Editorial Februar 2023

Passen Sie auf sich auf und halten Sie sich sicherheitshalber fern von Rucksackträgern, verschärft mit Smartphones am Ende des ausgestreckten Arms

Liebe Leserinnen und Leser,

jetzt ist es doch tatsächlich passiert, nach 1095 Tagen statt 365 gab es wieder eine Messe boot in Düsseldorf. Fast kaum zu glauben, denn die Anfang 2020 aus dem Nichts aufgetauchten Standup – Experten, unterstützt von schwurbelnden Politikern, hielten ja sogar noch im September 2022 an ihrer Meinung fest, dass die Veranstaltung des weltgrößten Volksfests in München, die Wiesn, unverantwortlich sei. Auch wenn ich als Münchner aus vielerlei persönlichen Gründen kein Freund mehr des so intensiv vermarkteten Volksfestes zur Huldigung großer Gerstensaftmengen bin, es war ein großer Schritt zurück ins normale Leben.

Ähnlich bewerte ich die Messe boot, die nun endgültig bewiesen haben dürfte, dass Masken nur für Tauchsportler und die Annahme fremder Identitäten im Umfeld des Faschings / Karnevals wirkliche Bedeutung haben. Und, Hand aufs Herz, was war ganz am Anfang, also beim Punkt 0 der sporttaucherischen Evolution das wichtigste zu erfindende funktionale Ausrüstungsteil schlechthin? Na?? Natürlich die Tauchmaske. Nicht der Atemregler. Da brauchte es noch Flossen, dann erst die Luftversorgung aus Flaschen.

Evolution, Sie kennen alle die Grafiken, die über ein paar Jahre der erdgeschichtlichen Entwicklung verteilt schließlich einen mehr oder weniger aufrecht gehenden Homo – den dazugehörigen lateinischen, wissenschaftlichen Begriff schreibe ich hier vorsichtshalber nicht, um möglichen sexistischen Anfeindungen zu entgehen – das vorläufige Ende der Fahnenstange aufzeigen. Aber wir sind schon einen riesigen Schritt weiter, nicht unbedingt nach vorn.

Denn es gibt jetzt den Homo cum sacco dorsuali et felis. So, das lassen Sie sich jetzt mal ganz in Ruhe auf der Zunge zergehen. Klingt ja irgendwie total harmlos. Naja, ich kann nicht unterstellen, dass jeder meiner Leser so um die 7 Jahre mit einer Sprache schulisch gequält wurde, deren User schon lange ausgestorben waren. Warum hat man uns nicht auch das Brunftgeröhre von Sauriern gelehrt? Mit Abiturprüfung! Tja, da springen jetzt keine „Experten“ in der ersten Reihe auf, wirklich schade.

Also, wer hier nicht weiterkommt, frage den katholischen Priester in einem unverfänglichen Nebensatz bei der nächsten Beichte, der muss das berufsbedingt übersetzen können. Oder der Apotheker, dann ist es aber nicht so schön intim. Solls ganz schnell gehen, Google kann auch Latein. Da muss man nicht mal eine Kerze neben dem Bildschirm anzünden. Knallhart kommt die Antwort. Das muss man abkönnen.

Nun, der Homo cum sacco dorsuali et felis ist bedauerlicherweise auch ein übermächtig häufiger Messebesucher, geschlechtlich nicht festgelegt, also von A – Z und non binär bis unendlich binär. Weils zum Thema passt, ich war erstaunt oder erleichtert, suchen Sie es sich aus, die Messe boot in Düsseldorf hat nicht noch einen ausufernd neuen, zentralen Toilettenbau zur Bedienung jedweder Erleichterungsverlangen gebaut, es blieb bei m,w,b. b ist die Toilette für Behinderte und erstaunlicherweise habe ich nirgends Menschen gesehen, die auf ihren persönlichen Druckabbau ideologisch getrieben verzichtet hätten.

Also, der Homo cum sacco dorsuali et felis ist nach vorne wie nach hinten äußerst raumgreifend und es geht ein Verletzungspotential von ihm aus. Denn er vergisst 1:1 in dem Moment, in dem er sich technisch wie mechanisch für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, etwa am Messebesuch, aufrüstet, dass er nicht allein ist, dass er Teil einer Menge X weiterer relativ aufrecht gehender Wesen ist, die in seiner unmittelbaren Nähe agieren.

Viele, viele Jahre war mir in diesem Zusammenhang unklar, was Angehörige des weiblichen Geschlechts in ihren überdimensionierten Handtaschen so alles mit sich schleppten. Danach zu fragen war unschicklich, unhöflich oder gar beleidigend. Und das größte Handtaschendesaster hatte ich mit Lotte Hass auf der boot. Wir hatten mit Hans Hass einen Interviewtermin für unseren Videokanal in der Halle 3. Lotte war mit dabei, begleitet von einem Handtaschenmodell Marke Überseekoffer. Das Interview begann, Lotte saß rechts von Hans, beide im Bild. Die Kamera war so positioniert, dass höflicherweise Lotte optisch fast mehr Aufmerksamkeit bekam. Das ging ein paar Minuten gut, dann griff Lotte unter den Tisch und stellte ihr Täschchen neben sich und begann darin zu suchen. Ab dem Moment war Hans weg aus dem Bild, da war nur noch Lotte und…. Allen war klar, das wird dauern, denn in so einem Damenbegleitbehältnis wird angesichts des Volumens nicht grad schnell gefunden, was gesucht wird. So war es auch.

Und heute reklamieren Menschen mit prallen Rucksäcken und ausgestreckten Armen, in denen sie Smartphones halten, einen enormen Platzanspruch. Was ist um Gottes Willen bereits um 10:00 Uhr morgens, die Messe hat gerade erst die Tore geöffnet, in den Rucksäcken? Überlebenspakete? Kleinzelte? Zapfanlagen für Erfrischungsgetränke und Kleinkühlschränke mit der Tagesration? Eingesammelte Kugelschreiber, Aufkleber und sonstige Werbeartikel können es nicht sein. Und wehe, du kommst so einem Homo cum sacco dorsuali et felis unvorsichtig zu nah und er dreht sich um, der Rucksack schleudert dich weg, da gibt es keine Betroffenheit beim Verursacher, das ist einkalkuliert.

Ich muss nachdenken, ist auf diese Art und Weise der Gladiatorenkampf der kleinen Frau, des kleinen Mannes wiederbelebt worden?

Passen Sie auf sich auf und halten Sie sich sicherheitshalber fern von Rucksackträgern, verschärft mit Smartphones am Ende des ausgestreckten Arms.

 

Herzliche Grüße, Ihr

Michael Goldschmidt