Die Seen – Landschaften Deutschlands werden durch die aufgegebenen Braunkohlentagebaue in Ost und West um insgesamt 500 Seen reicher. In Kürze repräsentieren die Baggerseen ein Viertel aller stehenden Gewässer der BRD. Rund 100 dieser Seen erreichen Wasserflächen von jeweils mehr als 50 Hektar. Die Goitzsche bei Bitterfeld zählt mit über 1300 Hektar Fläche und bis zu 75 Meter Tiefe zu den Giganten unter den Tagebauseen. Willkommen in Europas größtem Land-Art-Projekt mit Tauchbasis.
In der Süßwasserszene tut sich etwas: Nachdem bereits 2007 erste Uferstücken der Goitzsche für den Wassersport freigegeben wurden, wagte sich lange Zeit keine kommerzielle Basis an den riesigen See heran. Erst im Oktober 2011 wurden erste Tauchplätze erkundet und zu Mai 2012 nimmt eine professionelle Tauchbasis den Betrieb auf. Betreiber der „Tauchschule Bernsteinsee“ ist Frank Kleeblatt, Barakuda Course Director, Höhlentauchlehrer und ehemaliger Bergbauvermesser der Region Mitteldeutschland. Er hat bereits die Tauchbasen am Bergwitzsee und am Gremminer See mit auf den Weg gebracht und ist in der Szene kein Unbekannter.
Braunkohle-Tagebauseen können problematisch sein: Die reine Menge der biologischen Produktion von Pflanzen und Tieren wird wie in jedem See von der Verfügbarkeit der Ressourcen Phosphor und Kohlenstoff gesteuert. Doch die Artenvielfalt hängt außerdem stark vom Säuregrad des Wassers ab. In vielen Braunkohlegruben kommt es auf Grund der angeschnittenen Bodenschichten zur Pyrit- und Markasit-Verwitterung mit nachfolgend starker Versauerung des Wassers. Der Anblick augenscheinlich klaren Wassers sagt deshalb wenig aus, denn bei sauren pH-Werten können nur wenige Arten leben. Wie sauer geriet die Goitzsche?
Sintflut bezwang Goitzsche-Versauerung
Wie um die biblische Dimension der Landschaftsumgestaltung zu unterstreichen, wurde der heutige Riesensee aus vier Tagebauen während des Mulde-Hochwassers 2002 in nur zwei Tagen gewaltsam unter Wasser gesetzt. Für die Anwohner war das eine Katastrophe und die buchstäbliche Sintflut, für den See der Beginn einer erstaunlichen Entwicklung.
Die ehemaligen Gruben der Goitzsche sollten von 1999 bis 2006 allmählich mit Muldewasser gefüllt werden. Die ungeheure Ad-hoc-Flutung des Tagebauareals war furchtbar und ideal zugleich. Die Hochwassertage gehören zu den schrecklichen Erinnerungen der Anwohner, die Bilder vom Muldedurchbruch und der Sicherung Bitterfelds durch kilometerlange Sandsackwälle gingen durchs Fernsehen. Heute erinnert die 66 m lange Blaue Bank an viele selbstlose Helfer und prägt jenen Ort, an dem der größte Sandsack-Wall Bitterfeld-City vor den Fluten bewahrte.
Der apokalyptische Einstrom des Muldewassers brachte für den neuen See „alles Notwendige“ mit: nährstoffreiches Oberflächenwasser, welches die sauren Grubenwässer wirksam abpufferte, Flusssediment als Pflanzboden, Sporen und Samen für Armleuchteralgen und Wasserpflanzen sowie viele Fischarten.
Schon eine Woche nach dem Muldedurchbruch lebte im Goitzschesee ein vitaler Laichfischbestand von Barschen, Plötzen, Rotfedern, Bleien, Döbeln, Hechten, Karpfen, Zandern, Kaulbarschen, Aalen und Welsen. Die Fische würden nach nur einer Laichsaison alle Lebensräume des Riesensees in Besitz nehmen. Selbstverständlich brachte der Fluss auch Zooplankton, Muscheln, Schnecken und Flusskrebse mit.
