IANTD Ausbildung Technical Diver und Normoxic Trimix

Technische Ausbildung bei Orca Diveclubs Safaga

trimix

Doppelgeräte, Wingjackets und Stagetanks machen auf den ersten Blick klar, dass derart ausgerüstete Taucher ihre Ziele anders verfolgen als Sporttaucher. Man kann durchaus sagen, dass eine Ausbildung im technischen Tauchen die Aktivitäten unter Wasser deutlich sicherer gestalten lässt. Tiefen, Zeit, Gasverbrauch und Dekostufen werden nicht dem „Zufall“ überlassen, wie es im Sportbereich mit Verbreitung der Tauchcomputer üblich geworden war. Um die anspruchsvolle Ausbildung bis hin zur Verwendung von Trimix zu absolvieren, wurden Kurse im ORCA Diving Center in Safaga am Roten Meer belegt. (by Michael Goldschmidt)

Die Entscheidung für den ORCA Technical Diveclub als Ausbildungszentrum fiel nicht von ungefähr, schließlich hat Techtauchen hier eine lange Tradition. Und, ein nach wie vor geltender Weltrekord wurde am 21. August 2003 von Basis – Mitinhaber Volker Clausen beim tiefsten Trimix Tauchgang mit Rebreather, einem Buddy Inspiration, aufgestellt. Mit dabei waren Manfred Führmann und Chris Ullmann.
Doch diese Tiefe zu erreichen, ist nicht der Plan. Angeregt durch Tauchgänge mit Luft auf Tiefen bis 60 Meter, um einige Wracks zu fotografieren, reifte die Überlegung, den Schritt in Richtung Techausbildung zu machen. Ich hatte bei den letzten tiefen Fototauchgängen meine aus Deutschland mitgebrachte Alustage, vor Ort mit Nitrox 32 befüllt für die Deko im Einsatz, doch die Stickstoffnarkose wirkt in der Tiefe natürlich weiter und das bedeutet auch ein erhöhtes Risiko für verschiedene Unfallszenarien. Natürlich waren diesen Tauchgängen nach Art des Sporttauchens keine wirklichen Berechnungen über Gasverbrauch und Dekozeit vorausgegangen. Das sollte nun ein Ende finden und nach über 1500 weltweit durchgeführten Tauchgängen der Ausbildungshorizont auf eine höhere Ebene gebracht werden.

