiefe – zu optimieren.

Jure Daic aus Slowenien hat einen Stretching Workshop komponiert, den der sympathische Athlet (DYN 187m, DNF 141m, STA 7,05 min, CWT 91m, NLT 101m) in Deutsch und Englisch präsentiert. Und wie es halt so üblich ist, hat man einen so kompetenten Referenten vor den Zuhörern und Mitmachern, geht das Thema auch mal weiter zu Trainingsmethoden, Trainingsplanung und Druckausgleich. Zudem gehört er zum Initiator eines Social Network für Taucher, in dem belastbare Informationen über Tauchspots, Kurse, Angebote, Partner und Ausrüstung mit nur wenigen Klicks schnell zu finden sind. Das alles kostenlos und mit der Möglichkeit eigene Informationen hochzuladen mit Bildern und Karten: www.h2oglobe.com

Ich bleibe auch bei Hans-Jürgen Lenzen eine Weile am Pavillon stehen, er doziert und demonstriert zu Themen wie Gesundheitsrisiken, Dekoerkrankung, Tiefenrausch, Erste Hilfe mit Sauerstoffgabe, lebensrettende Sofortmaßnahmen und Tauchunfallbehandlung. Für mich eine gedankliche Auffrischung und das eine oder andere neue Detail.

Soweit ein tieferer Einblick in die Workshops. Da war natürlich sehr viel mehr geboten, an Land geht’s los:

Relaqua mit Tamara Helm

Seatrecking mit Julian Mühlmeier und Michael Stock

Spearfishing mit Conrad Kuhwald

UW-Fotografie mit Uwe Kiehl

Lanyard mit Ute Geßmann

Early Morning Yoga mit Filiz Taskin

Stop Finning mit Oliver Feist

Elasmocean mit Rike Kremer-Obroc

 

Im Wasser war geboten:

Nachttauchen mit Dominik Schmidt

Deep Diving mit dem Apnea-Collage Team

Sightseeing im See mit Dominik Schmidt

Freediving Training mit Jure Daic

Lanyard & Rettungstechniken mit Michael Geßmann

Duck Dive mit Fynn Neb & Petra Steindl

Free Immersion mit Timon Rüth

Static mit Elisabeth Hummel

 

Da mit den Recherchen und Gesprächen vor Ort schon bald absehbar war, dass zeitlich die Teilnahme an den ins Auge gefassten Programmteilen im Wasser kaum realisierbar ist, gab es eine klare Entscheidung: Petra zeigt mir den Kreidesee Hemmoor mit allen Attraktionen, die sie bereits im vergangenen Jahr bei den Apnea-College Experiencedays freitauchend erkundet hatte – und ein paar mehr.

Jetzt bekommen unsere Scooter etwas Arbeit. Doch darauf haben sie sich schon lange gefreut. Voll geladen geht’s ins Wasser und der Staub der langen Zwangspause wird abgewaschen. Mit 21° an der Oberfläche und 17° nach der Sprungschicht in 10m Tiefe sind unsere 5mm Polo Sub Anzüge die ideale Bekleidung und nach 3,5 Stunden einer ersten vollständigen Seerunde und Tauchgängen an vielen Attraktionen ist uns wirklich nicht kalt.

Petra stellt fest, dass die Sicht nicht so gut sei, wie ein Jahr zuvor, denn die vielen Niederschläge der letzten Wochen gehen auch am Kreidesee nicht spurlos vorbei. Ich bin trotzdem begeistert, kenne es nicht anders und gefühlt hat es Mittelmeercharakter wie in Kroatien vor Banjole, dem Tor zu vielen Wracks.

Zwischen Irritation und ein wenig Neid schwanken die Emotionen der technisch hoch aufgerüsteten Gerätetaucher am Einstieg. Apnoetaucher mit Scooter. Mit richtigen Scootern, wie sie sie selbst auch gerne hätten. Wir entschärfen die Situation stets mit dem Hinweis, dass unsere Flossen so teuer seien und weitestgehend geschont werden müssen. Ok, darüber hat nun sicher der eine oder andere während seines Tauchgangs nachgedacht…

Überhaupt, mal ein Blick zur Seite, die in Hemmoor in Erscheinung tretenden Taucher haben irgendwie Berührungsängste mit Freitauchern. Warum eigentlich? Passen sie nicht in ihr Bild eines Tauchers? Sind Apnoetaucher irgendwie Aliens? Haben Freediver taucherisch sogar etwas mehr drauf, als sie selbst oder entscheidend weniger? Freitaucher kann man nicht ernst nehmen? Erst ab gebeugtem Gang und Doppelflasche gehört man dazu?

Unsere Versuche durch lockere Konversation mit dem einen oder anderen in Kontakt zu treten, verliefen überwiegend im Nichts. Na dann, wir tauchen ja selbst technisch und mit Mischgas, haben aber die sportliche Disziplin Freediving auch ganz intensiv verinnerlicht. Nachgefragt bei den Ausstellern und Teilnehmern an den Apnea-College Experiencedays, wie viele sich der mit Gerät tauchenden Gäste am Kreidesee auf dem Eventgelände zeigten, gaben zur Antwort: Vielleicht 3 oder 4. Da meinen wir, läuft was gewaltig schief in der Szene. Abgrenzung dieser Art sogar innerhalb der Tauchgemeinschaft ist schlichtweg Unsinn.

