Liebe Leserinnen und Leser,
das Kürzel „KI“ beherrscht inhaltlich zurzeit viele Artikel, egal ob in Tageszeitungen, Wochenmagazinen oder Fachpublikationen.
In Hollywood streikten wegen der vermehrt eingesetzten KI, der künstlichen Intelligenz, wochenlang Drehbuchautoren und Schauspieler, die sich von dieser Technik in ihrer Existenz bedroht fühlten und auch nach dem Streikende weiterhin so fühlen.
Von welchem Szenario ist auszugehen? Zukünftig könnten von KI produzierte Drehbücher die menschlichen Autoren überflüssig machen, von KI täuschend echt im Computer simulierte digitale Doubles echter Schauspieler deren Engagement übernehmen. Die Studios und Produktionsfirmen würden enorm viel Geld sparen, weil keine Gagen, Honorare und produktionstechnisch bedingte hohe Nebenkosten anfielen. Die später einmal produzierten Filme und Serien, ob fürs Kino oder den heimischen Bildschirm allein nur noch von KI täuschend echt simuliert, denke ich darüber nach, ist es für mich ein Horrorszenario.
KI tropfte monatelang von meinem näheren Interesse ab. Wozu sollte sie für mich, meine Arbeit als Fotograf, als Redakteur sinnvoll sein. Wie könnte sie meine Arbeit erleichtern, ein Onlinemagazin wie UnterWasserWelt bereichern oder gar neue Impulse geben?
Und dann kam eines der vielen Updates für meinen Adobe Fotoladen auf den Rechner. Updates interessieren mich eigentlich nur, um die Betriebssicherheit der Software auf dem neuesten Stand zu halten, indem erkannte Fehler beseitigt wurden und das Produkt kein Tor offen hält, um Hackern leichtes Spiel zu machen. Dass mir in der unglaublichen Vielzahl von Werkzeugen und kreativen Tools von Photoshop je etwas gefehlt hätte, war zu keinem Zeitpunkt ein Thema.
Dann kamen die ersten Filter, natürlich von KI unterstützt, die aus einem griesgrämig dreinblickenden Zeitgenossen eine freundlich lächelnde Person zauberten, die auf Wunsch sogar die Lippen des ursprünglich geschlossenen Mundes öffnete und Zähne zeigte. Ich fand das erheiternd, eine echte Idee zur Anwendung entstand aber nicht. Klar war, dass die zur Veränderung des Bildes ausgewählten Parameter auf den Rechnern von Adobe bearbeitet wurden. Das zeigte schon ein eingeblendeter Balken an, der den Fortschritt der Berechnung verfolgen ließ.
Das nächste Update war in die Benutzeroberfläche so unübersehbar fordernd integriert, dass ich nicht lange brauchte, mich damit näher zu beschäftigen. Ein paar Fingerübungen nur. Spielen. Probieren. Dann staunen.
Es dauerte nicht lange, bis mir „Original oder Fälschung“ auf der Zunge lag. Mir war klar geworden, dass man es mit der KI in einer Software zur Grafik- und Fotobearbeitung absolut in der Hand hat, Bilder so zu verändern, dass nicht mehr feststellbar ist, ob es sich um ein Original oder eine fundamentale digitale Bearbeitung handelt.
Das alte Wort „Fotos lügen nicht“ ist ohnehin schon längst überholt, nur musste man bis jetzt eben neben einer guten Softwareunterstützung auch Zeit und persönliches Können investieren, um ein einziges Foto täuschend echt zu manipulieren. Mit KI in der Grafiksoftware sind es nur ein paar Minuten vom ersten Schritt bis zum Ergebnis.
Das Titelbild des Editorials zeigt eine Apnoetaucherin mit Tauchmaske am Meer, im Hintergrund weiter entfernt eine Uferlandschaft, Wolken am Himmel, das Licht kommt diffus von vorne. Dieses Foto für einen Testbeitrag zur Falcon C4 Apnoemaske ist bildredaktionell bewertet perfekt. Da gibt es keine Unstimmigkeiten, die auf eine Montage hindeuten könnten. Keine falschen Schatten, kein falsches Licht, keine Lichtunterschiede, kein strahlend blaues Meer, das nicht zur Beleuchtungssituation passen würde. Das einzig reale Blau des Tauchanzugs ersetzt den emotionalen Anspruch auf blauen Himmel, auf blaues Meer.