Andy Koch wird mir als Ausbilder vorgestellt. Der Bremer, Jahrgang 61, strahlt sympathische Ruhe aus. Die nächsten 10 Tage werden wir viele intensive Stunden über und unter Wasser zusammen verbringen. Unser Mittelpunkt an der Basis ist für diesen Zeitraum der Bereich des Tek – Workshops. Der wichtigste Raum hier ist die Werkstatt und Füllanlage für technische Gase.
Im Sporttauchbereich der ORCA – Basis wird Pressluft und Nitrox 32 in die Flasche gedrückt, im Tec – Bereich die Gase mit höherem Sauerstoffanteil und die Trimix Mischungen mit variablen Anteilen von Sauerstoff, Stickstoff und Helium.
Wir schreiten zur Tat und ein Alu – Doppelgerät wird mir übergeben, mit dem ich die technischen Tauchgänge absolvieren werde. Die Konfiguration meiner Ausrüstung in allen Details steht als erster Programmpunkt auf der Tagesordnung. Meine mitgebrachte Ausrüstung – Wing, Regler, Stageregler, Boje, Lampen, Kompass, Computer, Spool, Flossen – wird von Andy zunächst auf Verwendbarkeit hin untersucht. Und da kommt schon das erste Mal sein typisches, hanseatisch gedehntes „geht gar nicht“ ans Ohr. Mit diesen Worten fällt die nagelneue Signalboje in Zigarrenform aus dem Rennen. Dafür bekomme ich zwei Liftbags mit etwa 25 Kilo Auftriebsvolumen und zwei Reels mit 30 Meter Leine ausgehändigt. Um die bei technischen Tauchgängen stets anfallende Dekompression im Freiwasser, von der Tragkraft des zur Oberfläche geschickten Signal – Hebesacks unterstützt, auf den einzelnen Tiefenstufen sicher durchzuführen, ist ein Liftbag unerlässlich und ein Reel lässt sich besser handeln als ein Spool. Dass man beim technischen Tauchen, wie beim Fliegen, die wichtigsten Komponenten doppelt zur Verfügung hat, wird sofort deutlich.
Das Wing von Finnsub besteht den Eignungstest, wie auch die M1 – Regler von Atomic. Da keine Nacht, Höhlen- oder Wracktauchgänge auf dem Programm stehen, bleibt die Tanklampe im Equipmentkorb. Für die Zweitmaske gibt es eine Zubehörtasche, die am Bauchgurt aufgefädelt wird. Da findet zudem das zweite Reel seinen Platz.
Die Schläuche an den Reglern müssen noch ein wenig um montiert werden, damit alle von der ersten Stufe aus in enger Führung am Gerät nach unten weisen. An einer technischen Ausrüstung darf nichts abstehen, was hängen bleiben kann. Gasverlust durch einen beschädigten Luftschlauch kann fatale Probleme bereiten. Und es müssen die Ventilhandräder und das der Brücke vom Taucher ohne Behinderung durch Schläuche erreicht werden können. Abweichend von Vorgaben des Techverbands GUE, dessen Empfehlungen der DIR – Gruppe einen weit verbreiteten Einfluss auf Tec – Ausrüstungskonfigurationen hat, trage ich nach Praxistipp von Andy das Finimeter nicht mehr am linken unteren D-Ring mit einem Boltsnap gesichert. Um es abzulesen, müsste es von dort abgehängt und nach vorne gezogen werden. Jetzt ist das Fini am Faltenschlauch des Inflators entlang geführt und mit Gummibändern gesichert. So hat man es selbst und der Partner sofort im Blick. Der Knebel am Seilzug des Schnellablass wird abgenommen. Beim Stagehandling kann man unfreiwillig an dem Teil hängen bleiben und das Wing entleeren. Die Kordel ohne Knebel ist mit ein paar Knoten am Ende immer noch griffig genug.
Was wäre Techtauchen ohne Kabelbinder, Bungee Cords und Duck Tape? Undenkbar. Während man das silberfarbene Gewebeband zur Beschriftung des Tauchgeräts und der Stageflaschen mit Usernamen, Gasart und maximaler Einsatztiefe ständig benötigt, verbraucht man Kabelbinder am laufenden Band, um alles Mögliche stabil am Equipment zu befestigen. Da nichts ungesichert an der Ausrüstung herumhängen darf, werden Boltsnaps (spezielle Karabiner) an den Reglern, Lampen u.a. angebracht, als Bindeglied dienen Kabelbinder.
Schläuche an Stages und am Doppelgerät werden von Bungee Cords enganliegend gehalten. Auch die Long Hose, der 2,10 Meter lange Mitteldruckschlauch des Hauptreglers. Während von DIR kommend viele Techtaucher diesen Schlauch in ganzer Länge speziell geführt um den Oberkörper legen, folge ich Andys Praxisempfehlung, diesen in Schlaufen geformt mit Bungee Bändern am Doppelgerät zu fixieren. Braucht ein Partner im Notfall meine Luftversorgung, kann man diese mit einem Handgriff übergeben und der Schlauch zieht sich sofort aus der elastischen Halterung und man schafft Distanz, die Dinge in der neuen Situation zu ordnen.
Etwas Bastelarbeit steht noch an, der zweite Liftbag muss verstaut werden. Der beste Platz dafür ist am unteren Ende der Backplate. Mit etwas Bungeecord und ein paar Kabelbindern…
Der erste Liftbag wird sauber zusammengerollt unter die Gummibänder der Stageflasche mit dem Hotmix, dem sauerstoffreichsten Dekogas, geschoben. Das ist auch schon optisch eine gute Markierung für den Hotmix, der im Kurs an der rechten Seite getragen wird.
Jetzt ist nur noch zu überprüfen, dass das Rigging der Stageflaschen stimmt, so dass die ersten Stufen der daran angebrachten Regler nach innen, zum Taucher hin, weisen. So sind sie besser gegen mechanische Belastungen geschützt. Kurze Gummibänder an den zweiten Stufen der Stageregler fixieren diese nahe am Ventil.
Nachdem die Duck Tape Aufkleber für die Flaschen alle deutlich beschriftet sind, ist es bereits Nachmittag und der erste Ausbildungstauchgang im Hausriff vor der ORCA Basis in Safaga steht an.

