Die Bucht des Skala Fjords auf den Färöer Inseln war am 12. September Schauplatz einer der größten Massentötungen von Delfinen. Mindestens 1428 erwachsene Tiere sowie zahlreiche Kälber fielen dem sogenannten „Grindadráp“ zum Opfer. Im Interview zeichnet Diplom-Biologin Verena Platt-Till von der Gesellschaft zur Rettung der Delphine e.V. (GRD) den Leidensweg der Meeressäuger nach, geht auf die Legitimation von Delfinjagden unter dem Deckmantel der Tradition der Subsistenzwirtschaft ein und erläutert, wie ein Zuchtlachs-Boykott Druck auf Regierung und Wirtschaft der Inselgruppe aufbauen könnte.
Frau Platt-Till, wie war Ihre erste Reaktion, als Sie vom Abschlachten der 1428 Delfine auf den Färöer Inseln erfahren haben?
Verena Platt-Till: Ich konnte diese große Zahl zunächst nicht glauben – und nach Ansicht der Bilder und Videos des Massakers war ich sprach- und fassungslos zugleich. Zusätzlich zu meiner tiefen Betroffenheit fühlte ich mich aufgrund des barbarischen Verhaltens der Färinger Bevölkerung angewidert. Es war brutal und gnadenlos, derart viele Tiere auf diese Art zu töten.
Welches Leid widerfährt den Tieren vom Erstkontakt mit den Jägern bis zum Tod?
Verena Platt-Till: Sobald eine Schule Grindwale an den Küsten der Inselgruppe vorbeizieht, werden die Fischer zusammengerufen. Mit ihren schnellen Motorbooten fahren sie anschließend hinaus, suchen die Grindwale und kreisen sie ein. Bereits der Krach der Motorboote löst bei den Tieren puren Stress aus. Gleichzeitig sorgt der Unterwasserlärm dafür, dass die Echoortung der Delfine gestört wird.
Derart orientierungslos können die Meeressäuger relativ einfach in die Bucht getrieben werden, wo sie schließlich mit ihren massigen Körpern stranden. Dann kommen die Männer mit ihren Messern und Fanghaken, schlagen den Tieren brutal ins Blasloch und versuchen das Rückenmark hinter dem Kopf zu treffen. Durch das Aufschlitzen soll die Schlagader, die das Gehirn mit Blut versorgt, durchtrennt werden.
Dieses Tötungsszenario hat am 12. September etliche Stunden gedauert. Es waren viel zu viele Tiere für die wenigen Männer, welche die Schlachtung vorgenommen haben. Die Delfine haben in ihrem eigenen und im Blut ihrer Familienverbände gezappelt. Sie haben bei vollem Bewusstsein mitbekommen, wie ihre Verwandten und wie sie selbst sterben. Man kann mit Worten gar nicht beschreiben, was diese Lebewesen durchleiden mussten. Angst, Panik und quälende Schmerzen. Ein grausames Massaker!
Ist also davon auszugehen, dass durch die fehlende Orientierung keine Tiere entkommen können?
Verena Platt-Till: Ja. Gerade Grindwale sind sehr soziale Meeressäuger, die immer einem Leittier traurigerweise manchmal buchstäblich bis in den Tod folgen. Daher auch der Name ‚Pilotwale‘. Deswegen sind auch Grindwale die am häufigsten an Massenstrandungen beteiligte Delfinspezies.
Die Färinger argumentieren, dass der Tod der Tiere durch das Durchtrennen des Rückenmarks schneller eintritt als durch den Einsatz von Harpunen. Ist dem Glauben zu schenken?
Verena Platt-Till: In der Theorie ist dies richtig, denn durch das Durchtrennen des Rückenmarks bluten die Meeressäuger schneller aus als mit einer anderen Tötungsmethode. In der Praxis – also während des Abschlachtens – sieht das jedoch meist anders aus, denn die Männer durchtrennen nicht immer gezielt das Rückenmark. Die Meeressäuger winden sich in ihrer Todesangst und bleiben alles andere als ruhig liegen. Da ist es schwierig, das Rückenmark präzise zu treffen. Die Bilder vom Grind zeigen es ganz deutlich: Die Delfine starben keinen ‚Sekundentod‘, sondern ihr Tod dauerte Stunden.
