Apnoe: Immer mehr Frauen entdecken für sich das Freitauchen und die Abstände zu den Rekorden der Männer werden kürzer

Freitauchen war nie eine von Männern beherrschte Szene

Freitauchen

Freitauchen kam zunächst nur durch die ersten Rekorde von Enzo Maiorca (1931-2016) und Jaques Mayol (1927-2001) in die Schlagzeilen der Presse. Das war in den 60er Jahren und schuf so das Bild, einer von Männern beherrschten Szene. Tatsächlich sind die Ama-Taucherinnen in Japan, die bis in Tiefen von 20 Metern nach Schalentieren suchen, bis ins 6. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Die Älteste noch aktive Ama zählt 85 Jahre, was deutlich macht, dass auch in der modernen Freitauchszene ältere Teilnehmerinnen zurecht ihren Platz auch bei Wettkämpfen haben.

Nicht zu vergessen, dass es mittlerweile auch viele Unterwasserjägerinnen gibt, speziell im Mittelmeerraum, die im Ergebnis ihrer Aktivitäten den männlichen Kollegen in nichts nachstehen.

FreitauchenGanz klar konzentrierte sich sehr lange Zeit die Tauchsportindustrie im Bereich Freitauchen auf die Ausstattung von Männern. Erste geeignete Anzüge „von der Stange“ und kleinere Größen bei Freitauchflossen gibt es in Europa erst seit etwa 2010.

Wie es der Zufall wollte, war mein aktiver Einstieg ins Freitauchen von einer Ausbilderin durchgeführt worden. Ich absolvierte zwei Kurse bei ihr und es war mir sogar mehr als Recht, von einer Frau ausgebildet worden zu sein. Die allermeisten Gerätetauchgänge habe ich gewollt und bewusst mit weiblichen Buddys durchgeführt, denn sie haben ein deutlich anderes Gefühl und Verständnis für das Medium Wasser als Männer. So mein ganz persönlicher Eindruck.

Denn Studien beweisen tatsächlich, dass Frauen tendenziell eine stärkere Verbindung zur Natur haben als Männer. Diese natürliche Verbundenheit hilft ihnen, sich entspannter und wohler zu fühlen im und unter Wasser. So ist jeder Tauchgang für sie, ein „bisschen wie nach Hause zu kommen“.

Weg mit einem Vorurteil, Freitauchen sei nichts für Frauen

Freitauchen erfordert sowohl körperliche als auch geistige Ausdauer. Wenn es um Freitauchrekorde geht, liegen immer noch Männer in Führung. Männer haben im Durchschnitt mehr Lungenkapazität und Muskelmasse, um länger und tiefer zu tauchen. Bei genauerem Hinsehen verringert sich der Abstand jedoch. Frauen auf der ganzen Welt vollbringen unter Wasser außergewöhnliche Leistungen und stellen immer wieder neue Rekorde auf: Die deutsche Freitaucherin Heike Schwerdtner (54 Jahre) hielt 9 Minuten und 7 Sekunden lang den Atem an; die italienische Freitaucherin Alessia Zecchini (32 Jahre) tauchte mit ihrer Monoflosse unglaubliche 123 Meter tief und die ukrainische Athletin Kateryna Sadurska (32 Jahre) schaffte es ohne Flossen auf 84 Meter. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Bedenkt man, dass Männer ein bis zu 30 Prozent größeres Lungenvolumen als Frauen haben, ist es bemerkenswert, dass die meisten Freitauchrekorde weiblicher Athletinnen nur etwa 10 Prozent unter denen der Männer liegen. Die physiologischen und physischen Stärken, die Frauen helfen, unter Wasser erfolgreich zu sein sind der Sauerstoffvorteil und der Tauchreflex.