Andy erklärt präzise, was auf mich zukommt. Die maximale Tiefe wird bei etwa 7 Metern liegen, Kompasskurs 50 Grad und neben den praktischen Übungen gibt es auch noch das Wrack eines größeren Segelschiffs anzusehen. Getaucht wird mit einer 80 cft Stage (11,1 Liter), die wir vorher im Wasser deponieren und erst dort aufnehmen. Das Gefühl ist nicht neu für mich, habe ich doch zugegebener Maßen mit solcher Konfiguration aber ohne entsprechendes Brevet schon einige Abstiege hinter mir. Aber das soll ja jetzt alles legal werden…
Jede Übung zeigt mir Andy in aller Ruhe, dann kommt sein Zeichen für „nachdenken oder verstanden“ – rechter Zeigefinger an der Schläfe (bei TDI das Zeichen für Gaswechsel) und ich bin dran. Bubblecheck, Stage abgeben, Stage mit ihm tauschen, seine Stage zusätzlich aufnehmen, stationär und schwebend, Gaswechsel auf Stage, Ventildrill (Brücke schließen, rechtes Ventil schließen, Regler leer atmen und Finimeter dabei beobachten, Wechsel auf Backupregler, rechtes Ventil öffnen, linkes Ventil mit Backupregler schließen, leer atmen und Finimeter beobachten, auf Hauptregler wechseln, linkes Ventil öffnen, Brücke öffnen). Das läuft alles sehr zufriedenstellend und nach 61 Minuten ist kurz nach 17:00 Uhr ein erstes gutes Gefühl zu spüren. Ja, das entwickelt sich so, wie erhofft. Nachdem die Ausrüstung versorgt ist, die Geräte beim Füllen, bleibt Zeit für eine Nachbesprechung des Tages, des Tauchgangs. Andy lässt sich Zeit mit dem Feedback, da gibt es keine spontane Kritik, kaum ist der Kopf aus dem Wasser. Er ist voll konzentriert und hat auch später stets alles parat, was ihm gefallen hat und was nicht.
Heute ist die Manöverbesprechung durchweg positiv. Er hat einen Eindruck gewonnen, was er mir an Übungsprogramm pro Tauchgang zumuten kann, auf dem Weg zum IANTD Normoxic Trimixtaucher.
Ehrlich gesagt hatte ich mir im Vorfeld keine Gedanken über Details und Abläufe gemacht. Da ist die Informationspolitik der technischen Tauchverbände nicht sonderlich ausgereift, brauchbare Literatur Mangelware. Und so gehe ich völlig unbelastet und stressfrei in die Ausbildungsphase, die zunächst den anspruchsvollen Kurs Technical Diver beinhaltet, in die Andy parallel Philosophien und Übungen der Kurse Advanced Nitrox und Advanced Recreational Trimix einarbeitet. Nur dieser Mix macht es möglich, am Ende alle Grundlagen zur sicheren Gestaltung anspruchsvoller Mischgastauchgänge zu beherrschen. Mein Instructor gäbe kein grünes Licht, hätte er Zweifel an der Qualifikation…

Technical Diver sind nach entsprechender Ausbildung bei IANTD in der Lage, mit Sauerstoffanteilen bis 100% in der Dekompressionsphase umzugehen, können ein Nitrox – Travelgas beim Abstieg verwenden, bis auf das Tiefengas Pressluft beim Erreichen der maximalen Einsatzgrenze von 33 Metern beim üblichen 32er Nitrox gewechselt wird. Das Tiefenlimit liegt hier bei 54 Metern.

