Die Tauchsportbranche sitzt in einem Boot, außer auf der boot 2020

Trennen sich die Wege, zersplittert eine gemeinsame, auch international geprägte Präsenz des Tauchsports

boot

Auf welchen Weg macht sich mit Blick auf den Januar 2020 die Tauchsportbranche? Möchte man an der 50-jährigen Tradition der international ausgerichteten Messe boot in Düsseldorf festhalten oder soll das Glück auf einer innerdeutschen InterDive in Frankfurt gefunden werden? Warum trennen sich offenbar die Wege, was steckt dahinter?

Drei Fragezeichen stehen über einer sich abzeichnenden Entwicklung. Die Bombe ist geplatzt, obwohl sie nach einem Meeting von Vertretern einiger führender Hersteller, Reiseveranstalter, der Messe boot und beobachtenden Pressevertretern in den Räumen des VDST Mitte Februar 2019 in Offenbach als entschärft angesehen wurde. Mitnichten, die Kuh ist nicht vom Eis, ganz im Gegenteil, wie sich aktuell zeigt.

Chronologie der Ereignisse

Im Verlauf der Messe boot im Januar 2019 waren es zunächst nur Gerüchte, die durch die Gänge zogen. Die seit vielen Jahren traditionelle „Taucherhalle“, die Halle 3, solle zukünftig umgewidmet werden. Motorboote statt Aussteller der Tauchsportbranche sollten dann dort zu finden sein. Dies haben viele als Rausschmiss empfunden, da von Seiten der Messeverantwortlichen zunächst keine Kommunikation stattfand, eher wiegelte man ab. Dann kam die nächste Gerüchtewolke, die die zukünftig für den Tauchsport vorgesehenen Hallen ins Spiel brachte. Erst spät reagierte man messeseitig dann eher halboffiziell und ließ wissen, dass die Hallen 11 und 12 die neue Heimat der Branche werden sollten. Gegen Ende der boot 2019 brachte sich der Veranstalter der InterDive in Friedrichshafen ins Spiel und stellte in Aussicht, eine zur boot alternative Messe zu veranstalten, wobei die Kostensituation für die Aussteller sowie ein kürzerer Messezeitraum das Thema beherrschte.

Daraufhin kam es zu einem Meeting in Offenbach, bei dem die Standpunkte der anwesenden Branchenvertreter, der Messe boot und des Herausforderers diskutiert wurden. Und hier entstand der Eindruck, dass das Thema einer „Gegenmesse“ erst einmal vom Tisch sei.

Doch die Ruhe war trügerisch. Jetzt geht der Veranstalter an die Öffentlichkeit, dass vom 15.-19.1.2020 in Frankfurt eine InterDive als Gegenpol zur boot stattfindet. Nicht nur die Überschneidung mit dem ersten Wochenende der Messe boot bietet Zündstoff.

Überschneidungen und Terminengpässe sind vorprogrammiert. Beginnen wir mit der Messe CMT Stuttgart der weltweit größten Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit, die vom 11. – 19.1.2020 stattfindet. Hier müssen schon immer interessierte Veranstalter der Tauchreisebranche eine Münze werfen, jetzt können sie an den Knöpfen abzählen, was gemacht werden kann oder soll.

https://www.messen.de/de/48/stuttgart/cmt-stuttgart/info

Paris darf man auch nicht aus den Augen verlieren, der Salon de la Plongée als „die internationale Tauchsportmesse“ in Frankreich, dauert vom 10. – 13.1.2020. Wer als dort teilnehmender Aussteller am 15.1.20 mit entspanntem und freundlichem Gesicht am Stand stehen möchte, dem bleiben dafür keine 36 Stunden in Paris abzubauen, einzupacken, nach Frankfurt zu fahren und aufzubauen. Wer das zu meistern versucht wird merken, dass Geiz alles andere als geil ist.

http://www.salon-de-la-plongee.com/fr/accueil.html

Darüber spricht man schon lange

Nahezu alle an der Messe boot teilnehmenden Aussteller beklagen seit Jahren, dass 9 Tage zu lang seien. Das Thema ist nicht neu, das war auch schon in den Boomjahren Mitte der 90er auf den Lippen.