Anfänglich wurde von Wissenschaftlern ein dominantes Überschiessen der Schmalblättrigen Wasserpest befürchtet. Diese konkurrenzstarke Wasserpflanze aus Nordamerika besiedelte in den ersten beiden Jahren zwei Drittel der Flachwasserareale und man befürchtete bereits die Notwendigkeit von Mäharbeiten (wie im Heider Bergsee bei Brühl), um auch nur die Badestellen nutzen zu können. Doch die Natur pendelte sich ein, und heute beobachten wir eine vielfältige, mosaikartige Verteilung artenreicher Wasserpflanzenbestände.
Seegrund vor der Tauchbasis Bernsteinsee
Wenige Meter vom hölzernen Doppelhaus der Surfschule und Tauchschule lockt eine Lücke im Schilf ans Wasser. Hier kann man gut über stein- und muschelreichen Hartboden einsteigen und sich in tieferem Wasser fertig ausrüsten. Neuester „Peilpunkt“ vor der Tauchbasis ist die rotweiße Boje über dem 8,50 m langen Motorbootwrack, das im April 2012 ins Wasser kam. Das Boot liegt in 13 m Tiefe auf schotterigem Untergrund und ist ein einfaches Tauchziel und Fotomotiv zugleich.
Kein Wrack ohne Geschichte: Die edle Kunststoff-Motoryacht von Typ „Bayliner“ lag im Mai 2011 noch auf einem Bootswagen vor der Halle des Yachtclubs Bitterfeld in der Niemegker Straße. Bei Wartungsarbeiten an der Schraubenwelle geriet das Boot in Brand, eine Frau verletzte sich schwer. Weil die Bootstanks bereits gefüllt waren, bestand eine sehr gefährliche Situation. Fünf Feuerwehrfahrzeuge eilten heran und die Teams füllten den Bootsrumpf mit Schwerschaum. An der Yacht selbst entstand mit 30.000 Euro Totalschaden, aber auch die Bootshalle war frontal mit verschmort. Dieses Wrack liegt heute mit deutlich sichtbaren Brandspuren vor der Basis im See.
Obwohl die Bezeichnung Bernsteinsee für ein Teilbecken der Goitzsche wie ein Marketing-Streich klingt, gibt es eine wahre Geschichte: In diesem Tagebauteil wurde von 1975 bis 1993 ein Bernsteinflöz abgebaut. Die Förderung von Bernstein als Nebenprodukt einer Kohlengrube gehörte zu den allergeheimsten Geheimnissen der chronisch klammen DDR. Zudem eine echte Kuriosität: Die dreckigste Kohlengrube Mitteldeutschlands förderte das begehrte tertiäre Harz und belieferte damit den renommierten „VEB Ostsseeschmuck“.
Von dort wurden viele „Bitterfeld-Bernsteine“ gen Westen exportiert. Von 1990 an wurde die Goitzsche bis zur Flutung ein in Bernsteinsammler-Kreisen berühmter Claim. Das ist kein Wunder, denn das Bernsteinflöz war an seinen besten Stellen 4 bis 6 m dick und konnte bis zu 54 kg Bernstein je Kubikmeter Boden enthalten. Jeder Starkregen spülte neue Einzelfunde ans Licht. Zu besten Bergbauzeiten wurden 50 Tonnen reiner Bernstein pro Jahr gewonnen.
Als nach der Wende das Bergbauende und das Wasser kamen, wurde der Bernsteinabbau versuchsweise für ein knappes Jahr per Schwimmbagger fortgesetzt. Zu Ende der Bernsteinförderung verblieben (durch Probebohrungen genau ermittelte) mindestens 800 Tonnen Bernstein im See. Der Schwimmbagger verlor seinen Ausleger im Wasser. Das Teil gilt als noch zu findendes Tauchziel vor der Basis und liegt in der Nähe eines Telegrafenmastes in 35 m Tiefe sowie einer Schotterstrasse mit parallel verlaufenden Rohrleitungen.
Das sagenhafte Bernsteinflöz im einstigen Baufeld Mühlenbeck vor der Basis ist leider mindestens zwei Meter unter dem heutigen Seegrund verschüttet. Aber der Abraum des früheren industriemäßigen Abbaus wurde in den flachen Seeregionen des Niemegker Seeteils aufgespült. Dort halten Kenner immer noch kleine Bernsteinfunde für möglich. Als Treppenwitz der Geschichte darf gelten, dass eine lokale Entwicklungsgesellschaft schon einmal Tauchen und Bernsteinsuche anbieten wollte und das Projekt mangels Funden aufgab.