Doch bevor ich an der Tiefe riechen darf, liegen einige Tauchgänge zwischen 15 und 21 Metern vor mir, in denen Andy das volle Übungsprogramm an den Mann bringt. Und stets schärft er mir ein, wachsam zu sein, es kann immer etwas passieren. Es soll mir auch zur Gewohnheit werden, meine Ausrüstung wiederholt zu überprüfen. Hängen die Stages sicher an den D-Ringen, sind die Stageregler gesichert, kann ich die Handräder der Ventile und der Brücke erreichen.
Alle weiteren Tauchgänge finden nun bei Ausfahrten mit dem Tagesboot ALIA 3 statt. Die ORCA Basis in Safaga hat drei Boote in unterschiedlicher Größe zur Verfügung, deren Besatzung einen ausgezeichneten Job macht, wirklich freundlich ist und was mittags aus der winzigen Kombüse gezaubert wird, schlägt das Essen an Land alle Mal.
Im Wasser werden die Stages vom Schiff aus angenommen, danach erst einmal eine kurze Entspannungsphase, bis es zum Bubblecheck in 5 Meter Tiefe geht. In der Vorbesprechung an Bord hatte Andy die einzelnen Übungspunkte bereits dargelegt. In der stressfreien Atmosphäre seiner Kursleitung gibt es auch keinen Anlass vor irgendeiner Übung ein flaues Gefühl zu bekommen.
Schon beim ersten Bootstauchgang gibt es eine Reihe von Skills, die in 20 Meter Tiefe absolviert werden. Ventildrill steht laufend auf dem Programm sowie das gezielte Schließen eines, des richtigen Ventils, mit Wechsel auf den Zweitregler – das Platzen eines Schlauchs meiner Ausrüstung wird vom Trainer angedeutet. Und das geht zackzack, in einer echten Notsituation wird vorher auch nicht erst soft angedeutet, dass gleich ein Problem auftreten könnte. Da gibt es keinen Publikumsjocker, da muss man selbst die richtige Antwort auf den Lippen, in den Fingern haben.
Die meiste Zeit der zwei heutigen Tauchgänge wird in das Training des Stage – Handling investiert. Stage ablegen, an Partner übergeben, vom Partner dessen Tank zusätzlich annehmen, auf die Stage wechseln – Gaswechsel – das alles immer im Gleichgewicht bleibend. Und weil es so schön war, das alles auch blind bzw. ohne Maske. Das läuft gut. Bis….
Es ist kurios, das Einzige, was mich unruhig werden lässt, ist das Ende des Tauchgangs. Denn hier geht es um das Schießen der Boje. Viele Jahre habe ich das selbst nicht machen müssen, da waren Buddies, die das erledigten, denn meine Hände waren voll mit der Kameraausrüstung. Und das hatte ich Andy auch vorher schon erklärt und so ist er voll drauf, mir diese Technik beizubringen. Streng und fordernd. Er demonstriert in aller Ruhe die einzelnen Schritte, es ist an sich auch keine große Kunst, aber die unnötigen Bänder am unteren Ende des Liftbag erschweren das Positionieren der zweiten Stufe, um mit gedrückter Luftdusche den Hebesack aufzublasen. Und dann hat man in der anderen Hand das Reel, dessen Spule von zwei Fingern gebremst ist und im richtigen Moment frei gegeben werden muss. Und einen unschuldigen Taucher über mir darf ich auch nicht abschießen und wenn die Boje oben angekommen ist, muss man Zug auf die Leine bringen und fix in Richtung Boot schwimmen, dabei die Tiefe kontrollierend für die Dekostufen…
„Das geht ja gar nicht!“ Dieses Feedback bekam ich dann so einige Male zu hören, bis endlich auch hier Zufriedenheit einkehrt.
Die Ansprüche der Skills steigern sich von Tauchgang zu Tauchgang. Was zunächst stationär – also mit Bodenkontakt – geübt wurde, muss nun auch frei schwebend absolviert werden, etwa das Gerät mit 2 Stages ablegen und wieder anlegen. Ohne Luftversorgung und ohne Maske entlang einer am Grund gespannten Leine gut 20 Meter auf den Trainer zu tauchen und von dort mit Wechselatmung einige Zeit durch die Tiefe zu ziehen, ist ein neuer Programmpunkt, ohne Maske, aber mit konstanter Luftversorgung durch den Partner, ein weiterer. Das klappt alles tadellos bis zum Moment, in dem mir Andy per Handzeichen die Frage übermittelt: Wo ist das Boot?
Reingefallen, ich hatte mich die Orientierung betreffen voll auf meinen Buddy verlassen und das sollte mir dann auch nicht wieder passieren, denn „ das geht gar nicht“…