Zu den Messetagen addieren sich noch die Zeiträume für Auf- und Abbau des Stands, der in vielen Fällen von den Ausstellern personell begleitet oder sogar allein erledigt wird, um wenigstens an dieser Stelle Kosten einzusparen.

Alles andere als ein Schnäppchen sind die Quadratmeterpreise für die Ausstellungsfläche, Stromanschluss, gegebenenfalls ein Wasseranschluss. Horrend ist die Summe für WLAN am Stand, ohne das kaum ein Aussteller noch seinen Geschäften nachgehen kann, gerade auch in der Reisebranche. Aber ebenso viele Messebesucher, die zuletzt 25 Euro für ein Tagesticket löhnten, hatten im Schwerpunkt als Vodafone – Kunden oder den Anbietern, die das Vodafonenetz versorgt, in Halle 3 ganz schlechte Karten. Funkstille. Seit Jahren. Hier scheint sich die Telekom eingekauft zu haben, die anderen Netze „zu beeinflussen“.

Das Thema Hallenbewachung, Diebstahlschutz außerhalb der Öffnungszeiten, ist ebenso heikel. Was in den letzten zwei Jahren nachts ganz gezielt im Schutz verschlossener Augen aus der Halle getragen wurde, markierte neue Höhepunkte auf der Negativskala.

Und nicht zuletzt, an jedem Tag vor Ort fallen für die Mitarbeiter zusätzlich Hotelkosten und Spesen an, Überstunden stehen auf einem anderen Blatt.

Das sind die Gewürze in einer momentan hochkochenden Suppe.

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der Herd dieser Suppe dennoch in einem Zweisterne – Ambiente steht, das in 50 Jahren weltweit einen Namen erarbeitet hat, von dem alle in der Tauchsportbranche profitieren.

Was ist paradox?

Seit vielen, vielen Jahren wird über die 9 Tage dauernde Messe regelrecht auch gemeckert. Wer es nicht tut, erscheint verdächtig. Und dennoch kommt jedes Jahr das Gros der Aussteller wieder, egal, ob mit 20 oder 500 m² Standfläche. Schwund gibt es immer. Eine Reihe von Firmen sind in den letzten 15 Jahren nicht mehr erschienen. In nahezu allen Fällen steht dahinter die bewusste Einstellung des Geschäftsbetriebs. Das hat nichts mit der Messe zu tun.

Wer als nicht mehr an der Messe boot teilnehmendes Label allein auf die Gesamtkosten hinwies, hatte damit eine Begründung gefunden, die von der Szene akzeptiert wurde, vielleicht auch gepaart mit einem kleinen Schuss Hochachtung, da hat sich einer doch getraut…. Was der wirkliche Anlass war, wurde dann auch nie hinterfragt.

Unzufriedene Zufriedenheit oder zufriedene Unzufriedenheit, was beschreibt die Gemütslage der Aussteller am treffendsten?

Was sagt der Direktor der Messe boot?

Petros Michelidakis nahm sich Zeit für ein langes Telefonat, noch vor dem Meeting in Offenbach.

Hier wurden alle Punkte der Unzufriedenheit angesprochen, aber auch der einer außergewöhnlichen Zufriedenheit der Ausstellermehrheit mit dem Geschäftsverlauf während der boot 2019. Den hatten wir selbst recherchiert und dieses Echo erreichte natürlich im Rahmen der Ausstellerbefragung auch die Messeleitung.

Herr Michelidakis sieht die Zufriedenheit vordergründig mit dem intensiven internationalen Marketing für die Messe boot, für den Tauchsport. Hier war viel Geld ausgegeben worden, er spricht von 1 Million Euro. Betrachtet man die Ergebnisse scheint das auch zu stimmen.