Unmittelbar vor der Tauchschule liegen als Fischlaichplatz eingebrachte Bäume und verschiedene Ausbildungsplattformen. Es wurde ein verleinter Rundtauchweg installiert. Unterwegs sind Begegnungen mit Hecht und Zander möglich. Tiefere Tauchgänge führen zu einem Weg mit Baumreihe. Tief unten in 30-40 Metern steht ein kleiner Wald. Genau über diesem Wald sank ein Segelboot und darf als erstes Wrack der Goitzsche gelten. Auf Grund der dichten Gehölze kann das Segelboot per Echolot nicht geortet werden und harrt ebenfalls seiner Wiederentdeckung durch uns Taucher.
Die Waller vom Bärenhof-Tunnel
Dann liegt das Boot dicht beim von Bojen abgegrenzten Totalreservat „Goitzsche-Wildnis“. Unter uns ruhtt eine unterseeische Baumstubbenlandschaft. Hier wachsen die submersen Pflanzen nicht mehr so dicht, dafür jedoch fünf bis sechs Meter hoch in erstaunlichen Formationen. Nie zuvor sahen wir so lange Tausendblatt-Sprosse!
Der Seeteil dicht an der Insel Bärenhof wird zukünftig allein im September und Oktober betaucht werden. Bärenhof ist Totalreservat und „Heiligtum“ der Naturschützer: Hier sind Reste des früheren Auwaldes im Original erhalten, hier brüten See- und Fischadler, hier leben zahllose seltene Libellenarten. Uferschwalben, Eisvögel, Kraniche und drei Möwenarten lassen sich immer wieder beobachten. Der bizarre Teilsee wird von Bärenhof selbst, den Landmassen des Baufeldes IIa und der Tonhalde 10/35 umschlossen.
Auf der Insel und der in der Nähe liegenden Halbinsel befanden sich einst die Tagesanlagen und Werkstätten der Kohlegruben. Um die Zufahrt zu diesen Anlagen auf gewachsenem Boden zu erhalten und dennoch Trassen für die Kohlezüge aus der Grube zu schaffen, erbaute man in dieser flachen Teilgrube Bärenhof zwei Eisenbahntunnel.
Über den mutmaßlichen Tunneldecken tauchen wir lange dahin. Armleuchteralgenwiesen mit solitären Laichkräutern zieren weite Flächen. Immer wieder entdecken wir Ranken des „fleischfressenden“ Wasserschlauches, der hier lose auf anderen Pflanzen aufliegend lebt.
Dann erreichen wir einen der Tunneleingänge. Ein Monument aus Betonfertigteilen, mit Geländer am oberen Ende, hinter dem Althölzer mit Wasserpflanzen stehen. Am Mittelpfeiler gibt es ein vergittertes Fach im Beton: Da stand wohl einst die Grubenlaterne oder die St. Barbara-Figur der Bergleute. Im Tunnel haften leicht aufwirbelbare Kieselalgenschichten und Dreikantmuscheln. Das stagnierende Wasser im Tunnel ist mal klar und mal milchig.
Vom nächsten Tunnelmundloch an folgen wir dem Sohleinschnitt für die Grubenbahn. Beide Böschungen sind noch immer von Bäumen bestanden. Aus dem veralgten Geäst schwebt majestätisch ein Wels heran. Bald sehen wir einen zweiten.. Langsam nähern wir uns dem Baum. Unglaublich: Im Altholz eines einzigen Baumes, nicht weit vom Eisenbahntunnel, ruhen fünf metergroße Welse. Die haben wahrscheinlich noch nie Taucher gesehen. Drei der großen Fische rühren sich kaum, zwei von ihnen schwimmen uns gelassen, ja betont langsam entgegen, drehen eine Runde im blassgrünen Wasser und kehren zum Baum zurück. Welse sehen schlecht, deshalb kommt uns einer der Fische immer wieder ganz nah, um sich ein Bild zu machen. Rund um die Insel Bärenhof scheint das Refugium der großen Räuber zu sein. Vielleicht haben sie im alten Eisenbahntunnel eine ungestörte „Kinderstube“.