Der erste Tieftauchgang steht auf dem Programm, endlich. Doch das wird geplant. Nicht reinspringen und mal sehn, wie lang die Luft reicht, der Computer wird’s schon richten. Die Zieltiefe ist 48 Meter, als Gas zum Abstieg bis 33 Meter wird Nitrox 32 verwendet, dann der Wechsel auf das Rückengas Luft, zur Deko wieder ab 33 Meter das 32er Nitrox und ab 21 Meter wird aus der zweiten Stage ein 50er Nitrox geatmet. Dieser Tauchgang wird auch dazu genutzt, auszuloten wie lang ich für den Abstieg benötige. Denn diese Zeit ist für die Tauchgangberechnungen, die korrekte Grundzeitplanung, sehr wichtig. Andy führt mich in einer Theorielektion in das PC-Programm V- Planner ein, mit dem man den Tauchplan erstellen kann, unter Berücksichtigung aller Faktoren, wie Atemgase, Grundzeit, Abstiegszeit, Flaschenvolumen, Fülldruck, Stagegase, Stagevolumina, Atemminutenvolumen. Der Computer errechnet das sekundenschnell und mit diesen Daten wird die Runtime – Tabelle geschrieben, die man auf einer speziellen Schreibtafel am Arm trägt. Nach dieser Liste wird der Tauchgang abgewickelt. Die Runtime gibt klar vor, was wann zu geschehen hat – Gaswechsel – Aufstieg – Dekostufen. Von dieser Berechnung darf man ohne Korrektur nur in einem Punkt abweichen, indem man während der berechneten Grundzeit eine geringere Tiefe aufsucht. Für den Fall, dass man in Schritten von 3 Metern tiefer tauchte, als berechnet, muss eine alternative Liste erstellt worden sein und ebenso, wenn man die Aufenthaltsdauer auf der Zieltiefe überschreitet. Die zwei mitgeführten Computer sind einmal als reiner Bottomtimer und zum anderen nur als Backup in Verwendung.
Der Abstieg zum Wechsel vom 32er Nitrox auf das Rückengas Luft in 30 Meter Tiefe geht viel schneller als zunächst mit 4 Minuten geplant. Nach zwei Minuten ist die Gaswechseltiefe erreicht, es wird normale Pressluft geatmet und der Stageregler wird an der linken Flasche verstaut. Rechts hängt der Hotmix mit 50% Sauerstoff. Eine Minute früher als in der Runtime berechnet zeigt der Computer die Zieltiefe 48 Meter. Das hat natürlich Einfluss auf die Berechnung des Tauchgangs. Die angesetzte Bottomtime von 11 Minuten bleibt bestehen, nur der Rückweg beginnt eine Minute früher. Andy hatte mich im Briefing zuvor auch noch aufgefordert, meine Wahrnehmungen zusammenzutragen, die mit der Stickstoffnarkose in Zusammenhang stehen. Und widmet man sich bewusst dieser Frage, gibt es das eine und andere festzustellen. Man ist im Kopf nicht mehr so klar und als persönliches Merkmal spüre ich ein Kitzeln in den Füßen, zusammen mit einem leichten Wärmegefühl. Andy wird später vom metallischen Geschmack seiner Atemluft berichten. Die Handlungsfähigkeit ist aber nicht eingeschränkt, es geht manches langsamer, ohne es sich eingestehen zu wollen.
Nichts desto trotz gibt es auch jetzt Übungen, die Runtime läuft und so muss jedes simulierte Problem rasch und sicher gelöst werden.
„Weg!“ steht bei Minute 15 in meinen Tauchplan, aber 1 Minute ist abzuziehen und bei Minute 14 wird der Aufstieg eingeleitet. Switch – Gaswechsel – ist bei 30 Meter Tiefe auf das 32er Nitrox und zwei Minuten später bei 21 Meter auf das Nitrox 50. Alle 3 Meter sind Dekostops, bei 6 Meter bleibe ich schließlich berechnete 11 Minuten. Der Backup – Computer hätte schon etwas früher grünes Licht für das Auftauchen gegeben, das ist zwar ein gutes Gefühl, getaucht wird aber der Plan. Ich gebe noch weitere 6 Minuten dazu, um in Schritten von einem Meter Tiefenreduzierung aufzutauchen. Doch bevor es tatsächlich an Bord geht, noch einmal kurz abtauchen auf 10 Meter und die Boje schießen…