Doch warum musste es erst Gerüchte geben, die die Stimmung in Halle 3 verwässerte? Er räumt ein, dass hier hätte besser kommuniziert werden können was schlussendlich dann geschah.

Nachgefragt, warum die Halle 3 nicht mehr für den Tauchsport zur Verfügung steht, hier seien ja viele Aussteller nahezu verwurzelt, gibt es eine überraschende Antwort: Man brauche für den Tauchsport mehr Ausstellungsfläche. Die Halle drei ist ausgebucht, es mussten für 2019 wieder eine Reihe von Absagen erteilt werden, für neue Kunden und bei Vergrößerungswünschen von Ausstellern. Mit den Hallen 11 und 12 steht mehr Ausstellungsfläche zur Verfügung und es wird weiter in die attraktive Gestaltung der Showbühne, dem Tauchturm und das Schnuppertauchen deutlich investiert. Es wird einen völlig neuen und weltweit einmaligen Tauchturm mit Hubboden geben, in dem Produkte im Einsatz gezeigt und das Schnuppertauchen stattfinden werden. Allein das liegt in einem Kostenbereich von rund 200.000 Euro.

Weiter erklärt er, dass die Halle 12 unmittelbar am Eingang Nord-Ost sei, dort hält auch der Bus. (Oder der Eingang Ost bietet von der Haltestelle aller Verkehrsmittel einen ebenso kurzen Weg in die Halle 12 wie sonst der Eingang Süd zur Halle 3) Die gegenüberliegende Halle 13 bedient in Synergie den Wassersporttourismus, eine thematische Verlängerung des Tauchsportthemas. Dass die neuen Tauchsporthallen schlechter erreichbar wären, stimmt also in keinem Fall, ganz im Gegenteil.

Zurück zur Halle 3, diese stünde in ein paar Jahren ohnehin nicht mehr zur Verfügung, entweder wird sie umfassend renoviert oder neu gebaut.

Auf die Kostenfrage der Aussteller angesprochen zieht er einen Vergleich mit anderen internationalen Messen und hier läge die boot im Durchschnitt. Er könne sich aber vorstellen, dass den Tauchsportausstellern 2020 auf unterschiedliche Weise ein Entgegenkommen gezeigt wird, da sie durch den Umzug in eine andere Halle mit neuer Flächenaufteilung der Stände gegebenenfalls Mehrkosten haben.

Thema 9 Tage Messedauer, hier sieht Petros Michelidakis keinen Spielraum zu Veränderungen. Seit Anbeginn schließt die Messe zwei Wochenenden ein. Den Auftritt des Tauchsports zu verkürzen, wäre nicht gerecht gegenüber den Besuchern. Die Wochenenden sind traditionell die besucherstärksten. Außerdem haben unter der Woche die Fachbesucher und Händler dann ausreichend Zeit für die Gespräche mit den Ausstellern, die schließlich zu Abschlüssen führen.

Droht ein Boexit?

Wenn die Geschäfte der Tauchsportbranche zur Messe boot 2019 so gut gingen, warum droht nun eine Spaltung? Aus vielerlei Gründen ist es nicht nachvollziehbar, oder doch?

Da gab es im TV einmal die Quizshow „Alles oder nichts“. So fühlt es sich augenblicklich an.

Was seit Jahren fehlt, ist ein geschlossenes Auftreten der Branche zum Erreichen gemeinsamer Ziele. Da hilft der TIV (Tauchsport Industrie Verband) mit seinen 9 (!) Mitgliedern nicht weiter. https://www.tauchsportindustrieverband.de/tiv-mitglieder/

Fände sich eine große Menge der Aussteller, Verantwortliche der Tauchsportbranche zur Formulierung ihrer übergreifenden Ziele regelmäßig zusammen, gäbe es eine starke Gruppe, die die Möglichkeit hätte, unübersehbar wahrgenommen zu werden. Große Ziele können nur gemeinsam erreicht werden.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung des Tauchsports in den letzten 10, 15 Jahren sind gemeinsame Lösungen gefragt, keine experimentellen Alleingänge.

