Vor langer langer Zeit galt die Brühlsche Terrasse über dem Dresdener Elbufer als der „Balkon Europas“. Hier flanierten die Reichen, Schönen, adligen Mächtigen sowie deren Künstler und Hofnarren. In Reichweite erheben sich die berühmten Bauwerke des alten Dresden; können wir Residenzschloss, Hofkirche, Prinzenpalais, Sekundogenitur und Semperoper bewundern. Wunderbar, dass nun als Krönung des Ganzen auch wieder die Frauenkirche Dresdens Silhouette komplettiert und all die alten Häuser rund ums Johanneum wieder auferstehen. Und auch das gehört hierher, das Tauchen in Dresden im Kiessee Leuben Nord.
Von der Neustädter Seite grüßt der Goldene Reiter herüber, das Denkmal und bekannteste Symbol Augusts des Starken. Etwa dort, wo heute das Westin Bellevue Hotel neben dem japanischen Palais steht, mag einst der Maler Bernardo Belotto seine Staffelei hingestellt haben, um Alt-Dresden an der Elbe zu malen. Jener Maler, der heute unter seinem Künstlernamen Canaletto am bekanntesten ist. Das Grüne Gewölbe, das Kupferstichkabinett, die Gemäldegalerie, die Dresdner Theater, die phantastische Rüstkammer oder der edle Mathematisch-Physikalische Salon sind jederzeit eine Kulturreise nach Dresden wert, die sich je nach Zeit und Geduld über Tage und Wochen erstrecken kann.
Ganz ungeachtet all der wunderbaren Biergärten an Dresdens Elbufern vom Elbsegler bis zum Schillergarten am Blauen Wunder kann es passieren, dass der Besucher im Sommer pflastermüde wird und sich einen gemütlichen Fleck am Wasser wünscht. Und auch hierin ist Dresden in jeder Weise privilegiert. Einfach auf dem Wasser sein, dass kann eine Dampferfahrt zwischen Meißen und der Sächsischen Schweiz bedeuten. Doch auch jene, die vor allem im klaren Wasser Erholung und Naturkontakt suchen, finden inmitten von Dresden ihr Refugium.
Im Dresdener Stadtteil Leuben, eine gute Viertelstunde Fahrzeit vom Kronentor des Zwingers entfernt und schon nah bei der Staatsoperette, liegen unterhalb eines wuchtigen Hügels zwei ehemalige Kiesgruben, die längst voll klarem Wasser sind. Unter dem Hügel neben den Dresdener Kiesseen verbergen sich die nicht mehr verwendbaren Trümmer der Luftangriffe auf Dresden im Jahre 1945; der Dresdener Mont Klamott. Die nördliche Leubener Kiesgrube wird nach alten Besitzverhältnissen auch Kiesgrube Knobloch genannt.
In und um Dresden sowie nach Heidenau hin existieren reiche Kieslager. Es handelt sich überwiegend um Flusskies, den die Elbe in jenen geologischen Zeitaltern abgelagert hat, in denen sie im Elbtal und auch über den heutigen Standort von Dresden hinweg frei mäandrieren konnte. Dieser Flusskies war für die Baustoffindustrie schon immer interessant und wurde in zahlreichen Tagebauen gewonnen. Einige dieser Kiesgruben sind heute zu relativ klaren Flachseen mutiert.
Der innerstädtische Klarwassersee Leuben-Nord alias Kiesgrube Knobloch (Tiefe max. 15 Meter) ist vom wilden Badebetrieb ausgenommen und ganz für das Tauchen und Angeln reserviert. Den weiträumig eingezäunten See umgibt eine schmale Schilfzone und alle Taucheinstiege liegen am nördlichen Ufer, das über die Tauernstrasse erreicht wird. Die Zugänge zu den Tauchzonen werden von Tauchläden und Vereinen betreut und sind unter Verschluss, so dass man sich zum Tauchen anmelden muss. Die Tore zum See verbergen sich in dichtem Brombeer- und Hagebuttenbewuchs, beim ersten Besuch kann das Finden ein paar Minuten dauern.
Der Kiessee ist von schmalen Schilfzonen umgeben, die sich Wildenten und alljährlich auch ein Schwanenpaar mit reichlich Nachwuchs teilen. Eine echte Stadt-Idylle! Unmittelbar am See können wir den Tauchgang gemütlich im Schatten hoher Bäume vorbereiten. Hier existieren verschiedene Rödelbänke und unterschiedliche Steganlagen mit Stufen und Schrägzugang ins Wasser. Unmittelbar vor dem Gelände der Taucher steht eine per Leitseil erreichbare große Ausbildungsplattform. Unter dieser lauert nahezu immer ein Hecht.
