Schwergewichtiger Großbildband: Tobias Friedrich – Im Reich der Stille

im reich der stille buchvorstellung tobias friedrich 2022 01

Das ist ja nun kein Taschenbuch, was uns in Form des Bildbands „Im Reich der Stille“ von Tobias Friedrich (UW-Fotograf) und Linus Geschke (Texte) in der Redaktion erreichte. Auf die Waage bringt das Bilderwerk 3,35 kg und h x b misst es 37,6 x 30 cm. So schwergewichtig und raumgreifend fiel schon lange kein Buch mehr aus, das sich uns präsentierte.

Tobias Friedrich im Reich der Stille — Tobias Friedrich und Linus Geschke
Alle Fotos unter Wasser c: Tobias Friedrich

Tobias Friedrich ist in seinen jungen Jahren mittlerweile mit dem UW-Kamerasystem wohl weiter gereist und entfernter abgetaucht, als viele Taucher, die sich im Jahr nur ein paar Wochen Auszeit auf eigene Kosten gönnen können. Sie sind die Zielgruppe der mit 288 Seiten geradezu endlos wirkenden Bildershow. Sie werden nicht enttäuscht, erleben optisch Spots unter Wasser im Bild festgehalten, die zum Teil nur selbst organisiert erreichbar sind.

Irgendwie erinnere ich mich aber beim Durchblättern von „Im Reich der Stille“ von Tobias Friedrich dann doch so einige Jahre zurück, an Diapräsentationen im Freundeskreis, bei denen der Bildurheber stolz die Fotoausbeute eines zurückliegenden Urlaubs oder auch einer längeren Zeitspanne im abgedunkelten Wohnzimmer, ein Bild nach dem anderen, auf die Leinwand projizierte. Da waren sehr gute Bilder dabei, viele Standardmotive und manches die Show dehnendes Material. Der Aufwand für die Aufstellung des Diaprojektors, der Leinwand, die Häppchen und der Getränke sollte sich doch abendfüllend lohnen.

Um „Im Reich der Stille“ von Tobias Friedrich in Ruhe durchzublättern, sind begleitend Häppchen, Chips und Getränke keine schlechte Idee. Und natürlich eine stabile Unterlage, denn der Bildband ist großformatig und gewichtig. Dann sind die die Motive erklärenden und auch Emotionen transportierenden Texte zu studieren, die meist von Linus Geschke verfasst worden sind.

Oft, wenn ein umfangreiches digitales Bildarchiv auf den Festplatten abgespeichert ist, häufen sich eine Menge Dateien, rund um dasselbe Motiv. Als im analogen Zeitalter der Fototauchgang noch 36 Belichtungen dauerte, mehr gab der Kleinbildfilm in der Kamera nicht her, wurde ein Motiv ganz anders angegangen, überlegter der Bildvorrat eingeteilt. Erst Tage oder Wochen nach der Aufnahme lag dann das analoge Ergebnis vor. Aus dieser überschaubaren Ausbeute wurden dann die entsprechend wenigen besten Ergebnisse ausgewählt, archiviert und publiziert.

Die digitale Fotografie ist im Hinblick auf die inflationäre Ergebnismenge im Verlauf eines Wracktauchgangs Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite kann sofort am Monitor überprüft werden, ob Belichtung, Blitzsteuerung und Schärfe stimmen, bedarfsweise wird korrigiert, bis es stimmt. Aber dann wird nicht mehr so intensiv auf die Bildkomposition, die Motivauswahl eingegangen. Es kostet ja nichts, die Datei auf dem Chip geht aufs Haus, ein analoges Foto forderte dagegen gut 30 € Cent Investition, ohne Sicherheit zur korrekten Belichtung usw.

Was ich sagen möchte, um einen Bildband mit 288 Seiten vom Anfang bis zur letzten Seite in absoluter Highend Qualität und immer wieder im Verlauf mit Höhepunkten zu gestalten, muss ein UW-Fotograf Jahrzehnte produzieren. Da wäre also bei „Im Reich der Stille“ von Tobias Friedrich noch Luft und aktuell weniger mehr.

Zweifellos gefällt mir die Fotostrecke rund um die Eisberge sehr gut und auch die gezielt mit abgesetztem Licht gestalteten Eindrücke von Flugzeugwracks und die regiegeführten Bildproduktionen, bei denen mehrere Blitzgeräte über Sensor gesteuert im Motiv positioniert wurden und unterstützende Taucher weitere Lichteffekte einrichteten.

Die meisten Wrackimpressionen sind jedoch eher klassisch und wiederholen sich mit anderen Ansichten zum gleichen Objekt etwa ab der zweiten Hälfte des Bildbands. Zwischendurch gibt es optische Einblendungen von Korallenlandschaften, Fischen, Haien, Säugern – bunte Farben kommen ins Spiel, die sich von den oft eher monochromen Meeresopfern aus Stahl fast versöhnlich abheben.

Wäre der Bildband essbar, müsste der Kilopreis genannt werden, der liegt bei € 29,25, umgerechnet für nicht Vegetarier bekommt man dafür ein Kilo Rinderlende. Aber € 98,- Investition in „Im Reich der Stille“ von Tobias Friedrich hat insgesamt einen bleibenden Wert. Der Bildband ist optisch unübersehbar an repräsentativer Stelle im Bücherregal verfügbar, die Lende wohl eher nicht…

„Im Reich der Stille“ von Tobias Friedrich als Buchtitel blendet aus, dass es unter Wasser gar nicht so still ist. Fische, Reptilien und Säuger lassen unter Wasser von sich hören, das Wasser selbst erzeugt vielfache Geräusche und die von Tobias Friedrich im Bild festgehaltenen Eisberge sind auch nicht so still, wie er selbst schreibt. Unsere Atemregler sind richtig laut und ein Taucher mit Kreislaufgerät hat zusätzlich das für ihn wichtige Klicken der Ventile im Ohr.

Aber, im übertragenen Sinn ist es in Bezug auf die abgebildeten Wracks sehr still geworden, sie haben als Flugzeuge oder Schiffe ihren eigentlichen Bestimmungsraum über Wasser verlassen. In keinem Fall freiwillig und in vielen Fällen begleitet von Opfern, die keinen Namen haben.

Fazit

„Im Reich der Stille“ von Tobias Friedrich ist für an Wrackobjekten, Eisbergen und sich an tropischen Farbschauspielen erfreuender Taucher sowie maritimen Fotobuchfreunden ein interessanter und unterhaltsamer Bildband. Die meisten waren noch nicht an den Tauchplätzen, die Tobias Friedrich besuchen konnte. Manche werden sie wohl auch kaum erreichen können, denn es gibt dorthin kein Pauschalreiseangebot. Sich selber schenken oder sich mit dem Bildband beschenken lassen, das sind zwei mögliche Optionen, umblättern statt umschalten am TV eine weitere.

GESCHKE LINUS , FRIEDRICH TOBIAS