Es muss schon mal bewusst über den Rand der Untertasse gesehen werden, Geiz ist eben nicht geil. Wer im Mercedes fahren will, muss sich klar sein, dass das mehr kostet, als im Polo. Und im Mercedes erreicht man viele Ziele sicherer und schneller.

Bei sachlicher Beurteilung, kann nicht erwartet werden, dass eine zeitlich überschneidende Messe InterDive in Frankfurt die in Einzelfällen hohen Erwartungen erfüllen kann. Dafür gibt es viele Gründe. Seit Jahren kämpfen alle Messen mit einem Besucherschwund. Der Kreis, den man um einen Messestandort ziehen kann, um ihn als Einzugsgebiet der größten Besuchermenge zu markieren, wurde durch das Medium Internet immer weiter verkleinert. Selbst im einwohnerstärksten Bundesland NRW, rund um Düsseldorf, blieb das nicht aus. Erst 2019 wurde der Negativtrend gestoppt. Das ist aber nicht den Besuchern aus der Region, aus den Niederlanden oder dem Norden geschuldet, die deutliche Zunahme internationaler Besucher spielt hier eine große Rolle. Und das funktioniert nur durch ein ausgereiftes, intensives, internationales Marketing. Das kostet und muss langfristig erfolgen.

Stand aufbauen, Ausstellungsstücke drapieren, hinter den Tresen stellen und darauf warten, dass mit dem Einlass wild entschlossene Besucher die Halle stürmen, ein Wunschtraum wilder Phantasie. In Zeiten, in denen die meisten Menschen online einkaufen, müssen sich Kaufhäuser immer wieder neue Attraktionen ausdenken. So auch Messen. Ohne Show, Unterhaltung, übergreifende Information mit Vorträgen, Themenwelten und lockerer Atmosphäre hält sich der Spaß in ziemlichen Grenzen. Wer das Gefühl bekommt in der drögen Ausstellung Grabstein, Sarg und Urne gelandet zu sein, wird bald das Weite suchen. Das muss man sich im gesamten Kontext vor Augen führen.

Eine in zwei Messen gespaltene Tauchsportbranche macht keinen Sinn. Da kann keiner gewinnen. Ihr da oben, wir da unten – um Wallraff /Engelmann zu zitieren. Die Typisierung nach wirtschaftlicher Leistungskraft ist ein alltägliches menschliches Verhalten. Das sähe im Fall einer tatsächlich veranstalteten Messe InterDive Frankfurt dann so aus, dass am Stand vielfach die Frage beantwortet werden muss, warum seid ihr hier? Dann kommt die Antwort, die schließlich aufs Geld hinausläuft.

Unwahrscheinlich ist auch, dass bei zwei Messestandorten viele Besucher sich beide Veranstaltungen auf die Haut kommen lassen, um sich ein Gesamtbild der aktuellen Szeneangebote zu machen. In Frankfurt gehen auch jene Besucher verloren, die mit einem ganz anderen Kerninteresse am Wassersport wie Surfen, Paddeln, Kiten kamen und bei den Tauchern hängenblieben, zu Neueinsteigern wurden.

Das Ziel für die Tauchsportbranche muss ein gemeinsames, starkes Auftreten sein. Eine InterDive Frankfurt würde nur dann Sinn machen, gäbe die Messe boot diesen Ausstellungsbereich auf und überließe ihn anderen. Dann würde richtigerweise die Branche in Frankfurt ein neues Ausstellungsdach bekommen.

Chancen

Die Szene könnte die Situation jetzt nutzen und gemeinsam der Messe boot vermitteln, dass ihr entgegengekommen werden muss. Noch besteht die Chance für alle, Zugeständnisse in den brennenden Punkten zu bekommen. Dem Initiator der InterDive Frankfurt wäre damit eine Menge Arbeit abgenommen und er hätte es auf diesem Weg geschafft, ein gemeinsames Handeln der Tauchsportbranche zu bewirken. Das wäre doch insgesamt ein positives Ergebnis.

 

Michael Goldschmidt