Der Schriftsteller Sten Nadolny hat die Entdeckung der Langsamkeit literarisch sprichwörtlich gemacht. Langsamkeit als Möglichkeit, die Dinge ganz genau zu beobachten, das Besondere im Alltäglichen zu entdecken. Das lautlose Elektrofloß des Tauchcenters Feldberg ist die neueste Möglichkeit, gänzlich stille Tauchexpeditionen auf heimischen Seen zu erleben und logistisch beinahe unerreichbare Tauchplätze aufzusuchen. Luzin entschleunigte uns.
Ein herrlicher Morgen zieht herauf. Alle sind zeitig unterwegs, denn unsere besondere Tauchtour wird den ganzen Tag erfordern. Im mecklenburgischen Schriftstellerdorf Carwitz, der früheren literarischen Heimat von Hans Fallada und Ruth Werner, ist Treffpunkt für eine kleine Autokarawane. Durch Carwitz fließt die Bäk, ein allenfalls für Paddelboote tauglicher Bach, der durch den geringen Höhenunterschied von den Oberen zu den Unteren Feldberger Seen gespeist wird. Die Wagen bleiben weit oberhalb des Schmalen Luzin in Carwitz zurück.
Nun setzt ein gewisses Ausrüstungstrecking ein. Das Equipment für 12 Tauchgäste wird über den steilen Hang der Carwitzer Badewiese hinunter zum See getragen. Die Sonne strahlt, ein leises Lüftchen weht, Schäfchenwolken ziehen. Gespannt warten wir. Verladung an Bord ist auf Punkt 9.00 Uhr angesetzt.
Bald erscheint hinter den hohen Bäumen rechts vom Badestrand ein silbernes Floß. Lautlos und gar nicht so langsam gleitet es ans Ufer und auf den Sand. Das Beladen beginnt. Der Ponton ERIC ist aus Aluminium geschweißt. Auf den Metallschwimmkörpern liegt ein Holzaufbau. Ringsum gibt es eine solide Reling und natürlich gehört auch eine Taucherleiter zur Ausstattung. Das Floß hat reichlich Sitzplätze und diverse Backskisten. Verpflegung und Getränke werden mitgeführt. Das ungewöhnliche Wasserfahrzeug wird von einem professionellen Elektromotor angetrieben. Kapitän Sven, ein mecklenburgischer Hüne, begrüßt uns an Bord und achtet auf gleichmäßige Lastverteilung hinsichtlich der Ausrüstungsablage auf dem Ponton. Man will ja nicht mit Schlagseite fahren.
Carwitzer Wasserpflanzen-Welten
Nach wenigen Minuten zieht der Motor das Floß sanft vom Sandstrand. Allein die „Mühle Flügellos“ zu Carwitz scheint ein wenig melancholisch in die Landschaft zu blicken. Hohe Bäume markieren den Carwitzer Park mit der letzten Ruhestätte des Dichters Fallada. Der stille Vortrieb des Pontons ist genial. Schwanenpaare mit Jungen kommen ganz dicht heran, wir beobachten verschiedenste Wildenten und Tauchhühnchen. Sven zeigt uns einen Adlerhorst am Ufer des Schmalen Luzin. Dicht unter Land sehen wir eine Ringelnatter schwimmen.
Schon bald nach dem Aufbruch setzt an Bord wohlgeordnete Betriebsamkeit ein. Der erste Tauchgang wird vorbereitet. Wir haben inzwischen den breiteren Seeteil vor Carwitz verlassen, der immerhin 34 m Maximaltiefe aufweist. Sven bringt den Ponton dicht vor dem Ufer zum Stehen. Geankert wird jedoch mit Rücksicht auf den besonderen Süßwassersee nie. Er erklärt, dass hier am Westufer des Schmalen Luzin zwischen Carwitz und der Ziegenwiese maximal 24 m Tauchtiefe zu erreichen, aber in jedem Falle die obersten zehn Meter die attraktivsten sind.
