Was Wilfredo Boemeleit aus heutiger Sicht im Tauchtourismus auf den Kopf stellte, von dem bis heute zwischen Mallorca und Kuba viele Taucher profitieren, würde ein Buch füllen. Wilfredo war nicht öffentlichkeitsscheu, nur, er drängte sich nicht in den Vordergrund. Während andere die Eröffnung einer Tauchbasis schillernd feiern ließen, tat er dies von Mallorca aus, dort gründete er die ersten 4 Basen überhaupt, an 12 weiteren Standorten eroberte er Südamerika mit Club Nautilus Basen und Tauchschulen.
Verschmitzt lächelnd, freundlich, dem Leben und seinen mehr oder weniger kleinen Lastern zugetan, dieses Bild entsteht in meiner Erinnerung. Wilfredo war alles andere als ein Asket. Die besten kubanischen Zigarren genoss er wie kein anderer und als ein Wasserschaden einen Großteil der wirklich teuren Tabakprodukte im Keller seiner Residenz am Ammersee vernichtete, fand er doch einen Weg, die Versicherung zum Schadenersatz einlenken zu lassen.
Ist an dieser Stelle ein Lebenslauf von Wilfredo erforderlich? Ich denke schon. In Kurzform, sonst wird es abendfüllend. Am 24. März 1943 erblickte er in Caracas / Venezuela als Sohn deutscher Eltern den südamerikanischen Himmel. Er wuchs zweisprachig auf, deutsch und spanisch. Das war schon die halbe Miete für seine späteren geschäftlichen Engagements. Mit 17 kam er nach Deutschland, das war 1960.
Schon früh entwickelte er eine emotional enge Verbindung zu Mallorca, ab den 1960er Jahren war er dort fast Dauergast. Nebenbei bemerkt lernte er in Venezuela bereits als 11-jähriger das Tauchen. Heute in der Art undenkbar. Und auf dem Flughafen von Palma entdeckte er eine junge Frau, die ihn in seinen Bann zog, er nahm sie an der Hand, ohne viel zu fragen und letztlich wurde Karin seine Frau. Das große Los.
Und hier darf ich die Journalistin Anja Marks zitieren, die Wilfredo im März 2017 auf Mallorca, seinem Ruhesitz – nachdem er sich von München bzw. Inning am Ammersee zurückgezogen und sein Unternehmen verkauft hatte – interviewte:
Ähnlich wie mit seiner Frau verhielt es sich bei Wilfredo übrigens mit fast allem, was er an oder in die Hand nahm. „Ich hatte immer gute Ideen, habe versucht, stets das zu machen, was es noch nicht gab. Ende der 60er Jahre war Cala Figuera ein Hotspot auf Mallorca, viele Veranstalter schickten besonders ihre junge Klientel in den kleinen Hafenort“, erinnert sich Boemeleit. Aber nach dem Motto „Reiseleiter kann jeder“ hatte er noch eine andere Idee. Der damals 24-Jährige eröffnete im Sommer 1967 in Cala Figuera die erste Tauchschule Europas, die den Kunden auch ihre komplette Taucherausrüstung zu Verfügung stellte.
Schnell kam die zweite Tauchschule in Portocolom hinzu, der dritte und vierte Club Nautilus wurde in Cala Rajada und Cala Blava eröffnet. „Wir hatten einfach eine echte Marktlücke entdeckt, denn bis dahin mussten Hobby-Taucher immer ihre gesamte Ausrüstung mit auf die Reise nehmen – nicht sehr bequem.
Weitere interessante Rückblicke gibt es im Artikel von Anja Marks hier
Ich denke, es gibt keinen, den Wilfredo in der internationalen Tauchsportbranche nicht kannte. Er hatte sein Netzwerk. Unauffällig. Aber er versteckte diese Ressourcen nicht, er teilte sie. Oberstes Gebot: Er ließ sich nicht ausnutzen. Wer das versuchte, dem flog die Türe von Nautilus Tauchtours schneller vor der Nase zu, als man „aber“ sagen konnte.
Wir haben mit UnterWasserWelt und privat ein wirklich gutes Verhältnis geteilt, trafen uns in Inning am Ammersee, dort bewohnte er die wunderbare Villa des Komponisten Werner Egk, ein Kraftort und unbeschreiblich inspirierender Treffpunkt.
Natürlich waren unsere Zusammentreffen auf Kuba, auf der von ihm so benannten Schatzinsel (rechtlich so eingetragen, Originalname isla de la juventud) auch immer unterhaltsam, informativ und vor allem humorvoll. Den Cuba Libre von dort gab es in ausreichender Menge auch immer auf seinem Messestand der boot. Solange er dort für Nautilus Tours verantwortlich war. Sein Nachfolger als Unternehmensinhaber war nie so gesellig und mit etwas über 20 Jahren Lebensalter konnte er mit dem kommunikativ nicht mithalten, was Wilfredo über Jahrzehnte erlebt und erreicht hatte.
Wilfredo war sehr rührig, mich mit Kontakten vor Ort auf Kuba zu versorgen. Er brachte mich mit der Rekord – Apnoetaucherin Deborah Andollo zusammen. Ich konnte ihr Training mit der Videokamera begleiten, sie tauchte 1999 fast 80 Meter tief in der Disziplin Constant Weigt (mit eigener Kraft ab-und auftauchen). Beim Training wurde es brenzlig, weil sich ein Hochseehai für Deborah intensiv interessierte, so musste geordnet der Rückzug angetreten werden. Alle kamen unversehrt zurück an Bord des Tauchboots.
Auf Kuba war einmal Leni Riefenstahl zu Gast, als ich auch dort eine Produktion hatte. Wilfredo stellte den Kontakt her und so hatte ich die Gelegenheit, sie bei Dreharbeiten unter Wasser für ihr letztes großes Filmwerk mit meiner Kamera zu begleiten. Es sind die letzten Filmdokumentationen ihrer Arbeit, auch wenn schon länger ihr Partner und späterer Ehemann Horst Kettner die große Sony Beta SP Kamera im speziell angefertigten Subalgehäuse führte.
Und Wilfredo brachte uns spontan als erste Journalisten auf seine heißeste neue Destination, die Gärten der Königin, ein Mangrovenareal 50 Kilometer vor der Küste Kubas mit einer kleinen Hotelplattform. Es war, es ist die wunderbarste Tauchdestination in der Karibik, die wir je erleben durften.
Karin, es tut mir leid, ich habe dich gerade aus den Augen verloren. Wilfredo nahm dich an der Hand und ließ nicht mehr los. Das hat euch beide spontan zutiefst miteinander verbunden. Ich weiß, dass das nicht einfach war. Du hast dafür sehr viel Kraft einsetzen müssen. Bist dabei sicher weit über dich hinausgegangen.
Und dann die Todesanzeige in der SZ. Ein Zufallsfund. Ein ganz trauriger Zufallsfund. Ihr habt euch nur wenige Wochen einzeln vom Hier verabschiedet. Ein Trost nur, ihr musstet nicht lange Zeit getrennt sein, dort, auf der anderen Seite.
Danke für eure Freundschaft, für die Zeit, die Erlebnisse, die Abenteuer, das Vertrauen.
Michael Goldschmidt