Den Dekompressionstheorien und physiologischen Vorgängen beim Abbau des im Körper gelösten Stickstoff wird bei der Ausbildung größte Aufmerksamkeit geschenkt und so kommt es, dass die mit Hilfe externer Software berechneten Profile konservativer sind, als das, was Tauchcomputer live ermitteln. Das sehe ich neben dem großen Plus an praktischem und theoretischem Know How, mit dem ich aus dem Kurs gehen werde, als weiteren wichtigen Punkt bei der insgesamt auf noch größere Sicherheit beim Tauchen ausgerichteten Weiterbildung.

Der zweite Tieftauchgang des Tages führt nach neuer Berechnung der Eckwerte auf – 45 Meter. Alles läuft nach Plan und alle „Überraschungen“, die sich Andy für mich in der Mittagspause hatte einfallen lassen, bringen mich nicht aus dem Konzept und in der Nachbesprechung ist Andy soweit ganz zufrieden.

Der kommende Tag ist voll und ganz der Theorie gewidmet. Nachdem die Abende zuvor schon mit diversen Hausaufgaben verbracht wurden – unterschiedliche Tauchgangberechnungen, Studium von Fachliteratur und Fachartikeln, die mir Andy ausgehändigt hatte – wurde nun tief in die Philosophie von IANTD eingestiegen. Dabei ergaben sich viele vertiefende Gespräche, basierend auf dem umfangreichen Erfahrungsschatz meines Ausbilders, Dinge, die in keinem Lehrbuch zu finden sind. Als wir uns nach gut 10 Stunden trennen und Feierabend machen, sind da auch noch ein paar Hausaufgaben im Gepäck, die schon auf die Trimix – Praxis vorbereiten, unter anderem Best Mix Berechnungen.

Mit einem Tauchgang auf – 32 Meter, der die wichtigsten Skills noch einmal wiederholt, geht es bei Ras Abu Soma weiter. Den zweiten Abstieg auf – 45 Meter mache ich jetzt als „Leader“ selbständig im Ablauf mit zwei Bojenübungen zum Schluss. Ab morgen steht Trimix auf dem Plan.