Bärenhof-Tauchgänge sind etwas für geübte Taucher. Das Boot ankert dabei außerhalb des Totalreservates. Während des Tauchganges müssen erst etwa 300 m Strecke an verlegten Leitseilen zurückgelegt werden, ehe einer der Tunnel erreicht wird. Der Rückweg wird dann lang, doch Auftauchen im Totalreservat ist verpönt und nur in echten Notfällen statthaft.
Am Muldedurchbruch von Null auf 75
Am Ostufer des Goitzschesees brach sich die Mulde 2002 Bahn durch Dämme und Bundesstrasse. Hier sieht man noch gut, dass der Boden mit Wasserbaumassnahmen befestigt werden musste. Alles ist wieder grün bewachsen und nur noch geringe Spuren erinnern an das gewaltige Ereignis. Hier haben das Hochwasser und die Sedimentfracht der Mulde eine gewaltige flache Böschung in den Döberner See hinein aufgeschüttet.
Wir schweben über weite Gebiete mit festem kahlem Seeboden voller Muscheln und vielen Amerikanischen Flusskrebsen. Dann entdecken wir ausgedehnte Characeenwiesen. Außerdem wachsen riesige Bulte der Schmalblättrigen Wasserpest. Sogar ein paar Süßwassermedusen ziehen durch das lichtgrüne Wasser..
Der Seeboden fällt nur sehr langsam ab. Während der Muldeflut haben Hubschrauber Container, Autowracks und andere große Gegenstände abgeworfen, um den Einstrom des Wassers zum Stehen zu bringen. Sicher kann man davon noch Sachzeugen finden. Doch die Schwimmstrecke wird lang, eine einzelne Flasche erweist sich als zu wenig Gasvorrat. Vielleicht liegen die besonderen Funde auch erst kurz vor der Endtiefe von etwa 75 m in diesem Teilsee?
Magische Wasserpflanzenfelder über der Bernsteinwaschanlage
Mit dem Zodiac verlassen wir den Bernsteinsee und erreichen die Ufer der Halbinsel Pouch. Auf der Halbinsel existieren besondere Bauwerke der künstlerischen Art wie die Labyrinthe oder das Amphitheater AGORA. Eine pralle Schilfzone säumt das Ufer. Blühender Wasserknöterich setzt rosa Tupfen. Beim Kunstwerk „Schwimmende Steine“ ist ein guter Platz zum Tauchen. Hier am Südwestufer der Halbinsel Pouch sehen wir kleine Kegelberge, deren Kuppen mit Restmaterialien des Bergbaues gestaltet wurden.
In durchlichteter Tiefe finden wir die ehemalige Grubenbahntrasse, mit beiderseits tiefen Wassergräben, Schotterbetten und halbhoch gekappten Bäumen. Überall haften Dreissena-Muscheln. Im klaren Wasser schwimmen wir über ausgedehnte Pflanzenbestände. Aus geschlossenen Flächen von Armleuchteralgen wachsen Ähriges Tausendblatt, Kammlaichkraut und Hahnenfuss hervor. Sehr große „Jungfischwolken“ wimmeln durchs Kraut. Unter uns bildet Schmalblättrige Wasserpest kompakte Bulte. Außerdem beobachten wir zierliche Sprosse des Krausen Laichkrautes.
Wir tauchen durch schmale Gassen in dem mehr als zwei Meter hoch wucherndem Tausendblatt, Kamm-Laichkraut und untergetauchten Zwiebelbinsen. Diese Binsen sind eine sehr säureresistente Pflanzenart der Bergbauseen. Mitunter formieren sich frisch grüne Characeen und versunkene Althölzer zu interessanten Stillleben.
Die Pflanzendschungel sind die idealen Lebensräume für Schleien und Rotfedern, die hier in großer Zahl umherstreifen. Wir sehen auch sehr große Schleien-Einzelgänger. Die Platzhechte stehen gern in der Nähe von regelrechten Wänden aus Spiegelndem Laichkraut, die dicht geschlossen bis zur Wasseroberfläche aufragen. Zander und Kaulbarsch schätzen eher steinige Flächen oder veralgte Baumstubben mit Hohlräumen.
