Den Zwenkauer See mit seinen 963 ha und maximal 49 m Tiefe kann man als den jüngsten, zuletzt zugelassenen Tauchsee im Leipziger Neuseenland betrachten. Es war ungefähr 12.00 Uhr mittags, da heulte das Typhon der SANTA BARBARA mehrfach auf, während das große Fahrgastschiff des Zwenkauer Sees weiterhin dichte Kreise um eine brodelnde Stelle im See zog. Dort versank, im letzten Moment sprichwörtlich in Sekundenschnelle, das etwa 2,6 Tonnen schwere zukünftige Wrack des Zwenkauer Sees. Für diesen Moment hatten Robert Lange, Inhaber der Tauchbasis Zwenkauer See und sein Team, einige Monate gearbeitet.
Das heutige Tauchwrack im See hat eine lange Geschichte. Man vermutet, dass dieses Wrack einst, und das meint die 1960er Jahre, ein Patrouillenboot der Wasserschutzpolizei auf der Elbe war. Als die Tauchlehrer der Tauchbasis Leipziger Delphine noch auf der Suche nach einem Schaustück für den Kulkwitzer See waren, wurde dieser alte Schiffsrumpf von Andreas „Rumpi“ Böhm auf einem Schrottplatz nahe der Elbe entdeckt. Andreas Böhm, Reinhard „Reini“ Gräfe und Freunde veranlassten eine Überführung nach Leipzig. Sie wollten den zum Schrottwert erworbenen Schiffsrumpf abseits des Sees zur Versenkung im Kulkwitzer See vorbereiten.
Doch dazu kam es nie: Mit dem 2002er Hochwasser gingen nicht nur riesige Zerstörungen einher, das Hochwasser veränderte auch die Pläne verschiedenster Menschen gravierend. Infolge des Hochwassers wurde ein anderes, wesentlich vollständigeres Schiff stark beschädigt und am Ende im August 2005 vorm Campingplatz im Kulkwitzer See versenkt.
Jahre gingen ins Land, ehe Course Director Robert Lange seine Tauchbasis am Yachthafen dicht beim Kap Zwenkau gründete und dann seinerseits nach Unterwasserattraktionen zu suchen begann. Wiewohl man glauben könnte, dass die verschiedenen Tauchbasen im Leipziger Raum Mitbewerber sind und sich in einer Konkurrenzsituation befinden, wurde der „gut abgelagerte“ Schiffsrumpf nun wieder erwähnt und beinahe „hervorgezaubert“ für Robert Lange. Namentlich Reinhard „Reini“ Gräfe, eines der taucherischen Urgesteine von Leipzig, organisierte aktiv, dass der junge Neugründer einer Basis im Herbst 2017 unkompliziert einen „Wrack-Rohling“ erhalten konnte.
Nunmehr setzte eine rund neun-monatige Arbeit ein.
Teil 1: Die Papierschlacht mit den Behörden, um eine Nutzungsvereinbarung mit der LMBV und darauf folgend die Wasserrechtliche Genehmigung zur Platzierung eines Stahlwracks zu erhalten. Damit betrat man juristisches Neuland; denn das war der erste Nutzungsvertrag der LMBV zum Versenken eines Wracks für den Tauchsport.
Teil 2: Die umweltgerechte Aufarbeitung des Wracks wie zum Beispiel Anstriche und Ölspuren beseitigen.
Teil 3: „Neuaufbau des Wracks“: Um das zukünftige Wrack attraktiv und sicher zu machen, wurden die fehlenden Aufbauten wieder rekonstruiert und eine Pallung aus Doppel-T-Trägern unter den Rumpf geschweißt. Dieses Stützwerk aus Stahlträgern garantiert eine sichere aufrechte Lage am Seegrund.
Am Dienstag, den 29.05. 2018 war es soweit: Das künftige Wrack lag aufgebockt im Yachthafen Kap Zwenkau bereit und stand geduldig Modell für Presse, MDR-Fernsehen und LMBV-Vertreter. Das Wrack hatte den in Edelstahlbuchstaben ausgeführten Namen MS REINI erhalten, um die Unterstützung durch die vorhergehende Tauchlehrer-Generation zu würdigen. Am Wrack wurden Basischef Lange und Tauchpionier Reinhard Gräfe interviewt. Sodann wurde das künftige Wrack morgens zwischen sieben und acht ins Hafenwasser gehoben.
Die Motorbootsbesatzungen der Wasserwacht, der Feuerwehr Zwenkau und der Tauchbasis selbst hatten schwer zu tun, den Rumpf mit den angeschweißten Trägern und einigen 1000-l-Schwimmkörpern aus dem Hafen zu bugsieren. Draußen im See geriet der Kurs zum mit Bojen markierten Untergangsort einer chaotischen Zick-Zack-Fahrt. Dies wurde vom relativ starken Wind verursacht. Nach dem bizarren Schleppzug war auch das Fahrgastschiff SANTA BARBARA ausgelaufen und bot Fotografen, dem Fernsehteam und Ehrengästen eine perfekte Plattform. Der Wind bewirkte, das auch das große Fahrgastschiff nicht ankern konnte, sondern kreisen und kreuzen musste.