Nacheinander springen die Buddy-Teams von Bord. Taucherteams sind erwünscht, Alleintauchen gibt’s nicht. Sven und seine Assistentin beobachten die aufsteigende Ausatemluft der Tauchergruppen genau und folgen dem langsamsten Buddy-Team mit einem sinnvollen Sicherheitsabstand.
Wir tauchen ein ins lichtgrüne Wasser des sagenhaften Schmalen Luzin. Der zählt gemeinsam mit dem Krüselin und dem Stechlin zu den ganz besonderen Klarwasserseen von Mecklenburg und Brandenburg. Diese Art Seen zeichnet eine feine Balance im Nährstoffangebot aus. Das Wasser enthält einerseits so viele Pflanzennährstoffe, dass wir Taucher eine artenreiche und ganz wunderbare Welt höherer Wasserpflanzen vorfinden. Diese Nährstoffe werden im Frühling und Frühsommer zum großen Teil in die unterseeischen Wiesen von höheren Pflanzen und Armleuchteralgen inkorporiert. Es ist andererseits später im Jahr „nicht mehr genug da“, um eine Algenblüte zu ernähren und solcherart das Wasser im Hochsommer zu trüben.
Wir schweben am Ufer entlang. Vor allem die geringen Tiefen von zwei bis acht Meter präsentieren sich als malerische Wasserlandschaften. Zahlreiche Weiden und Buchen sind ins Wasser gebrochen. Sie fungieren als ideale Siedlungsflächen für die gläsernen „Moostierchenranken“. Diesen sieht man nur ganz aus der Nähe an, dass es sich um Kolonien von Tausenden winziger Polypen handelt, die mit noch winzigeren Tentakeln das Wasser durchforschen.
Schwämme, Hechte, kleine Wracks
Häufig wachsen in den verwitterten Fugen versunkener Bäume auch feine Tausendblätter und Laichkräuter und gestalten so ganz erstaunlich ästhetische Süßwasser-Stillleben. Zudem dienen die Bäume als Siedlungsgrund für gewaltige Süßwasserschwämme, namentlich für die sogenannten Geweihschwämme, die vielzipflig verzweigt ins Seewasser aufragen. Manche dieser Schwammgebilde, deren einziger innerer Halt ein Skelett aus Kieselnadeln ist, werden im Laufe des Sommers einen Meter hoch und 1,5 Meter breit.
Neben den Schwämmen siedeln oft Dreikantmuscheln auf den Althölzern. Dreikantmuscheln können jedoch ebenso gut auf Steinen leben. Schwämme und Muscheln entfalten gemeinsam ein großes Potential an „Wasserreinigungsleistung“, denn beide tierische Organismengruppen strudeln zur Ernährung Wasser ein und filtrieren große Partikelzahlen aus dem See. Makrofotografen sollten die Pflanzen und Althölzer genau betrachten, denn im Schmalen Luzin leben etwa 30 Wasserschneckenarten. Das ist eine für einheimische Seen ganz außergewöhnliche Artenvielfalt.
Neben all diesen festsitzenden oder sessilen Organismen in den Althölzern stehen dort natürlich auch beeindruckende Barsche und große Hechte. Meist ganz flach und in düsteren schattigen Winkeln weiden Plötzen und Bleie. Die Bleie lassen nach dem Graben im Untergrund ganz charakteristische Fraßtrichter zurück. Rotfedern hingegen bevorzugen ein Dasein in lichten, sonnendurchfluteten Wasserpflanzenwiesen.
Wenn wir gelegentlich tiefer abtauchen, entdecken wir so manchen hölzernen Fischerkahn oder zumindest Bruchstücke davon. Sie künden von den kleinen „historischen Bootskatastrophen“ auf dem Schmalen Luzin. Auf Grund der geringen Gewässerbreite ist anzunehmen, dass sich die Bootsinsassen meist retten konnten.
Mosaikartig ziehen sich Bestände verschiedenster Wasserpflanzenarten bis in die Tiefe. Bewachsene Flächen wechseln sich ab mit Findlingshalden und Muschelzonen. Weiter in der Tiefe wuchern dann die verschiedenen Armleuchteralgenarten, die an manchen Stellen des Sees bis hinunter in 15 m Tiefe wachsen.