Verschwundener Fluss und Mooreichen beim Roten Turm
Am Südostufer der Halbinsel Pouch. sehen wir noch mehr Pflanzenwälder voller Fische. Inmitten des Pflanzendschungels ruhen Zeitzeugen der Geschichte: Etwa die Schilder „Bergbaugelände, Lebensgefahr“ oder die Steinklötze des alten Lehrpfades, die einst kluge Inschriften trugen. Unterwegs sichten wir die Fundamente abgetragener Gebäude. Im Sediment unter uns müssen sich die Reste der legendären Bernstein-Waschanlage aus Bergbautagen befinden.
In Richtung Pouch erreichen wir ein Flachwasserrevier mit im Wasser aufragenden Säulen. Diese Monumente gehören zum Kunstwerk „Der verschwundene Fluss“. Wegen des Bergbaues wurden einst 9,2 km Muldefluss in ein neues Bett verlegt. Das eigenartige Kunstwerk zeichnet den alten Muldeverlauf am heutigen Nordufer des Goitzsche-Sees nach. Vor dem Roten Turmes von Pouch finden wir neue Pflanzenparadiese, aber auch eine melancholische „Mondlandschaft“.
Teilweise ist die unverfälschte Struktur der Tagebauwand erhalten geblieben. Wir folgen zwei tiefen Einschnitten im Grund, zwei ungeheuren Erosionsrinnen, die weit in die Tiefe zu einer Sandbank mit Baumwurzeln, Kaulbarschen und Krebsen führen. Vielleicht stammen einige der dunklen Holzstücken auch von jenen Mooreichen, die durch Huminsäure und Luftabschluss tiefdunkel konserviert wurden. Die 8.000 Jahre alten Mooreichen waren ein weiterer wenig bekannter Schatz aus dem Tagebau und wurden für seltene Furniere verwendet. Vergessen Sie Wurzelholz bei exklusiven Autoausstattungen – Mooreiche ist der Hit!
Am Pegelturm und der Bitterfelder Wasserfront bitte nicht mehr tauchen!
In den Anfangsjahren der frisch gefluteten Goitzsche war es üblich und geduldet, auch in der Seeregion vor der Biermannschen Villa und insbesondere im Umfeld des Edelstahl-Pegelturms zu tauchen. Bitte tauchen Sie dort nicht mehr. Im Bereich des Pegelturmes und im Umfeld des Bitterfelder Hafens, der so genannten Bittefelder Wasserfront, sind Sportbootverkehr und Fahrgastschifffahrt besonders dicht.
Dort ist das Tauchen nicht nur gefährlich, sondern auch verboten. Die Unterwasserlandschaft mit ausgedehnten Wasserpflanzenwiesen ähnelt der, die wir vor der Halbinsel Pouch ganz entspannt besuchen können. Ferner wird die Benutzung einer Taucherboje, beziehungsweise deren Setzen bei Erreichen des Flachwasserbereiches, dringend empfohlen. Unhörbare Segelboote dürfen nahezu überall auf der Goitzsche fahren und eine Boje minimiert Ihr Risiko.
Tauchparadies, Expo-Landschaftskunstprojekt und wahre Wildnis
Ein großer Teil der Arbeiten an der Goitzsche war nötig, um das einstige Bergbaurevier standsicher zu machen. Zugleich erkannte man das Potential der zukünftigen Wald- und Seenlandschaft. Im Rahmen der EXPO 2000 nahm man sich vor, eine Landschaft mit absolut außergewöhnlicher ästhetischer Eigenart und Qualität zu schaffen, die über die bloße „Möblierung“ alter Gruben hinausgehen sollte.
Inzwischen ist die Kulturlandschaft Goitzsche insgesamt 62 qkm groß und weist 25 qkm verschieden genutzte Wasserflächen auf. Als Gigant unter den Wasserflächen umringt der Goitzschesee Bitterfeld von Nordosten bis Südwesten. Allein diese ungeheure Größe der Wasserlandschaft ermöglicht, dass Tourismus und Wassersport im Norden, Landschaftskunstwerke am Ufer verstreut und Naturschutz bis hin zum Totalreservat im Südwesten angesiedelt werden konnten.
