Nun bin ich ja schon eine Weile aktiv als Taucher, von Apnoe bis Mischgas, und kenne Hemmoor von Erzählungen bereits aus Zeiten, als dort noch kein organisiertes Tauchen stattfand. Da gab es mehr Bierflaschen vor den am Wochenende aus dem Boden schießenden Kleinzelten, als Pressluftflaschen, die dem eigentlichen Zweck zur Erkundung des Kreideeses dienen sollten. Und das bedingte auch tödliche Unfälle. Irgendwann hörte dieser Spuk auf, das Tauchen und die Unterkünfte wurden organisiert, die Tauchpunks blieben weg, aber die Negativstatistik blieb in den lokalen Redaktionen griffbereit. Wie gefährlich ist der Kreidesee Hemmoor nun tatsächlich?
Wie stets, wenn redaktionell nur nach Blut und Katastrophen gegiert wird, muss Hemmoor immer wieder einmal dafür herhalten, als Tauchergrab in die Schlagzeilen zu kommen. Dann ist stets Hemmoor schuld, stellvertretend für einen Edgar Wallace Krimi aus nächtlich nebligen Mooren irgendwo in England.
Die breite Masse glaubt das dann auch. Selbst ausgebildete Taucher mit wenig Erfahrung und einem entsprechendem Angst – Restpotential fahren auf solche Meldungen ab. Als Ergebnis dann die persönliche Entscheidung: Lass die Finger von Hemmoor. (Vielleicht auch gut so – Anmerkung der Redaktion)
Es gibt keinen See in ganz Deutschland, der so hervorragende Bedingungen für das Tauchen bietet. Davon habe ich mich selbst überzeugt und verzichtete da sogar auf martialisches Equipment von Doppel 12, Mischgas, Stages und was sonst noch Spaß macht mit Gerät. Meine Buddy und ich waren freitauchend unterwegs, mit Scooter. Die Sichtweiten im See sind in Deutschland beispiellos, die Attraktionen für Taucher ganz wunderbar und es sind zwingend auch keine „furchterregenden“ Tiefen aufzusuchen (diese Schwelle ist für jeden individuell).
Was der See als normales Tiefenprofil so hergibt, durften 1985 frisch gebackene Sporttaucher mit einem VIT Bronze bzw. 1 Stern Brevet problemlos betauchen. Das lag sicher aber auch an der intensiven Ausbildung, die sich qualitativ von heute vielfach unterscheidet. Was man als Bronzetaucher vermittelt bekam, ist heutzutage in wenigstens drei Ausbildungsmodule auf gesplittet, die entsprechend als eigene Kurse gebucht und bezahlt werden müssen.
Aber das bringt uns noch keinen Schritt näher an die Antwort auf die Frage: Wie gefährlich ist der der Kreidesee Hemmoor? Die Suche nach wenigstens einer schlüssigen Antwort ist wirklich schwierig. Und gibt es überhaupt eine schlüssige Antwort?
Die Sichtweiten sind großartig, ein Trockentauchanzug hält kuschelig warm, die maximale Tiefe des Sees von 60 Metern ist nicht relevant und war auch nie ein Unfallthema. Viele von Tauchern besuchte Seen sind weitaus tiefer, haben schlechte Sichtweiten und keine örtlichen Strukturen, die sie versorgen.
Was also ist das Problem? Die allermeisten Attraktionen im See haben wir freitauchend mit Scootern besucht bis -20 Meter Tiefe. Da gab es dann schon den einen oder anderen erstaunten Blick eines „Technischen Tauchers“ mit einer D12 auf dem Rücken, der sich träge ob seiner Masse voran bewegte.
Thema Scooter, in Hemmoor sind mittlerweile Taucher unter Wasser, die sich von Scootern erschreckt fühlen und darauf gedrängt haben, dass die Tauchbasis Reglements erarbeiten sollte. Muss ich das verstehen? Oder ist das wieder mal nur DEUTSCH? Was ist das für eine Qualität von Tauchern? Ich tauche vegan und mein Schnorchel ist eine selbst ausgehöhlte Zucchini? Und das müssen nun alle erleiden?
Spaß bei Seite, so lustig ist das gar nicht. Hier versuchen kleine Minderheiten Einfluss zu nehmen, wie auch Medien, die vom Tauchen keine Ahnung haben und ein wunderbares Gewässer zum See des Todes abstempeln wollen.
Fakt ist, dass bei jeder Betätigung, ob am Schreibtisch, beim Fensterputzen, beim Joggen, Radfahren, Einkaufen usw. ein körperlicher Notfall eintreten kann. Udo Jürgens brach beim Spazierengehen tot zusammen, deswegen kam aber das Spazierengehen nicht auf die Todesliste der Medien.
Der Starnberger See in Bayern hatte einige Jahre eine negative Ausstrahlung, die aber tatsächlich vom sich selbst überschätzenden Fehlverhalten diverser Sporttaucher und von uninspirierten Tauchlehrern provoziert worden war.
Und Hemmoor heute? Nein, der Kreidesee hat nicht das alleinige Recht auf spektakuläre Vorfälle, die die Titelseiten füllen. Bei mehr als 35.000 Tauchgängen jährlich in Hemmoor ist für den Tauchsport insgesamt bewiesen, dass Tauchen umsichtig und der Ausbildung entsprechend praktiziert nicht gefährlicher ist, als an einem Zebrastreifen eine Straße zu überqueren.
Gesundheitliche Probleme, die selbst nach einer taufrischen Tauchtauglichkeitsuntersuchung auftreten können, sind niemals auszuschließen. In der Unfallstatistik sind diese absolut führend. Fehlverhalten und / oder technisches Versagen von Teilen der Ausrüstung stehen eher hinten an. Ein Gewässer hatte in keinem Fall Schuld an einem Unfall, egal, ob es Badende, Schnorchler oder Taucher betraf.
Und nun Hemmoor? Weiter Augen zu und durch oder doch mal eine Kampagne, die mit dem Unsinn der Medien aufräumt?
Michael Goldschmidt
UWW