Der Sauerstoffvorteil

Da Männer größere Lungen als Frauen haben, können sie vor dem Tauchen mehr Sauerstoff aufnehmen. Die durchschnittliche Lungenkapazität beträgt bei Männern etwa 6 Liter und bei Frauen 4 Liter. Kleinere Lungen hindern Frauen jedoch nicht daran, beim Freitauchen Höchstleistungen zu erbringen, denn jede Medaille hat zwei Seiten. Männer können zwar mehr Luft speichern, doch wissenschaftlichen Studien zufolge nutzen Frauen Sauerstoff effizienter. Aufgrund ihrer höheren Muskelmasse benötigen Männer mehr Energie für den Muskelerhalt und den gesamten Energieverbrauch. Dadurch wird die geringere Luftkapazität der Frauen bis zu einem gewissen Grad kompensiert.

Der Tauchreflex

Wir alle besitzen ihn, und als Freitaucher sind wir darauf angewiesen: Der Tauchreflex bei Säugetieren löst eine Reihe physiologischer Reaktionen aus, sobald wir mit dem Gesicht unter Wasser tauchen. Je kälter die Wassertemperatur, desto stärker die Reaktion. Der Tauchreflex verlangsamt die Herzfrequenz, verengt die Blutgefäße und optimiert die Sauerstoffversorgung von Gehirn und Herz. Die Herzfrequenz sinkt – ein Effekt, der als Bradykarde Reaktion bezeichnet wird – und es wird weniger Sauerstoff verbraucht. Eine aktuelle Studie über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Herzfrequenz während des Tauchreflexes zeigt, dass die Bradykarde Reaktion bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern. Das bedeutet, ihre Herzfrequenz sinkt schneller, was dabei hilft, Sauerstoff zu sparen.

Die mentale Stärke von Freitauchern

Freitauchen ist ein ebenso mentaler wie körperlicher Sport, wenn nicht sogar mehr. Um Höchstleistungen zu erbringen, müssen Instinkte – wie der Atemreflex – bezwungen werden. Man lernt, mit körperlichem und geistigem Stress umzugehen, Selbstkontrolle zu bewahren und dies mit einer positiven Einstellung zu tun. Im Wasser wird gelernt, dass negative Gedanken  Energie rauben und dass intensives Training das Erreichen persönlicher Bestleistungen mit einer positiven Einstellung viel einfacher ist. Für manche ist Freitauchen eine Form der Meditation, für viele der ultimative Stressabbau. Dieser therapeutische Effekt ist nicht nur eine Illusion, er ist wissenschaftlich belegt. Eine türkische Vergleichsstudie über die psychologischen Eigenschaften von Freitauchern und Nicht-Freitauchern zeigte, dass Freitaucher weniger Angstzustände, Stresssyndrome und eine geringere negative Erregbarkeit erleben als Nicht-Sportler. Für Freitaucher sind diese Ergebnisse keine Überraschung. Weil bei jeder Tauchvorbereitung auf unsere Atmung und Entspannung konzentriert wird, entwickelt man achtsame Strategien zur Stress- und Angstreduzierung.

Ein Freitaucher – egal welchen Geschlechts – kann mit mentaler Kontrolle und einem meditativen Gemütszustand belohnt werden. Studien zeigen, dass insbesondere Frauen über ausgeprägte psychosomatische Fähigkeiten verfügen, die perfekt zum Wesen des Freitauchens passen. Sportlerinnen zeigen ein hohes Engagement und erreichen ein besseres Entspannungsniveau. Auch in mentalen Übungen sind Frauen zielbewusst.

Freitauchen ist keine Männerdomäne

Frauen blühen unter Wasser auf. Sie brechen Rekorde, überwinden Grenzen und entwickeln sich unter Wasser stetig weiter. Ein guter Freitaucher zu sein, hat keine Relevanz ob Mann oder Frau. Unzählige Sportlerinnen tauchen tiefer, länger und weiter als viele Männer. Es gibt Frauen über 80, die immer noch Weltrekorde in ihrer Altersgruppe erzielen und es gibt Ausnahmetalente, die unerwartet jahrzehntealte Meilensteine ​​brechen. Freitauchen ist keine Männerdomäne, sondern eine ganz besondere Welt, in der jeder Mensch glänzen kann, unabhängig vom Geschlecht – und oft sind es Frauen.

 

Michael Goldschmidt
Michael Goldschmidt