Die Färinger argumentieren, dass der Tod der Tiere durch das Durchtrennen des Rückenmarks schneller eintritt als durch den Einsatz von Harpunen. Ist dem Glauben zu schenken?
Verena Platt-Till: In der Theorie ist dies richtig, denn durch das Durchtrennen des Rückenmarks bluten die Meeressäuger schneller aus als mit einer anderen Tötungsmethode. In der Praxis – also während des Abschlachtens – sieht das jedoch meist anders aus, denn die Männer durchtrennen nicht immer gezielt das Rückenmark. Die Meeressäuger winden sich in ihrer Todesangst und bleiben alles andere als ruhig liegen. Da ist es schwierig, das Rückenmark präzise zu treffen. Die Bilder vom Grind zeigen es ganz deutlich: Die Delfine starben keinen ‚Sekundentod‘, sondern ihr Tod dauerte Stunden.
Studien besagen, dass Delfin- und Walfleisch oftmals viel zu giftig für den menschlichen Verzehr ist. Wenn dies den Tatsachen entspricht, müssten die Färinger doch schon aus Eigeninteresse die Grinds einstellen?
Verena Platt-Till: Das sollte man meinen, denn der Verzehr von Delfin- und Walfleisch ist in der Tat hochriskant. Dies liegt daran, dass diese Tiere ähnlich wie Haie zu den Top-Prädatoren der Ozeane zählen, die ganz oben in der Nahrungskette stehen. Über die Nahrungskette werden viele Giftstoffe wie Quecksilber, PCB und andere Schadstoffe akkumuliert. Für jeden, der dieses Fleisch zu sich nimmt, ist es gesundheitsgefährdend – insbesondere für Schwangere, für Frauen, die schwanger werden möchten, sowie für Kinder. Universitäten haben in verschiedenen wissenschaftlichen Studien festgestellt, dass Kinder mit Sprach-, Gedächtnis- und Erinnerungsstörungen einen hohen Quecksilbergehalt im Körper aufweisen, was auf den Konsum von Wal- und Delfinfleisch zurückzuführen ist.
Die Färinger legitimieren die Grinds durch die Tradition des Wal- und Delfinfangs aus dem 16. Jahrhundert. Darüber hinaus argumentieren sie, dass die Jagd für die Tiere verträglicher sei als die Massentierhaltung beispielsweise in Mitteleuropa. Was entgegnen sie diesen Traditionalisten?
Verena Platt-Till: Wir dürfen uns nicht besserwisserisch erheben und sagen: ‚Was wir machen ist gut, was ihr da treibt ist schlecht‘. Auch unsere Systeme müssen verbessert werden, sodass sie tiergerecht sind – artgerecht kann Massentierhaltung ohnehin nie sein. Der Unterschied zu den Schlachtungen auf den Färöer Inseln liegt woanders: Dort ist bei einem Grindadráp ein gewisser Volksfestcharakter festzustellen. Man sieht auf den Bildern und Videos, wie blutrünstig die Männer auf die Delfine zuspringen und die Tiere quasi abschlachten. Gleichzeitig haben die Kinder schulfrei und sind bei dem blutigen Massaker mittendrin; Arbeiter nehmen sich Urlaub, sodass ein großes Spektakel mit viel Publikum entsteht – unter dem Deckmantel der Tradition der Subsistenzwirtschaft. Zu beachten ist außerdem, dass am 12. September 1428 Weißseitendelfine geschlachtet wurden. Diese Spezies hat nichts mit der Tradition der Färinger zu tun, weil es beim Grindadráp ursprünglich ausschließlich um den Fang von Grindwalen geht.
Hat das aktuelle Massaker auf den Färöer-Inseln eine Dimension erreicht, die zum Game-Changer avancieren kann?
