Editorial November 2020

Gedanken in unberechenbarer Zeit

Liebe Leserinnen und Leser,

wir surfen auf einer zweiten Welle. Unfreiwillig, denn die, die uns ins Wasser geschubst haben, um auf der Welle zu reiten, sind alles, nur keine Wassersportler. Schaue ich mir jeden einzelnen / jede einzelne bei den vielen im TV aufgedrungenen Talkterminen an, – meistens sind es die selben – frage ich mich, wann sie das letzte Mal so richtig Wasserkontakt hatten und frei draußen herumliefen, quer durchs von ihnen hysterisch gegängelte Land.

Wir werden nahezu täglich mit neuen Verordnungen und Androhungen überschüttet, die nicht länderübergreifend identisch sind, nun kochen auch noch Städte und Gemeinden eigene Süppchen, die wir dann auslöffeln müssen. Die einzige Einigkeit besteht bei der Erhebung von Bußgeldern in nicht unerheblicher Höhe, die polizeikontrolliert zu entrichten sind.

Wann dieser Irrsinn endet, weiß niemand so genau, denn er wurde von Politikern auf den Weg gebracht – sie sind ja unfehlbar – aber jene haben noch keine Ahnung, wie sie aus dieser Nummer so elegant rauskommen, dass ihnen die nächsten Wahlergebnisse nicht laut krachend um die Ohren fliegen.

Dass viele Player der Tauchbranche deshalb wirtschaftlich und mental die gebeutelste Szene im Wassersportgeschäft verkörpern, ist bereits bis in die Spitze der Messe boot vorgedrungen. In einem ausführlichen Telefonat mit Petros Michelidakis, boot Project Director, habe ich dieses Thema intensiv besprochen. Er hat eingeräumt, erst durch die Krise die unlösbaren Zusammenhänge im Tauchsport erkannt zu haben. Keine Reisen, keine Ausbildung, kein Bedarf an Equipment, um es kurz auf diese drei Kernthemen zu reduzieren.

Und wie ich es sehe, das ist auch ein Ergebnis des jüngsten Telefonats, hat in der eben genannten Reihenfolge bereits ein Prozess von Firmenauflösungen stattgefunden, Firmen und Basen, die nicht mehr an der Messe boot teilnehmen werden, weil es sie schlicht nicht mehr gibt. Es sind Anbieter, die viele Jahre in Düsseldorf ihre Destinationen präsentierten, ihre Kunden begrüßten und neue Buchungen entgegennahmen. Das schmerzt sehr.

Auch die Ausbildungsverbände haben zu kämpfen, besonders jene, die ihre Ausbildung gleichzeitig an von ihnen im Reisemarkt angebotene Destinationen verknüpfen. Generell, nach langer Zeit geschlossener Bäder, in der die Grundausbildung absolviert wird, geschlossener Grenzen, die nicht einmal das Ausweichen – unser Standort Bayern zum Beispiel –  zu Seen in Tirol oder Oberösterreich erlaubten, war in keiner Weise daran zu denken, irgendetwas unter dem ganz harmlosen Wort „NORMAL“ abwickeln zu können.

Nun, erst einmal stufte ich im Rahmen der Virenhysterie auch die Hersteller als Opfer ein. Da gibt es tatsächlich auch Kandidaten, die in guten Zeiten ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatten. Große Labels wie auch Spezialisten hatten dagegen gut gefüllte Auftragsbücher.

Ich denke nach. Was ist, was war gerade mein Kaufverhalten in den letzten Monaten? Grundsätzlich, es hat nichts mit der Virenhysterie zu tun. Ich entschied mich nach einem endlosen Jahr des Nachdenkens letztlich für einen neuen Trockentauchanzug auf Teil – Maß von Camaro. Weil, Camaro ist nur 130 km vom Redaktionssitz entfernt. Trockentauchanzug im Sommer bestellt, das ist doch eine Nummer von wenigen Tagen. Weit gefehlt, da waren 6 Wochen anzusetzen, eine Zeitspanne, die im Hochsommer bei Camaro noch nie vorkam. Alle wollten einen Trocki. Ja klar, Tropen gehen nicht, das alte, über Jahre vergammelte Süßwasserequipment muss ersetzt werden, möchte man hier verantwortungsbewusst abtauchen. Und das brachte auch den großen Branchenlabels gute Umsätze, ab in den See.

Meine Apnoe Passion bewegte mich dazu, nun auch einen Anzug vom Spezialisten anfertigen zu lassen, die Materialstärke 5,5 mm fehlte im eigenen Apnoeanzugpool noch irgendwie schmerzlich. Also vermessen lassen und Auftrag absenden nach Rom. Da darf ich grad nicht hin und ein Römer auch nicht zu mir. Später dann aber der Anzug, der braucht keinen Hysterietest.

Es ist ja schon spät im Jahr, Mitte Oktober, da meint man doch, dass ein Spezialist für Apnoeanzüge wie PoloSub mit der Fertigung seiner ausschließlich als Maßanzug gefertigten Modelle nicht so viel zu tun hat. Aber weit wieder gefehlt. Davide von PoloSub nennt 7 Wochen als Lieferzeit plus Versand. Also boomts auch da. Das freut mich.

Und wie schauts aus mit der Tauchsportbranche zum Anfassen in Düsseldorf im Januar 2021 auf der Messe boot? Generell, ich weiß es nicht. Petros Michelidakis ist anhand der vielen neuen Maßnahmen, die die Messe hygienetechnisch clean machen, zuversichtlich. Da muss aber auch die Politik im Januar 2021 mitspielen. Und die ist schlicht unberechenbar.

Klar ist, dass es, wie oben geschildert, eine Reihe von kleineren Anbietern im Reise- und Basenbereich generell nicht mehr gibt. Festgestellt ist, dass die meisten großen Hersteller – Labels außer AquaLung ihre Teilnahme absagten. Auch viele Ausbildungsverbände haben ihre Teilnahme zurückgezogen.

Ich weiß, dass die boot 2021 ein starkes Zeichen für den Tauchsport zeigen möchte. Hut ab, Herr Michelidakis, das fühlt sich gut an, jetzt brauchen Sie nur noch Rückenwind aus der Vernunftecke der Politik und Gesundheitsbehörden.

Die Frankfurter Gegenmesse (Papst – Gegenpapst, alte geschichtliche Sache) hat definitiv die Flügel strecken müssen. Die Messe Frankfurt hat alle Präsenzveranstaltungen bis März 2021 abgesagt. Dennoch versuchte der Gegenmesse – Veranstalter im Tross einiger Getreuer diese Entscheidung zu kippen. Jetzt kommt zumindest für die Tauchsportszene diesbezüglich ein wenig Ruhe auf sie zu, ein wenig entspannende Ruhe, denn es gibt wieder nur die eine Messe in Düsseldorf. Ich wünsche ihr Glück.

 

Herzliche Grüße, Ihr

Michael Goldschmidt