Ägypten ist kein Einzelfall, geht es um die Misshandlung von Tieren an touristischen Brennpunkten. Während man sich anderen Orts um die Verbesserung der Lebenssituation von Pferden, Kamelen, Maultieren, Eseln oder Elefanten bemüht, ist das am Rand von Kairo kein Thema, ebenso wenig im Tal der Könige oder gar im Tourismusministerium.
Viele der täglich für den Ritt oder die Fahrt um die Pyramiden eingesetzten Tiere zeigen deutliche Spuren ihrer Qualen. Ausgemergelte Tiere, die kaum noch die Kraft haben, mit Touristen voll besetzte Karren auf glatten, schräg in die Höhe führenden Asphaltrampen zu ziehen, werden von ihren Besitzern mit Stockhieben überzogen. Davon zeugen auch Narben und offene Wunden, die kaum versorgt werden. Obwohl der Strom kranker, unterernährter oder geschlagener Arbeitstiere in die Tierkliniken Kairos zunehmend ist, hat das keinen signifikanten Einfluss auf die Gesamtsituation.
Das Elend der Tiere am Rand von Kairo oder im Tal der Könige ist aber nicht typisch für Ägypten. Entfernt von den touristischen Metropolen ist der Umgang mit Kamelen, Pferden und Eseln völlig anders. Tiere haben in der Kulturgeschichte des Landes immer einen hohen Stellenwert gehabt und deren Wohl steht in den ländlichen Regionen außer Frage. Ihre Besitzer wissen nicht nur um deren Wert für sie als Arbeitstier, sie wissen auch, dass ihr eigenes Wohl von der Gesundheit und Ernährung der Tiere abhängt.
Mit 19,5 Millionen Einwohnern ist Kairo mehr als eine Metropole. Es ist ein stressiger Schmelztiegel von Einwohnern mit unterschiedlichster sozialer Herkunft und Bildung. Hier begegnen sich Mittelalter und Moderne, deren Vergangenheit als frühe Hochkultur nur noch an monumentalen Grabstellen wie den Pyramiden erkennbar ist. Hierhin zieht es zwischenzeitlich wieder mehr Touristen, Ägypten erlebt aktuell einen Aufschwung im Reisegeschäft. Für viele ist der Besuch der weltbekannten Kulturstätten ein Muss. Mit Bussen und Taxis nähern sie sich den Zielen, um dann per Pferd, Kamel oder Kutsche fußschonend das Terrain zu besichtigen. Geblendet vom Ziel ihrer Reise verschließen sie zu Abertausenden die Augen vor dem Leid der Arbeitstiere, die teils in jämmerlichem Zustand die Kundschaft ihrer Besitzer transportieren muss.
Am Rande des Moloch Kairo haben sich unorganisiert fliegende Händler und „Transportunternehmer“ mit ihren Tieren zusammengefunden, um vom Tourismuskuchen ein paar Brösel abzukratzen. Viele kamen als Glücksritter nach Kairo in der Hoffnung, hier Arbeit zu finden, die ordentlich bezahlt ist, um sich eine Wohnung leisten zu können. Für die Meisten ging dieser Wunsch auch nicht nach vielen Jahren in Erfüllung, in einem Land, das kaum Sozialleistungen kennt und in dem sogar junge Akademiker nach ihrem Studium keine angemessene Beschäftigung finden und dann in den Resorts am Roten Meer als Kellner arbeiten und mit ihrem nicht gerade hohen Lohn noch einige Familienmitglieder ernähren müssen.
Die Sitten verrohen, geht es um den täglich neuen Kampf ums Überleben. Das ist keine Entschuldigung für die vielfachen Misshandlungen der Arbeitstiere. Aber diese Qualen werden von den wegsehenden Touristen begünstigt, die zulassen, dass durch Ihre Nutzung von offensichtlich geschundenen Tieren neues Leid entsteht. Nicht alle „Transportunternehmer“ sind zu kritisieren, aber eine deutliche Menge, die mit ihren Tieren übel umgehen.
Die Tierschutzorganisation PETA hat zu einer Kampagne aufgerufen, alle Arbeitstiere an den wichtigsten touristischen Standorten Ägyptens zu boykottieren (Pyramiden von Gizeh, Tal der Könige, Luxor). PETA appellierte vergeblich an das Tourismusministerium für einen ethischen Umgang mit den Arbeitstieren. Antworten aus dem Ministerium blieben aus. Nun steht Grafikmaterial, von PETA erstellt, zur Verfügung, um international auf die misshandelten Pferde und Kamele aufmerksam zu machen. Dass so ein Missbrauch im modernen Tourismus keinen Platz hat, unterstreicht auch Ashley Fruno, Direktor für Tierhilfsprogramme der PETA.
Wie ethischer Tourismus in einem verarmten Land wie Ägypten aussehen soll, führt sogar in Tierrechtsgruppen zu Debatten. Tierausflüge bieten Tausenden ägyptischer Familien den Lebensunterhalt, und einige Gruppen argumentieren, dass es besser sei, missbräuchlichen Methoden Einhalt zu gebieten, anstatt den Einsatz von Tieren vollständig zu verbieten.
Nahe von Kairo gibt es noch weitere Brennpunkte des Tierelends. So ist der Gizeh – Zoo derart heruntergekommen, dass er bereits als der schlimmste Zoo weltweit eingestuft wird. Und auf dem Kamelmarkt von Birqash können Touristen gegen Eintrittsgeld Fotos machen. Viele Tiere dort sind sichtbar geschunden und blutige Mäuler kein seltener Anblick.
Und das Tourismusministerium schweigt, beantwortet PETA keine Fragen zu möglichen Plänen Ägyptens, Tierquälerei zu bekämpfen. Nach dem Vorbild von Rom, könnten Segways zu mieten angeboten werden, um die touristischen Highlights alternativ bewegt zu erfahren als Vorschlag von PETA. Hoffnungsvoll stimmt auch das Beispiel aus Kambodscha. Dort können die Angkor Wat Tempel mit Ebikes anstatt auf dem Rücken von Elefanten besichtigt werden.
Es soll aber etwas im Gang sein. Wie es heißt, würde von der Regierung ein neues Besucherzentrum an den Pyramiden gebaut werden, das noch im Sommer 2019 eröffnet werden könnte. Dabei soll auch ein Bereich vorgesehen sein, der den Angeboten von Kamel- und Pferderitten zur Verfügung stünde, dazu eine Einrichtung zur Versorgung der Tiere mit Wasser, Futter und medizinischer Behandlung.
Doch das betrifft nur den Bereich der Pyramiden. Die anderen touristischen Highlights profitieren hiervon nicht. Nur internationaler Protest kann helfen, den Verantwortlichen klar zu machen, welchen Schaden die hier geschilderten Missstände im für das Land so wichtigen Tourismusgeschäft anrichten kann, bleibt man weiterhin tatenlos.
PETA: Kampagne Arbeitstiere in Ägypten
Magazin Egypianstreets zum Gizeh Zoo
Video von PETA, veröffentlicht im April 2019 – nichts für schwache Nerven
Michael Goldschmidt