Das Tauchen mit Mischgas hat in der Vorbereitung einige Prozeduren mehr, als das Technische Tauchen mit Nitrox als Dekogas. Der Mix muss schon am Vortag bestellt werden. Das Füllen des Rückengas mit einem bestimmten Sauerstoff- und Heliumanteil ist aufwändiger. Die Zieltiefe wird bei 60 Metern liegen, die vergleichbare Stickstoff – Narkosetiefe soll 35 Metern entsprechen. Es ist durchaus eine Geldfrage, eine geringere Narkosewirkung anzustreben, denn der Heliumanteil bestimmt die Kosten. Doch für die Tauchgänge, die mit einem Doppel 11,1 Liter Gerät und den entsprechenden Reserven im tropisch warmen Meer durchgeführt werden, kann man einen Heliumanteil von 30% festlegen. Um auf dieser Tiefe den O2 – Partialdruck nicht auf über 1,4 bar ansteigen zu lassen, genügen 20% Sauerstoffanteil. So wäre das zu bestellende Gemisch ein TMX 20/30.
Man kann den Füllvorgang in Abhängigkeit äußerer Faktoren nur mit einer geringen Abweichung vom Zielwert durchführen. Fällt dann der Sauerstoffanteil tatsächlich um einen Prozentpunkt niedriger aus und der Heliumanteil um einen Punkt höher, hat das keinen Einfluss auf einen Tauchgang, wie diesen. Tatsächlich messe ich ein TMX 19/31, was jetzt als Grundlage für die Berechnung der Runtime – Tabelle dient. Die kann dann während der Fahrt zum Tauchplatz von der Software ermittelt und auf die Schreibtafel übertragen werden. Die Flaschen mit dem TMX, dem 50er und 32er Nitrox werden mit den gemessenen Gasanteilen, dem Namen, Datum und der maximalen Einsatztiefe MOD genau beschriftet, damit es an Bord keine Verwechslung bei den Geräten und Stages gibt. Außerdem muss im Team von Techtauchern jeder deutlich sehen, was der Partner in welcher Flasche als Atemgas mitführt. Beim Gaswechsel auf den falschen Mix umzusteigen, wäre äußerst fatal und daher sollen beim Switch die Partner auf kurze Distanz das Tun des anderen genau beobachten und entsprechend quittieren.
Die folgenden TMX – Tauchgänge im Rahmen der Ausbildung führe ich wieder selbständig durch, ohne Anleitung von Andy, der mich so zu sagen als Buddy begleitet. Ein echtes Aha – Erlebnis ist das subjektive wie objektive Gefühl auf 60 Meter Tiefe einen klaren Kopf zu haben. Man nimmt die Umgebung und alles, was man tut, überraschend klar wahr. Die Beobachtung des Tiefenmessers, der Runtimetabelle, des Backup – Computers, sämtliche Procedere haben plötzlich eine ganz andere, transparente Dimension. Beeindruckend.
Aber es wären keine Ausbildungstauchgänge, hätte Andy nicht doch ein paar Aufgaben an mich zu stellen und wenn unter anderem Maske und Regler plötzlich weg sind, ist das alles keine Frage von Nervosität. Das Backup ist griffbereit und sofort verfügbar, alles war in allen Details ja geübt und immer wieder gefordert worden.
Vielleicht die deutlichste Forderung an Disziplin war bei diesen TMX –Tauchgängen für mich die Einhaltung der Maximaltiefe. Man ist klar im Kopf und hängt an der Steilwand und da geht es noch etliches tiefer….. Nein, der Plan ist der Plan. Sporttauchen war gestern mit dem Ausreizen der Möglichkeiten… Das neue Bewusstsein, ein neues Selbstbewusstsein hat sich verankert und die Sichtweise des Tauchens verändert. Technisches Tauchen ist nicht nur eine andere Konfiguration des Equipments, das ist auch eine andere Konfiguration des Kopfes. Ich möchte sagen: Das ist richtiges Tauchen.
Es ist insgesamt erstaunlich, wie schnell man sich an das Tauchen mit Stages und Gaswechsel gewöhnt, die Vorbereitung und Planung in Fleisch und Blut übergeht, Dekompressionspflicht zum Alltag zählt und man seine eigenen Unternehmungen organisiert.
Die letzte Hürde ist die Theorieprüfung, gesondert für die absolvierten Kurse. Dafür muss ein Nachmittagstauchgang ausfallen und während die anderen Gäste bei Abu Kafan die Tiefe aufsuchen, nage ich mich durch die Fragebögen. Nichts ist unlösbar, manche Fragestellung ist wie oft etwas rätselhaft oder man erkennt schlicht nicht den wirklichen Sinn. Die Auswertung der Bögen und Diskussion am Spätnachmittag im Schulungsraum der Basis ergibt: Bestanden.