Unmittelbar vor den Stegen der Taucher kreuzen große Schwärme von Plötzen, Rotfedern und Barschen. Während sich die Weißfische gern ins ganz flache Wasser zurückziehen, schwimmen die Schwärme handgroßer Barsche auch hinaus ins Freiwasser und umkreisen uns Taucher. Nur selten sahen wir so große, standorttreue Barschschwärme, zuweilen schwebt der Tauchpartner in einer Fischwolke. Links vom Taucheinstieg erreichen wir am Ende einer markanten Kiesbank Leubens größtes Wrack, den „gesprengten Bauwagen“. In dieser Region liegen auch muschelbedeckte Baumrollen am Seegrund. Wir schwimmen an zierlichen Seerosen-Hybriden vorbei. Immer wieder folgen uns Barschschwärme. Im Flachwasser liegt eine gewaltige historische Schubkarre, bei deren Anblick man sich unwillkürlich Männer mit Lederschürze und aufgeladene Bierfässer vorstellt.
Dann nehmen wir Kurs auf die Seeregion rechts vom Einstieg, die etwa unterhalb des heute grünen Trümmerberges liegt. Der Trümmerberg ist unterirdisch ein ganz außergewöhnlicher Lebensraum: in seinen unergründlichen Hohlräumen überwintern Legionen von Erdkröten und Molchen. All die Lurche wandern in vernieselten Frühjahrsnächten zum Laichen in den Kiessee Knobloch ein.
Unterwegs entdecken wir immer wieder diverse versunkene Stege oder auch bewusst errichtete Plattformen, die zum Teil sogar massiv aus Betonteilen errichtet wurden. Ein Motorrad und die Szene „Gerippchen sitzt am Frühstückstisch“ dürfen zu den eher skurrilen unterseeischen Schaustücken gezählt werden. Ein überfluteter Baum ist Standort eines besonders großen Barsches, der im kalten Wasser der Sprungschicht steht.
Der Kiessee Knobloch war, sehr unterstützt von den Dresdener Tauchern, sogar Schauplatz limnologischer Experimente. So liegt noch heute eine Schwimmleine quer übers Wasser, an der technische Gewebematten mehrere Meter in die Tiefe hängen. Diese Matten dienten und dienen als Substrate oder Siedlungsflächen für tausende Dreikantmuscheln.
In Limnologenkreisen ist längst bekannt, dass die Dreikantmuschel Dreissena die höchste Filtrationsleistung unter unseren einheimischen beziehungsweise eingewanderten Muschelarten erbringt. Ein junger Wissenschaftler hat hier die Filtrationsleistungen dieser Muscheln großtechnisch erprobt und gemessen. Möglicherweise trägt der Dreissena-Bestand kräftig zu den guten Sichtweiten im Kiessee Knobloch bei. Wenn die Matten im Blickfeld auftauchen, wirken sie beinahe wie der unregelmäßige Holzzaun einer alten slawischen Befestigung im magischen Grün des Seewassers.
Über den flachen Kiesbänken des Sees entdecken wir auch Characeenbestände, Hornblatt, Tausendblatt und Laichkräuter. Vor allem das Durchwachsene Laichkraut wuchert hier langstängelig und solitär. Das unterhalb des Mont Klamott ins Wasser gebrochene Durcheinander großer Weiden heißt in Taucherkreisen der Märchenwald. Diese Seeregion ist immer gut für Begegnungen mit ganzen Gruppen großer Spiegelkarpfen. Auch die ganz großen Hechte stehen gern in den Weiden. Wer an der Grenze des Wasserpflanzenbewuchses genau beobachtet, kann immer wieder kräftige, allein schwimmende Döbel beobachten. Beim Nachttauchen werden große Aale beobachtet. Doch auch Zander und Bleie zeigen sich kaum vor der Dämmerung. In sehr warmen Sommern glänzt der Kiessee mit den zierlichen Süßwassermedusen.
Wenn über all dem der sprichwörtliche Wind in den Weiden rauscht, so fühlt man sich inmitten der Stadt, ungeachtet der über den grünen Ufern sichtbaren Hochhäuser, seltsam eins mit der Natur. Sei es zum stillen Early Morning Dive oder während eines gemütlichen Sommerabends am See. Das größte zum Tauchen geeignete Gelände am See befindet sich im Besitz des Tauchtreff Dresden, wo man jederzeit unkompliziert Tauchgänge vereinbaren und Schlüssel erhalten kann.
Wer Dresden und die Sächsische Schweiz genauer kennen lernen will, kann sich diese Zeit mit Tauchgängen in der Stadt Dresden, in Meißen sowie in den nur 40-50 km entfernten berühmten Steinbruchseen der Lausitz als Kultur- und Tauchreise gestalten.
Zugang und Infos zum Kiessee Leuben in Dresden
Basis Dresden-Leuben
www.tauchtreffdd.de
www.tauchcenter-dresden.de
Falk Wieland
Beitrag erstellt 2012