James Cameron kennt man als genialen Filmregisseur. Die Blockbuster „Titanic“, „Avatar“, „Terminator 2“, „Der jüngste Tag“ und andere sind vielen ein Begriff. Dass Cameron auch ein von der Tiefsee faszinierter Forscher ist, wissen aber wohl die Wenigsten. Seit vielen Jahren ist er begeisterter Sporttaucher und empfindet eine tiefe Verbundenheit mit dem Meer. Seinen persönlichen Tiefenrekord setzte er 2012, als er allein in einem von ihm konzipierten Tieftauchboot, der „DeepSea Challenger“ im Mariannengraben 10.908 Meter erreichte. Doch die Titanic hat ihn und sein Team ganz besonders in ihren Bann gezogen. Als Resultat hier nun der grandiose Bildband Mission Titanic, Tiefseeexpeditionen zum berühmtesten Wrack der Welt.
Von 1995 bis 2005 stattete Cameron dem Wrack der Titanic 30 Besuche ab. Um den in 3800 Meter Tiefe ruhenden Stahlkoloss zu erreichen, kamen jeweils zwei russische Forschungs – U-Boote „MIR“ zum Einsatz. Ein mit Spezialkameras ausgestatteter Tauchroboter „Snoop Dog“ (ROV), der von einem der MIR U-Boote aus ferngesteuert wurde, drang in das Innere des Wracks vor. Die 1995 durchgeführten Tauchfahrten galten überhaupt den ersten Erkundungen des Inneren der Titanic. Man suchte nicht nur nach Hinweisen zur Darstellung des genauen Unglücksverlaufs, sondern widmete sich auch der Recherche zu einer Reihe von Ausstattungsdetails, die in den Unterlagen der Werft nicht mehr auffindbar oder einfach nicht dokumentiert worden waren.
Cameron wollte um eine fiktive Lovestory herum die Titanic so detailgetreu wie irgend möglich nachbauen lassen und den Zuschauer in das realistische Ambiente des Luxusliners im Jahr 1912 mitnehmen. Ebenso war es seine Absicht, die wissenschaftlichen Untersuchungen, die im Verlauf der minutiös geplanten Tauchfahrten durchgeführt wurden, von Ingenieuren, Forensikern und Kriminalisten auswerten zu lassen. Damit sollten der Verlauf der Kollision mit dem Eisberg und die Vorgängen bis hin zum Sinken und während des Untergangs zweifelsfrei dargelegt werden.
Sicherlich hätte man es sich wesentlich einfacher machen können, Hollywood ist durchaus bekannt dafür, historischen Ereignissen einzig nach der Vorstellungskraft von Drehbuchautoren und Regisseuren eine eigene Sicht der Dinge zu verpassen, weit ab von tatsächlichen Begebenheiten.
So mag man Cameron in seiner Perfektion als akribisch bezeichnen, doch der Erfolg gibt ihm Recht.
Für die Dreharbeiten wurde eine seetüchtige 1:1 Kopie der Titanic nachgebaut. Alle Außenaufbauten entsprachen dem Original, ebenso die Innenmotive von der Brücke bis zum Maschinenraum, den Kabinen, Gängen, Treppenhäusern, Liften, Salons und Speiseräumen. So entstand an der Pazifikküste im mexikanischen Bundesstatt Baja California ein komplett neues Filmstudio auf einem 160.000 m² großen Gelände.
Nachdem der Film 1997 in die Kinos kam, spielte er nicht nur rasch ein Vielfaches der enormen Produktionskosten ein, mit 11 Oskars ausgezeichnet wurde Camerons intensive und sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Thea, das ihn seit 1990 beschäftigte, mehr als honoriert.
Jetzt hätte Schluss sein können, der Titanic noch weitere hautnahe Beachtung zu schenken.
Doch Cameron ließ das Thema nicht los und 2001 gab es mit dem selben Team, wieder mit der russischen Unterstützung, neue Tauchfahrten, um weitere Rätsel zu lösen, die 1995 noch nicht angegangen werden konnten. Die Kameratechnik für das ROV Snoop Dog war auf den neuesten Stand gebracht worden und man traute sich nun auch Bereiche im Inneren anzusteuern, die nur schwer zugänglich waren. Ein nicht immer einfaches Unterfangen, denn das ROV erhält seine Steuerbefehle über ein Kabel, das mit der MIR verbunden ist. Meist saß Cameron am Steuerhebel, denn für ihn waren nach wie vor die Filmaufnahmen von besonderer Bedeutung. Im Wrack durch die Havarie und den großen Druck in der Tiefe befindliche Trümmerteile, Rohre, Drähte und Leitungen sind große Herausforderungen, mit dem Steuerkabel des ROV`s nicht hängen zu bleiben. Und einmal schien Snoop Dog tatsächlich verloren zu sein.
Allein die vielen, teils äußerst aufwändig bearbeiteten Bilddokumente aus der Tiefe, beeindrucken von Seite zu Seite. Doch der Story kann man sich nicht entziehen, lässt sie uns James Cameron, sein Team, die Titanic so intensiv kennenlernen.
So ist man nach zwei Etappen gespannt auf die dritte und letzte Expedition im Jahr 2005. Und auch jetzt kommt keine Sekunde das Gefühl auf, dass sich Dinge wiederholen würden.
Gegen Ende von Mission Titanic gibt es ein großes, ausklappbares Schaubild, das nach den forensischen Erkenntnissen die einzelnen Phasen des Untergangs darstellt. Die Titanic brach Mittschiffs in zwei Teile, die auf dem Weg zum Grund etwa 600 Meter auseinanderdrifteten. Beide Teile liegen aufrecht auf dem Meeresboden, wobei das Heck dem Bug zugewandt ist. Es ist ein ungeheuer spannendes Ergebnis, das die Wissenschaftler über die Einzelheiten des Untergangs veröffentlichten.
Und dennoch, James Cameron spricht abschließend noch von vielen Geheimnissen, die bis jetzt nicht gelüftet werden konnten.
Wahrscheinlich wird das vorliegende Buch Mission Titanic eine Art Abschlussbericht sein, in dem eine Fülle von Erkenntnissen und Beobachtungen zusammengetragen und analysiert worden sind. Die insgesamt wenigen Tauchfahrten gemessen an der Größe des Wracks und der weitläufigen Verteilung von Bug, Heck und größeren Trümmerstücken, haben aber mehr bewirkt, als jene, die lediglich der Entdeckung und ersten Bestandsaufnahme durch Robert Ballard 1985 diente. Der naturbedingte Zerfall der Titanic ist nicht aufzuhalten, wohl aber die Beschädigungen durch Schatzjäger und kommerzielle Veranstalter touristischer Tauchfahrten.
Mission Titanic ist für jeden Fan von Wracks und spannenden Geschichten aus der Tiefsee ein Hochgenuss.
Mission Titanic
1. Auflage 2015
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-667-10239-3
252 Seiten
1 Ausklapper, 4 Faksimile
30,9 x 26,1 cm
291 Farbfotos
45 Schwarz-Weiß-Fotos
11 farbige Abbildungen
7 Schwarz-Weiß-Abbildungen
Verlag: Delius Klasing
Preis (D): € 49,90
https://www.delius-klasing.de/mission-titanic-10239?number=DK-10239
Michael Goldschmidt