Zu den besonderen kulturellen Landmarken gehören im Bereich der Stadt Bitterfeld der Aussichtspunkt Bitterfelder Bogen, das Wasserzentrum im Alten Wasserwerk, die Wasserfront mit dem Hafen und der Pegelturm mit Seebrücke. Das Dorf Mühlbeck-Friedersdorf hat sich mit 12 Antiquariaten zum „Bücherdorf“ entwickelt, während auf der Halbinsel Pouch verschiedenste Land-Art-Objekte entstanden. Mit Schloß Pouch, Rotem Turm und nicht zuletzt der Kult-Faltboot-Manufaktur POUCH (www.poucher-boote.de ) sind auch ein paar wenige historische Standorte zwischen Goitzsche und Muldestausee erhalten geblieben. Moderne Kunstwerke wie „Die Haut“, „Der verschwundene Fluss“ oder „Die Haldenkegel“ erinnern an den Bergbau, dessen Folgen nicht mehr völlig beseitigt werden können. Überblick über das Ganze bekommt der Besucher vom Aussichtspunkt „Bitterfelder Bogen“ aus. Die krasse Umgestaltung der Landschaft ist unumkehrbar und hat auch Vorteile: Eine Großseen-Landschaft, wo vorher keine war, und eine echte Wildnis.
Die so genannte „Goitzsche-Wildnis“ bezeichnet ein über 1300 ha großes Wald-, Seen- und Heidegebiet, dass teils Totalreservat bleibt, teils bewandert werden kann. Der Naturschutzgedanke für eine vom Bergbau verwüstete Landschaft resultiert daraus, dass einerseits ein kleines Gebiet des originalen Auwaldes der „Vor-Bergbau-Ära“ erhalten ist.
Andererseits sind aus der Sicht von Geologen und Biologen durch das Baggern, die Überflutung des Geländes und die völlig unbeeinflusst gebliebenen Flächen „Verhältnisse wie direkt nach der Eiszeit“ entstanden. Unverwitterter, unbewachsener und relativ unfruchtbarer Rohboden ist an die Erdoberfläche gekommen. Auf diesem Boden siedeln sich Pioniergesellschaften an, und man kann die Neubesiedelung kahler Flächen von Null an beobachten und verstehen. Dies ist von hohem wissenschaftlichen Wert, weshalb die BUND-Stiftung hier mehr als 1.300 Hektar Land gekauft hat.
Tauchen ist toll, doch wer gegen Abend still und leise mit dem Kanu die Goitzsche-Ufer entlang paddelt und ein Fernglas dabei hat, kann hier inzwischen auch Biber, Fischotter, Dachs oder die seltene Schlingnatter beobachten. Auch die Pelztiere und „Farmflüchtlinge“ Nerz und Nutria haben schon stabile Kolonien an der Goitzsche errichtet.
Der Mensch muss hier nichts pflanzen, aussetzen oder einbringen. Bleibt ein Landschaftsteil sich selbst überlassene Wildnis, siedeln sich bald alle „passenden“ Arten an. Damit die Wasserlandschaft der Goitzsche wegen der anhaltenden Grundwasserströme nicht überläuft, entwässern alle Seen im Gebiet in den Goitzschesee und dieser hat einen Überlauf zur Leine, einem kleinen Nebenfluss der Mulde. So hat die Natur nach einem runden Jahrhundert gewaltiger Umgestaltungen ein neues Gleichgewicht gefunden, das die „Wächter der Goitzsche“, gewaltige Stahlplastiken in der Paupitzscher Flur, ausdauernd bewachen. Die heilige Dreifaltigkeit am Wasser besteht bei Bitterfeld in der Koexistenz von Wassersportparadies, Landschaftskunstwerk und Naturschutz-Totalreservat an den Ufern eines einzigen Sees.
Bedenken Sie bei Tauchfahrten, dass die geschilderte Wasserpflanzenpracht meist von Juni bis Oktober zu sehen ist, während im April und Mai die braunen „Pflanzenruinen“ des Vorjahres, Fischlaich, kleine austreibende Pflänzlein und Krebse dominieren. Auch die meisten Fische fangen erst bei 8-10 Grad Wassertemperatur an zu fressen.