Obwohl das Ufer dicht bewaldet ist und allein über einen schmalen Wanderweg nur mühsam zugänglich erscheint, liegen im See auch entsorgte Sachzeugen des früheren ländlichen Lebens. So entdecken wir immer wieder muschelverkrustete Keramik oder dörfliches Emaille-Geschirr, deren durchgerostete Böden die Machart noch erkennen lassen. Unterwegs ist sogar eine alte Kutsche zu entdecken. Wer weiß, welche Ausfahrt nach reichlich Bier und Klarem im See endete …
Nach und nach kommen die Tauchergruppen wieder an Bord. Wir nähern uns der Ziegenwiese. Das ist ein romantischer Badeplatz am Schmalen Luzin, den man per Auto nicht direkt erreichen kann. Auf Mecklenburgisch heißt dieser Seeteil auch „Das Schmal“, weil hier die Seeufer auf nur noch 70 Meter Seebreite zusammentreten. Auch unterseeisch teilt das Schmal den Schmalen Luzin in ein Nord- und ein Südbecken, denn am Schmal verläuft ein unterseeischer Landrücken in etwa 4-5 Meter Wassertiefe quer durch den See. Hier sind erfahrungsgemäß ideale Nachttauchgänge zur Fischbeobachtung möglich. Obwohl das Schmal die auffälligste Strukturierung des 6 km langen Sees darstellt, ist der Wissenschaft schon lange bekannt, dass noch eine weitere unterseeische Schwelle existiert und der lange Rinnensee unter Wasser tatsächlich in drei tiefere Sektoren unterteilt ist.
Taucher-Biwak am Schmal
Auf dieser Fahrt ist die Ziegenwiese „Versorgerstation“. Die auf dem ersten Tauchgang geleerten Flaschen werden zu einem Feldweg im Hinterland der Ziegenwiese getragen und an einem dort wartenden Auto des Tauchcenters gegen volle getauscht. Als wir mit den Austauschflaschen an Bord zurückkehren, hat Sven bereits den Grill auf dem Taucherponton angefeuert. Bald sitzen wir gemütlich mit einem herzhaften Steak vom Grill auf dem Ponton und plaudern vor herrlicher Seekulisse über den ersten Tauchgang. Natürlich ist jedem Buddy-Team anderes aufgefallen. Solcherart versorgt, hat die Floßfahrt etwas von einer edlen Mini-Kreuzfahrt im Süßwasser.
Bald stechen wir wieder in See. Das nächste Tauchrevier ist das gebogene, buchtenreiche Ufer zwischen der Ziegenwiese und der Luzin-Fähre. Doch der See ist riesig, und nach Svens Worten schafft es nur selten ein Buddy-Team, bis zur Fähre durch zu tauchen. Hinsichtlich des Fährbetriebes muss sich niemand Sorgen machen: Das Schiffchen transportiert zwar Menschen und Fahrräder von Feldberg nach Hullerbusch über den See, aber es handelt sich um eine handbetriebene Seilfähre, die für Taucher ungefährlich ist. Unter der Fährtrasse ist es bis zu 18 m tief und man kann dort vereinzelt Stahlteile von den historischen Varianten der Luzinfähre finden.
Und wieder gleiten wir durch die besondere Unterwasserlandschaft des Schmalen Luzin. Diesmal fallen uns besonders runde und recht große Findlinge auf, die die Eiszeiten bis hierher transportierten. Diese Findlinge wurden bis vor etwa 100 Jahren sogar abgebaut, um Baustoffe im rohstoffarmen Mecklenburg zu gewinnen. Dennoch sind noch reichlich Findlingspackungen vorhanden, deren Zwischenräume manchmal sogar von Edelkrebsen bewohnt werden.
