Pandemiebedingt sind Forschungsexpeditionen für viele Wissenschaftler:innen nur eingeschränkt möglich. Um im südpazifischen Inselstaat Vanuatu weiterhin forschen zu können, hat sich Dr. Annette Breckwoldt, Meereswissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT), mit einem lokalen Team der Okeanos Stiftung für das Meer zusammengetan, das in dieser entlegenen Region einen Katamaran ihrer polynesischen Flotte betreibt.
Das Pilotprojekt der deutschen Stiftung mit Sitz in Darmstadt und des ZMT in Bremen wurde vor kurzem abgeschlossen. Derzeit werden die Daten und Aufnahmen vom Team gesichtet.
Eigentlich setzt die Okeanos Stiftung ihre polynesischen Katamarane mit moderner technischer Ausstattung, Vaka Motu genannt, für den Passagier- und Frachttransport, die Gesundheitsversorgung, Bildungsprojekte und Katastrophenhilfe ein. Anfang des Jahres jedoch stand eine andere Aufgabe auf dem Programm. Die Crew war mit einem Forschungsauftrag unterwegs zu zwei abgelegenen Inseln des Vanuatu-Archipels: auf Malekula und Maskelyn galt es für die Bremer Wissenschaftlerin Annette Breckwoldt und ihre Kollegen Interviews mit der lokalen Bevölkerung zu führen. Unter den Besatzungsmitgliedern: ein Kameramann und Einheimische beider Inseln, die ihre Landsleute in der eigenen Sprache befragten und die Gespräche filmisch festhielten.
„Wir konnten unsere bestehende Infrastruktur ideal nutzen, um die Studien zu unterstützen und dies gleichzeitig mit den Zielen unserer Stiftung zu verbinden“, beschreibt Okeanos-Sprecherin Jana Steingaesser die Kooperation. „Okeanos setzt sich im Pazifik dafür ein, den Inselgemeinschaften einen nachhaltigen Seetransport auf traditioneller Grundlage zu ermöglichen, um so Unabhängigkeit, kulturelle Wiederbelebung und den Schutz der Meere zu gewährleisten.“
Für das ZMT wiederum sind die Umfragen ein wichtiger Teil der sozialwissenschaftlichen Arbeit für das deutsch-französische Forschungsprojekt „SOCPacific“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Agence Nationale de la Recherche (ANR) gefördert wird.
Projektkoordinatorin Breckwoldt und ihre französische Kollegin Dr. Elodie Fache vom Institut de Recherche pour le Développement (IRD) wollen herausfinden, wie sich Fischereipraktiken im Südpazifik entwickeln. Dabei interessieren sie nicht nur ökonomische und ökologische Aspekte der Fischerei, sondern vor allem das vielseitige Netz soziokultureller und geopolitischer Verbindungen, innerhalb derer sich Fischereipraktiken entwickeln, und die für den Meeresschutz eine ebenso große Rolle spielen.
In früheren interdisziplinären Untersuchungen in der Region waren Breckwoldt und Fache auf eine Besonderheit gestoßen, die sie aufhorchen ließ – häufig und in vielfältigen Zusammenhängen wurden Riffpassagen erwähnt.
„Korallenriffe vor den Küsten tropischer Inseln sind vielerorts von Öffnungen und Kanälen gekennzeichnet. Durch diese sogenannten Riffpassagen laufen Meeresströmungen, Wellen, Gezeiten, Flusssedimente und Nährstoffe“, erklärt Annette Breckwoldt. „Haie, Schildkröten und Fischschwärme durchqueren die Durchbrüche auf der Suche nach Futter, Schutz oder einem Laichgebiet. Für den Lebensraum Korallenriff spielen Riffpassagen also eine wichtige Rolle. Zusammen mit unseren lokalen Partnern wollen wir nun herausfinden, was genau Riffpassagen für die Inselbevölkerung bedeuten, um das bessere Verständnis und Wissen in lokale Entscheidungsprozesse zum Schutz und nachhaltigen Management der Küsten und Fischerei-Grundlage einfließen zu lassen.“
Von den Wissenschaftlerinnen mit einem umfangreichen und gemeinsam entwickelten Fragebogen ausgestattet, besuchte das Okeanos-Team mit seinem Katamaran im Januar die Inseln Malekula und Maskelyn, an deren Küsten es gut zugängliche Riffpassagen gibt, um die Bedeutung dieser strukturellen Besonderheiten für die dortige Bevölkerung erstmals filmisch zu dokumentieren.
„Erste Auswertungen zeigen, dass die Menschen vor Ort den Riffpassagen einen enormen Wert beimessen und sie auf vielfältige Weise nutzen“, berichtet Breckwoldt. „Riffpassagen dienen der Nahrungsbeschaffung oder haben soziokulturelle Relevanz, beispielsweise als Passagen für die Seelen der Verstorbenen, so dass auch bereits lokal Maßnahmen zu ihrem Schutz eingeführt wurden.“
Im Südpazifik engagierten sich die Küstenbewohner verstärkt für ein integriertes Management mariner Lebensräume und Ressourcen, so Breckwoldt. „Ihr Schutz der Riffpassagen zeigt uns, wie wichtig es ist, lokales Wissen in die Gestaltung von sinnvollen Maßnahmen zum Schutz der Küsten und küstennahen Meeresgebiete einzubinden“, betont die Forscherin.
Im Zuge des Pilotprojekts erkannten Breckwoldt und Fache schnell, dass die Unterstützung durch das Okeanos-Team in Vanuatu eine großartige Gelegenheit ermöglichte, ihr Forschungsthema und ihre lokalen Forschungspartner auch aus der Ferne besser kennenzulernen.
Nun hoffen die Forscherinnen, dass dieses erste Projekt der Anfang einer längerfristigen Zusammenarbeit mit den Gemeinden des Südpazifik-Archipels und der Okeanos Stiftung sein wird.
Die Okeanos Stiftung für das Meer hält die Kooperation nicht nur wegen der pandemischen Lage weltweit sondern auch im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte für wegweisend: „Wir sehen, dass Forschungskooperationen sich zu einem weiteren Standbein für unsere Stiftung entwickeln könnten“, sagt Jana Steingaesser von Okeanos. „Dies liegt zum einen daran, dass große Datenlücken für die Pazifik-Region bestehen, zum anderen aber auch an der Entwicklung in der Pandemie und den damit verbundenen Reisebeschränkungen.“
Weitere Informationen zum Projekt “A Sea of Connections: Contextualizing Fisheries in the South Pacific Region- SOCPacific”: https://socpacific.net/
Mehr über die Okeanos Stiftung für das Meer: https://okeanos-foundation.org/
Susanne Eickhoff