Verena Platt-Till: Absolut. Die GRD und andere Tierschutzorganisationen setzen sich seit Jahren gegen die Schlachtungen ein, wir haben es aber niemals geschafft, in den Medien eine Berichterstattung dieser Größenordnung zu erhalten. International wird das Massaker an den Delfinen stark angeprangert und auch auf den Färöer Inseln häufen sich – endlich – die Stimmen der Kritiker. Darüber hinaus äußert sich die Regierung erstmals dahingehend, dass die letzte Delfinjagd ‚nicht in Ordnung‘ gewesen sei und diese jetzt auf dem Prüfstand stehe. So etwas hat es in den vergangenen Jahren nicht gegeben.
Nichtsdestotrotz wurden bei einem neuerlichen Grind am 22. September weitere 52 Pilotwale geschlachtet. Statt Einsicht lassen die Färinger unbeirrtes Handeln erkennen…
Verena Platt-Till: Als ich von dem erneuten Grind hörte, dachte ich zuerst das sei ein schlechter Scherz. Dann war ich schockiert. Das Verhalten der Färinger Bevölkerung ist eindeutig als Provokation zu verstehen. Trotz des internationalen Drucks, der seit dem Massaker vom 12. September herrscht, zeigen sie der Welt nun klar und deutlich, dass sie ihre blutige Tradition fortsetzen werden. Ein eindeutigeres ‚Fuck you‘ gibt es kaum! Das nicht hinnehmbare Verhalten dieser blutrünstigen Bewohnerschaft muss durch weltweite Boykotte konsequent geahndet werden! Die Welt darf das Massaker auf den Färöern nicht vergessen!
Kann der Druck durch Boykottaufrufe noch verstärkt werden?
Verena Platt-Till: Ich denke ja. Ein Land bekommt Angst, wenn speziell dessen Wirtschaft von außen geschwächt wird. Im Fall der Färöer Inseln wird sehr viel Fisch produziert – allein Deutschland importiert 95 Prozent aller Zuchtfische nur von der Inselgruppe, die Hälfte davon sind Zuchtlachse. Es würde die Färöer Inseln sehr stark treffen, wenn hierzulande insbesondere der Lachs boykottiert werden würde. Gleichzeitig muss aber auch die Regierung dazu gebracht werden, dass sie Verbote ausspricht.
Was können Bürgerinnen und Bürger tun, um ihre Stimme gegen das Abschlachten der Delfine zu erheben?
Verena Platt-Till: Nach wie vor ist es unabdingbar, dass über die Gräueltaten auf den Färöer Inseln informiert wird. Die GRD hat unter anderem einen WhatsApp-Aufruf gestartet, mit dem man seinen Freundes- und Verwandtenkreis ganz leicht in Kenntnis setzen kann. Nur wenn alle um die Zustände auf der Inselgruppe wissen, kann man auch etwas verändern. Das bedeutet: Unterschreiben Sie Petitionen, unterstützen Sie Protestaktion wie die der GRD in Form eines vorformulierten Briefes an die Regierung der Färöer Inseln, boykottieren sie deren Produkte und reisen Sie nicht in das Land. Über weitere Aktionen werden wir Sie auf dem Laufenden halten.
Hintergrund
Lizenz zum Töten
Um an den Walschlachtungen (Grindadráps) aktiv teilnehmen zu können, müssen seit 2015 alle Jäger eine Schulung absolviert haben. Damit verfolgt das Fischereiministerium das Ziel, den Männern, Frauen und Kindern die korrekten Tötungstechniken zu vermitteln. So gehören zu den bei der Jagd noch erlaubten Werkzeugen eine Lanze, mit der das Rückenmark der Tiere durchtrennt wird, sowie ein stumpfer Haken, mit dem die Wale an ihren Blaslöchern an Land gezogen werden. Der Einsatz von Messern wurde weitgehend verboten. Im Rahmen der Schlachtung von 1428 Weißseitendelfinen im September 2021 kritisierten Tierschutzorganisationen, dass nicht alle Teilnehmer über eine „Lizenz zum Töten“ verfügt haben sollen.
Seit Mitte 2017 ist Diplom-Biologin Verena Platt-Till bei der GRD als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fundraising, in der Projekt-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit aktiv.
GRD
©Sea Shepherd