Am Ziel angekommen, wurde das Wrack zwischen vorbereiteten 1000-l-Schwimmkörpern ausgerichtet und befestigt. Das künftige Schaustück MS REINI sollte genau auf die alte Tagebaustraße gestellt werden, über die vor Jahren MS BARBARA in den See getrailert wurde. Dazu hatte Basis-Chef Lange die alten Kran-Ösen der Betonstraße unter Wasser geschickt genutzt und einige 1000-l-Schwimmkörper (Chemikalienpaletten) an straff gespannten Drahtseilen über diese Straße gestellt. Der perfekte FAHRSTUHL ZUM SCHAFOTT, um in der Filmsprache zu bleiben, oder wenigstens in die Tiefe. Das Wrack lief über eine verklebte, vom Basischef unter dem Schiffsrumpf aufgeschnittene 2-Zoll-Öffnung voll Wasser. Dieses dauerte einige Zeit. Erst als jemand von den Begleit-Booten aus Spaß einige Eimer Wasser zusätzlich in den untergehenden Rumpf schüttet, ging MS REINI völlig ruhig liegend und waagerecht bleibend in Sekunden unter und rutschte planmäßig entlang der Führungs-Stahlseile auf Position. Allein die Vorbereitung der Leitseile zur sicheren Positionierung hatte 800 Minuten Unterwasserarbeit und Tauchzeit vor der Versenkung erfordert.
Oben am Wrack war ein großer gelber Hebesack angebracht, der den sinkenden Rumpf etwa 1,5 m über dem Grund nochmals stabilisierte. Mit dem Ablassen dieses Hebesackes wurde MS REINI dann kontrolliert und sanft auf den letzten Ruheplatz gestellt. Basischef Lange war die ganze Zeit im Tauchanzug im Wasser und hat buchstäblich jeden Schritt sorgfältig geprüft und angeleitet. Wir lernen: das perfekte Verbrechen mag es nicht wirklich geben, die perfekte Schiffsversenkung schon.
Nun liegt das Wrack unten, in den ersten Stunden nach dem Sinken in noch in etwas nebligem Wasser. Ab sofort steht ein 11,2 m langes, 2,4 m breites und etwa 2 m hohes Wrack in Anfänger- und Ausbildungstauglichen 14 m Tiefe zur Verfügung. Im gut durchlichteten Wasser wird es ebenfalls ein tolles Fotomotiv abgeben. Das Achterschiff von MS REINI ist völlig offen, auf dem geschlossen Vorderdeck gibt es eine große Luke. So kann man längs des Wracks unter den Aufbauten hindurch sogar eine kleine enge Passage durch das Schiff betauchen und einen realen Eindruck vom Wracktauchen in großen Schiffen bekommen.
Kurz nach 12 Uhr mittags war das Spektakel der Versenkung vorbei, doch die Arbeit ging weiter. Sofort wurden diverse Grundgewichte und Bojen geborgen und die Hilfsschwimmkörper von den Drahtseilen geschraubt, Spanngurte und Krantrossen vom Grund gehoben und die Verkehrssicherheit wieder hergestellt. Schon in wenigen Tagen wird die nächste Regatta der Segler am Zwenkauer See stattfinden und sicher über die Untergangsstelle dahinbrausen können. Doch auch in der Tiefe erwartet man viel: Es steht zu vermuten, dass das bizarre Wrack von der Natur als über den sedimentigen Grund aufragendes Hartsubstrat angenommen wird und nach einiger Zeit von Muscheln besiedelt wird.
So vergeht die Zeit. Am 20. März erschien das Buch TAUCHERWELT MITTELDEUTSCHLAND, das versuchte, alle Informationen für Taucher aus dem Neuseenland zusammenzufassen. Und dies ist schon die erste neue Neuseenland-Tauchergeschichte, die möglicherweise in spätere Ausgaben eingearbeitet werden kann.
Tauchbasis
https://tauchbasis-zwenkauer-see.de
Textmeldung des MDR:
https://www.mdr.de/sachsen/leipzig/schiff-im-zwenkauer-see-fuer-taucher-versenkt100.html
Textmeldung der LMBV:
https://www.lmbv.de/index.php/Nachrichtenleser/lmbv-1-nutzungsvertrag-zum-versenken-eines-schiffwracks-im-zwenkauer-see.html
Video in der MDR-Mediathek:
https://www.ardmediathek.de/tv/MDR-SACHSENSPIEGEL/Neue-Tauch-Attraktion-im-Zwenkauer-See/MDR-SACHSEN/Video?bcastId=7545204&documentId=52771114
Falk Wieland