Infos Goitzsche bei Bitterfeld
Der Goitzsche-See: war der größte normalspurige Braunkohlentagebau von Mitteldeutschland mit beinahe 200 km Gleisanlagen. Hier wurden von 1949 bis 1991 Kohle und ab 1975 parallel Bernstein gefördert. Die riesige Wasserfläche besteht aus den drei tiefen Gruben der ehemaligen Baufelder Mühlbeck, Niemegk und Döbern sowie der flacheren Grube Bärenhof, deren Trennwände alle überflutet sind. Der Große Goitzschesee ist über 13 qkm groß, 6,7 km lang und im Durchschnitt 16 m tief. Der See verfügt zu 30 % über bis zu 5 Meter tiefe, pflanzentaugliche Flächen, weist aber auch Maximaltiefen von bis zu 75 Metern auf. Von Schnorcheln über Sporttauchen bis Techtauchen ist alles möglich. Das Wasservolumen der Goitzsche ist etwa genau so groß wie das des bekannten Werbellinsees in Brandenburg. Radfahrer und Scater können einen knapp 30 km langen Uferrundweg vorbei an zahlreichen kulturellen Sehenswürdigkeiten und gemütlichen Seerestaurants geniessen.
Anfahrt: Von der Autobahn A9 an der AS 12 Zörbig-Bitterfeld ab in Richtung Bitterfeld, Fahrt auf der B183 ins Stadtzentrum Bitterfeld, hier weiter auf der B100 Richtung Gräfenhainichen, am Ortsrand sind bereits Goitzsche, Hafen und Pegelturm zu sehen, weiter bis ins Dorf Mühlbeck, nahe am Ortseingang rechts abwärts zum See und Wassersportzentrum Al Faro am Bernsteinsee; inclusive Tauchbasis Bernsteinsee.
Tauchbasis: Die Tauchbasis Bernsteinsee www.tauchlehrer.com erhielt im Herbst 2011 die Lizenz zum Betauchen des gesamten Goitzschesees und zum Anbieten von Bootstauchfahrten. Basisleiter Frank Kleeblatt kennt die Tagebaue gut aus seiner früheren Arbeit als Bergbau-Vermesser. Die Tauchbasis Bernsteinsee steht Wand an Wand mit der Surf und Segelschule www.2water.de . Die Wassersportanbieter arbeiten eng zusammen mit der Trattoria al Faro www.trattoria-al-faro.de und deren Marina, die sich pioniermäßig zuerst an der Goitzsche ansiedelten nd direkt am Wasser eine tolle Beach-Bar betreiben.
Tauchpraxis: Im Grunde begrenzen allein Ihre Flaschengröße und Ihr Können Tauchgänge in der Goitzsche. Weiter entfernte Tauchplätze sind nur per Bootstransfer erreichbar. Für Bootsausfahrten sollten sich etwa sechs Taucher zusammenfinden. Auf Grund des Schiffs- und Sportbootverkehrs verlangt die Tauchbasis das Mitführen einer Sicherheitsboje, die bitte gesetzt wird, sobald Sie vom Tauchgang zurückkehrend nur noch 5-6 m tief sind. Ein guter Skipper hält dann Abstand von Ihrer mutmaßlichen Auftauchstelle.
Unterkunft: Zelt- und Wohnmobil-Stellmöglichkeit an der Tauchbasis auf Absprache, Ferienwohnungen und Pension direkt am See bei der Trattoria www.trattoria-al-faro.de, Hotels und Pensionen im Bücherdorf Mühlbeck-Friedersdorf: www.antik-gasthof-friedersdorf.de
Literatur: Tauchziel nahe der Goitzsche: „Tauchreiseführer Deutschland: Berlin, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen“, DELIUS KLASING Verlag, ISBN 3-89594-070-4. Das wunderbare und „vollständige“ Buch über die Goitzsche ist: „Aufbruch zu neuen Ufern: Die Goitzsche – das weltweit größte Landschaftskunstprojekt“ von Heinrich Schierz (Hrsg.), 2. Auflage 2009, ISBN 978-3-89923-227-1. Die authentischen Geschichten über den bernsteinclaim im See erzählt: „Bernstein-Abenteuer Bitterfeld“ von Carsten Gröhn, ISBN 978-3-8391-1580-0. Wissenschaftlich-gewässerkundliches zur Goitzsche liest man in: UFZ-Magazin No. 12/2006.
Falk Wieland
Beitrag erstellt 2012