Ich sage mal, um dieses Bild real produzieren zu können, hätte ich im Minimum 900 Kilometer ans Mittelmeer fahren müssen. Dann eine geeignete Location finden. Auf geeignetes Wetter und geeignete Lichtsituation hoffen und warten. Das kann Tage dauern. Zeitaufwand und Kosten stünden nicht in Relation zum Verdienst.
Alternativ hätte ich die Taucherin auch in meinem Studio vor einem Greenscreen fotografieren können, der grüne Hintergrund wird dann in der Grafiksoftware durch ein Digitalfoto aus meinem Archiv ergänzt. Das macht richtig Arbeit, denn das künstliche „Tageslicht“, das die Taucherin beleuchtet, muss dann zur Lichtrichtung im Hintergrund passen, nicht natürliche Spiegelungen auf der feuchten Oberfläche des Tauchanzugs müssen entfernt werden und vieles mehr. Alles in allem ein Tag Studiozeit und Nachbearbeitung.
Ich habe aber eine geeignete Vorlage, aufgenommen im Freibad. Natürliches, weiches Licht, die Sonne hat einen Wolkenschleier, keine harten Schatten. Ideal alles für die Taucherin und die C4 Maske. Nur der Hintergrund…. Die KI bekommt eine erste Chance. Original und „Fälschung“ sprechen für sich.
Jetzt einen Schritt weiter, die C4 Maske braucht ja auch ihren Auftritt unter Wasser. Pool wäre eine Möglichkeit. Das ist aber so, hm, eher langweilig. Mit dem Bildthema hier in einem See abzutauchen ist schlicht nicht attraktiv. Schnell ans Rote Meer oder auf die Malediven? Sehr gerne. Aber das ist völlig unverhältnismäßig. Aber….
Aus einer 4k Videosequenz unter Wasser im Pool habe ich ein Bild ausgewählt. Ich liebe es, aus 4k Videos das optimale Bild aussuchen zu können, das mit einem Foto so nie erreicht werden kann. Die etwas beschatteten Augen werden später mit Photoshop aufgehellt, einziger Produktionsaufwand: Eine DJI OSMO Actioncam, ohne Zusatzlicht, bis 11 Meter Tiefe ohne Gehäuse tauchtauglich.
Die KI von Photoshop bekommt von mir knappe schriftliche Anweisungen, dann geht’s los und nach zwei Minuten traue ich meinen Augen nicht, wie aus dem Pool mit Stahlwänden eine Unterwassersituation in geringer Tiefe mit unglaublichen Spiegelungen an einer real nicht existierenden Wasseroberfläche wurden. Original und „Fälschung“ sprechen für sich.
Bei aller Euphorie wurde ich nachdenklich. Sehr nachdenklich. Die von mir beispielhaft vorgestellten Manipulationen sind für die Illustration von Artikeln und den privaten Gebrauch voll in Ordnung. Ich denke einen Schritt weiter. Fotowettbewerbe, Unterwasserfotowettbewerbe, es ist erschreckend, wie hier insgesamt unsichtbar manipuliert werden kann, da schwebt für mich jetzt immer die Frage im Raum: Ist das Foto rundum echt? Verdient es einen Wettbewerbspreis?
Oder die andere Seite, muss ich mit teurem UW-Fotoequipment um die Welt reisen oder in Minen und Höhlen nach ikonischen Fotoergebnissen suchen, wenn mit einer guten Actioncam plus KI Bilder erzeugt werden können, die AH und OH erzeugen, möglich sind. Natürlich können auch die vielen lausig schlechten Pics fotografisch ahnungsloser Sporttaucher wettbewerbsfähig aufgepimpt werden oder ich spare mir die Maledivenreise, die ich den neidischen Nachbarn seit Monaten unter die Nase gerieben hatte. Ich lass mich in eine Szenerie einfügen, deren Befehle Sandstrand, Meer, Palmen waren.
Kommen Sie gut durch den grauen Monat,
herzliche Grüße, Ihr
Michael Goldschmidt