Wir sind die gepflasterte Straße am Einstieg 1 hineingewatet, unsere Cressi Impulse Flossen unter dem Arm und die Bonex Scooter neben uns. Dann geht’s ab durchs Chinesische Tor in den See. Zum Rüttler und dem darauf stehenden LKW, abtauchen, anschauen, genießen. Unser Antrieb hat große Vorteile, er bringt uns rasch weg von den trägen Verfolgern mit einer D12 und kaum hydrodynamischen Trockis. Es sind ja meist ältere Herren. Da bräuchten wir zwar keinen externen Motor, aber Distanz schafft entspannende Erlebnisse.

Wirklich schön ist auch das Segelboot mit dem Algenbewuchs rund um den Mast auf dem Deck. Schade, dass hier noch keine Kamera dabei war. Aber das kann man sich auch merken. Einfach so, für sich. Und, weil wir zu zweit mit Scootern auf Tauchtour sind, können wir uns bestens sichern, jeder hat seine Tauchgänge überwacht und im Erlebnis geteilt.

Nochmal zum Mitschreiben, unsere erste Tauchrundreise im Kreidesee dauerte 3,5 Stunden. An einem Stück. Da fuhren zwischenzeitlich schon die ersten Gerätetaucher wieder nachhause. Aber, eine Attraktion hatte sich total versteckt: Der Weiße Hai. Dem musste eine spezielle Mission am Samstag gewidmet werden.

Doch davor erst einmal das Grillen und Zusammensitzen am Abend. Von den vorhergehenden Events hatte man gelernt und herzzerreißende Szenen am seinerzeit einzigen Grill entschärft. Es gab nun drei Holzkohletoaster, einer für die engagierte Vegancommunity reserviert. Und das klappte hervorragend. Doch der Abend wurde für uns nicht bis weit nach Sonnenuntergang fortgeführt, es stand Teil zwei der Kreideseetauchsafari an – sucht den Weißen Hai.

Samstag, wieder eine Vielzahl von Gesprächen, die Sonne scheint, sie steigt am Firmament, es wird Mittag, bis wir uns wieder tauchfertig machen können. Lange haben wir mit Jure Daic mögliche Projekte für 2022 besprochen. Doch jetzt ab ins Wasser. Am Einstieg links neben uns ist eine Gruppe, die Static trainiert. Wir verhalten uns leise und machen so wenig Wasserbewegung wie möglich.

Und dann wieder durchs chinesische Tor in 3 Meter Tiefe hinein in den See. In Dreierformation unter uns eine Doppelflaschenverbindung, die wohl besser vorab Erbensuppe gegessen hätte, um vom Fleck zu kommen. Das Geräusch unserer Scooter schreckt sie auf, sie gehen in Tuchfühlung mit der gepflasterten Straße und wir sind durch und weg. Tja, da gabs wohl Lücken in der Ausbildung zum Tek-Taucher. Aber eine D12 allein genügt da nicht…

Diesmal sind die Kameras dabei. Und es lohnt sich, denn die Sonne ergießt sich in den See, jetzt können schöne spannende Szenen digitalisiert werden. Das primäre Ziel bleibt: Der Weiße Hai. Und mit dem Flugzeug sind auch noch Videoszenen offen. Doch der Hai hat ein Geheimnis, obwohl die Tiefe bekannt ist. Das müssen wir lösen.

An einem Punkt „da muss er sein“ – da waren wir gestern auch schon –  ist ufernah eine gelbe Boje. Wir sind etwa 25 Meter vom Ufer weg und ich tauche ab, entdecke in 13 Meter Tiefe eine Leine, die in den See hinaus führt. Ihr folgend sind UW-Lampen erkennbar, Scooter auf volle Fahrt und da ist der Weiße Hai, umrahmt von Gerätetauchern. In 10 Meter Tiefe, das Führungsseil hängt durch und verschleiert die Orientierung. Ich tauche direkt auf und markiere so den Hai für Petra. Die Videosession kann beginnen.

Am Flugzeug, nicht weit entfernt, wird die Kamera wieder aktiv. Im wunderbaren Licht des Nachmittags bleibt uns das Motiv für ein paar Tauchgänge allein überlassen. Und ab hier wird es sportlich, denn mein Scooter signalisiert: Leerer Akku. Endlich mal wieder auf 0 heruntergefahren, jetzt lohnt sich das Laden. Und Petra hat das leistungsstärkere Modell, da kann ich mich flossenschonend beim Rückweg anhängen.

Es gibt wunderbare Eindrücke, Kontakte und echte Wissenserweiterungen von den Apnea-College Experiencedays 2021. Aber völlig neu und kaum kommuniziert ist die Tatsache, dass von Apnea-College schon seit einem Jahr zertifizierte Freitauchausbildungen angeboten werden. Und schaue ich auf die vielen hinter dem Verband stehenden Namen, Chapeau, da steht echte Kompetenz dahinter.

Fazit

Ja, es ist mehr als lohnend, so wie wir, über 1000 km Anreise hinter uns zu bringen, um in Hemmoor an den Apnea-Collage Experiencedays teilzunehmen und den Kreidesee zu betauchen. Als Journalisten, engagierte Freitaucher und Petra zusätzlich als Freedive TL haben wir sehr viel mitgenommen an Input aus Workshops, Gesprächen und den Tauchgängen im See. Und davon wurde schon eine Auswahl im eigenen Training angewandt. Durchaus erfolgreich.

https://www.experiencedays.de/

 

    Petra Ney, Michael Goldschmidt