Andy und ich lehnen im Licht der untergehenden Sonne an einem Tresen des Techbereichs der ORCA Basis. Wir sind allein und lassen die letzten 10 Tage Revue passieren. Seine Gratulation zum Bestehen der Kurse freut mich aufrichtig, denn sie ist ernst gemeint. Und ich weiß, dass an diesem Standort in Safaga keine Gefälligkeitsbrevets bestätigt werden. Das ist gut so. Wir sind ein Stück weit Freunde geworden, die sich über und unter Wasser vertrauen. Und das zeigt Andy auch mit der spontanen Bereitschaft, meine anschließend geplanten TMX Tauchgänge vor Ort zu begleiten, bei denen ich mein umfangreiches UW-Fotoequipment einsetzen und auf Tiefe gebracht testen möchte. Zuerst muss der beste Platz zur Unterbringung der Fotoausrüstung während der Abstiegs und Dekophase gefunden werden, denn da sind ja noch zwei Stageflaschen am Mann…

Fazit

Technisches Tauchen bedeutet mehr, als mit martialischer Ausrüstung im Umfeld von Sporttauchern aufzufallen. Es bedeutet auch nicht, nur einer gewissen Philosophie sklavisch zu folgen. Es bedeutet durchaus auch Individualität in der Wahl der Ausrüstung, der Farben. Es bedeutet aber auch Kommunikation mit den Tauchpartnern, standardisierte Platzierung von Equipment und Disziplin. Und es bedeutet immer: Denken. Überdenke, was Du machst, wie Du ein Problem löst, eine Aufgabe angehst. Kompromisse sind out. Und, hier schließt sich der Kreis zum Sporttauchen, nur dort hat der Satz keine große Bedeutung mehr: Plane deinen Tauchgang und tauche Deinen Plan. Beim ORCA Technical Diveclub in Safaga das technische Tauchen zu beginnen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Lexikon

Backplate: Rückenplatte aus Edelstahl oder Alu für Techwingjackets
Bubble Check: Blasencheck auf 5 Meter Tiefe
Bungee Cord: Dehnbares Band aus Gummigeflecht, in unterschiedlichen Durchmessern
cft: imperiales Volumenmaß, Kubikfuß
EAN: Mit Sauerstoff angereicherte Atemluft
END: vergleichbare Stickstofftiefe
Hotmix: Dekogas mit höchstem Sauerstoffanteil
Liftbag: kleiner Hebesack, dient als Oberflächenboje, erleichtert Freiwasserdeko
MOD: Maximale Einsatztiefe eines Atemgas
Reel: kleine Seiltrommel für Oberflächenboje oder Orientierungsleine für Wracks / Höhlen
Runtime zeitlicher Verlauf des geplanten Tauchgangs
Stage: Zusätzliche Atemgasflasche seitlich, Material in der Regel Alu
Switch: Gaswechsel
TMX: Trimix
Ventildrill: Kontrolliertes Schließen und Öffnen der Flaschenventile und der Brücke

www.orca-diveclub-safaga.com

Beitrag erstellt 7.2013