Der Schmale Luzin ist auch insofern ein Bilderbuchsee, als wir zwischen der Flachwasserzone und dem kühleren Tiefenwasser eine schneeweiße Schicht toter, leerer, bereits ausgebleichter Muschelschalen finden. Diese Zone der in die Tiefe abrutschenden Muschelschalen heißt in der Limnologie „Schill“. Sie soll in jedem See vorhanden sein, ist aber nur selten so ausgeprägt zu sehen wie im Schmalen Luzin. Erneut bewundern wir die Nischen der Unterwasserwelt mit hellgrünen bizarren Schwämmen, lauernden Hechten in schwarz gewordenen Buchenbäumen und scheuen Aalen im Untergrund.
Zurück an Bord, präsentiert die Crew des Taucherpontons ERIC Kaffee und Kuchen. Es ist deutlich zu spüren, dass hinter den Floßtouren Profis in Sachen Hotelbetrieb und Gastronomie stehen. Nun sind wir bereits im nördlichen Teil des Schmalen Luzin auf Fahrt, der Erddamm und das Zollhaus kommen in Sicht. Für alle, die wollen, ist hier noch ein dritter Tauchgang in ganz flachem Wasser möglich. Langsam geht ein wunderbarer Tauchtag dem Ende entgegen.
Als alle wieder an Bord sind, nimmt Kapitän Sven Kurs auf die Brücke im Erddamm. Angepasst an die Maße dieser engen Brücke ist der Taucherponton einst entworfen worden. Er passt gerade so, man könnte sagen „saugend“, durch die Öffnung der Straßenbrücke zwischen Feldberg und Wittenhagen. Unter der Brücke hat man wohl auch schon so manches plötzlich aufziehende Gewitter abgewettert.
Feldberger Epilog
Das Taucherfloß fährt lautlos ums Zollhaus herum, in den Breiten Luzin ein und über den Luzinkanal zum Haussee. Hier sehen wir die beiden malerischen Kleininseln im Haussee, den Reiherberg, und auf der anderen Seeseite die Wasserskitrainingsanlage vor der Halbinsel Amtswerder. Bald legen wir an den gastlichen Seeterrassen des Hotels Deutsches Haus zu Feldberg an. Der Hotelsteg fungiert als Heimathafen des Taucherpontons ERIC, der, wenn man so sagen darf, von der Tauchbasischefin Tanja Heinrich bereedert wird. Um Tauchausfahrten gemütlich und ungehetzt zu gestalten, wird der Taucherponton jeweils am Vortag an den Startpunkt überführt und am Tauchtag fährt man „oneway“ auf das Hotel zu.
Zuerst wird ERIC entladen, das Equipment kann vor der Basis im Erdgeschoß des Hotels zurückbleiben. Rasch steigen einige Taucher in einen Wagen der Tauchbasis, um die in Carwitz zurückgebliebenen Autos zu holen. Dann ist das Dekobier fällig, auf der Terrasse mit Seeblick, mit Sonnenuntergang über dem gegenüberliegenden Seeufer von Feldberg – Klinkecken. Taucherherz, was willst Du mehr?
Sehenswertes
Falladamuseum Carwitz, Falladagrab und die Kirche in Carwitz, Reiherbergblick über Feldberger Seen, Barby-Höhenweg zwischen Haussee und Breitem Luzin.
Online- Infos
www.tauchcenter-feldberg.de
www.deutscheshaus-feldberg.de
www.fallada.de Museum (Im Blaubuch der Bundesregierung als ein „Kultureller Gedächtnisort von nationaler Bedeutung“ beschrieben.)
Literatur
Hans Falladas Buch über das Carwitzer Leben seiner Familie „Heute bei uns zu Haus“, ISBN 978-3746653242 /// Sabine Lange „Und dieser See an meiner Tür“, ISBN 3980753263 /// „Tauchreiseführer Deutschland: Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen“, DELIUS KLASING Verlag, ISBN 3895940895 /// KANU-Magazin Heft 03/2012 ab Seite 90
Preise
– Freie Termine und die Preise auf Anfrage beim Tauchcenter Feldberg
– Tauchgäste erhielten im Hotel Deutsches Haus einen Sonderpreis pro Person für Übernachtung und Frühstück
Falk Wieland
Beitrag erstellt 2012