Traditionelles Wissen über Natur und Umwelt ist häufig sehr eng mit biologischer Vielfalt verbunden. So sind etwa Regionen mit hoher Biodiversität in der Regel auch Orte, an denen es besonders starke Verbindungen zwischen der lokalen, zumeist indigenen Bevölkerung und ihrer Umwelt gibt. Wie wertvoll dieses Traditionswissen, das vielfach über Generationen weitervermittelt wird, für die Wissenschaft ist, wird bei der Dokumentation des ZMT von Biodiversität, der Beschreibung neuartiger ökologischer Phänomene oder aber bei der Entwicklung von Schutz- oder Managementmaßnahmen immer wieder deutlich. Auf den Salomonen, einer Inselgruppe östlich von Neuguinea im südlichen Pazifik, ist die Beziehung zwischen Menschen und ihrer natürlichen (marinen) Umgebung ganz besonders eng verzahnt. Das ökologische Wissen in dieser Region reicht von detaillierter Artenkenntnis bis zu umfassenden Kenntnissen über das Verhalten von marinen Organismen oder eine kleinteilige Unterscheidung unterschiedlicher Habitate und Orte mit besonderen ökologischen Eigenschaften.
„Die Fischer auf den Salomonen wissen beispielweise genau, wann und wo bestimmte Fischarten ablaichen, unterteilen einige Arten weiter nach Geschlecht oder Entwicklungsstufen, oder wissen, ob die Tiere verschiedene Lebensräume wie Lagunenbereiche oder Mangroven nutzen“, berichtet Sebastian Ferse. „Wir wollten wissen, wie sich dieses Wissen über die Zeit verändert, ob es Unterschiede zwischen Alter und Geschlecht der Dorfbewohner gibt, und wie sich soziale oder wirtschaftliche Veränderungen auf dieses Wissen auswirken.“
Die Wissenschaftler führten Befragungen in vier Dörfern in der Roviana-Lagune in der Western Province der Salomonen durch, die in unterschiedlicher Entfernung zur nächsten größeren Siedlung mit Flughafen (Munda) lagen. Dabei teilten sie ihre Interviewpartner in Gruppen unterschiedlichen Alters und Geschlechts ein. Für ihre Studie bestimmten sie zunächst die Anzahl von lokal unterschiedenen Arten und verglichen diese mit Daten, die 20 Jahre zuvor erhoben wurden. Außerdem untersuchten sie, wie die verschiedenen Gruppen lokale marine Arten klassifizieren.
Shankar Aswani konnte dabei auf eine mehr als 20jährige Forschungserfahrung und detaillierte Kenntnisse des Studiengebiets zurückgreifen. Für die Datenerhebung, bei denen jeweils Gruppen von rund einem halben Dutzend Personen einer Altersgruppe und eines Geschlechts befragt wurden, sammelte Aswani mit Hilfe lokaler Mitarbeiter zunächst die der Gruppe bekannten Artnahmen. Anschließend wurden die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gebeten, die Arten zu gruppieren und anschließend die Gründe für die erfolgte Klassifizierung zu nennen.
„Arten werden zum Beispiel aufgrund ihres Aussehen, ihrer Lebensweise, der jeweiligen Fangmethode oder ihrer Verwendung zusammengefasst“, so Ferse. Je mehr Kategorien die Befragten unterschieden, und je mehr unterschiedliche Eigenschaften für diese Einteilung verwendet wurden, desto komplexer wurde das jeweilige Wissen gewertet.
Bei der Auswertung ihrer so erhobenen Daten standen die Wissenschaftler allerdings vor einem Problem. In der Forschung gab es bisher kaum Methoden, um die Komplexität lokalen traditionellen Wissens analysieren oder systematisch zu vergleichen.
„Wir haben daher einen Indikator angepasst, der ursprünglich für biologische Gemeinschaften entwickelt wurde, und diesen erstmals auf traditionelles ökologisches Wissen angewandt“, erklärt Ferse. „So konnten wir nicht nur die Anzahl lokal bekannter Arten, sondern auch die Komplexität in deren Klassifizierung quantitativ erfassen und somit unter den verschiedenen Studiengruppen vergleichen.“
In ihrer Datenanalyse fanden die Forschenden heraus, dass die Vielfalt und die Komplexität traditionellen ökologischen Wissens mit zunehmenden Einflüssen von außerhalb abnehmen.
„Wir konnten feststellen, dass die Nähe zu dem regionalen Marktzentrum mit moderner Infrastruktur wie Flugplatz, Tauchbasen und Einkaufsläden einen signifikanten, negativen Einfluss sowohl auf die Anzahl der lokal unterschiedenen Arten als auch auf die Komplexität des taxonomischen Wissens der jeweiligen Bevölkerungsgruppen hatte“, sagt Ferse.“
„Auch gab es geschlechts- und altersspezifische Unterschiede in der Artenkenntnis, wobei jüngere Befragte einen signifikant geringeren Wissensschatz lokaler Artnamen hatten“, ergänzt Aswani.
„Ähnlich wie bei der biologischen Vielfalt wird das ökologische Wissen der lokalen Bevölkerung aufgrund zunehmender kultureller und sozioökonomischer Veränderungen immer mehr ausgehöhlt“, fasst Ferse die Ergebnisse zusammen. „Der Lebensstil der Bevölkerung verändert sich, es wird weniger Zeit mit der Fischerei verbracht und weniger Fokus wird auf Traditionen und damit verbundenes Wissen gelegt.“
Andrea Daschner