Es ist frühmorgens, als der Tieflader mit dem Alubomber, einem 7 m langen Arbeitsschiff, huckepack in Luzern eintrifft. Routiniert werden von Klaus F. Keppler, unterstützt durch zwei Teams von den Schatzsuch- bzw. Bergungsunternehmen Seabed Invest sowie der Nautik GmbH Keppler & Vitt die Verzurrungen gelöst. Es sind gerade mal 15 Minuten vergangen und schon gleitet das Arbeitsschiff in den See. Das hochwendige, jedoch ungewöhnlich anmutende Boot sorgt für Aufsehen. Immer mehr Menschen schauen dem regen Treiben zu. Dies wird noch gesteigert, als ein Transporter eintrifft, aus dem Computer, Monitore und noch jede Menge weitere Technik ausgeladen und auf dem Boot montiert wird.
Ein Einheimischer kennt sich aus, und erklärt den anderen, das jenes komische gelbe etwas, was gerade an Bord gehievt wird, ein sogenanntes „ROV“ sei, so etwas wie ein Video unter Wasser. Langsam aber sicher trudeln auch die Schulungsteilnehmer am vereinbarten Treffpunkt ein. Der ein oder andere grinst, als ihm eine Rettungsweste überreicht wird. „Auf dem Meer, das würde ich ja verstehen, aber hier…“. Dass die Schiffsbesatzung den Punkt Sicherheit jedoch durchaus ernst nimmt, wird jedem klar, als es heißt, „alles an Bord“ – ohne angelegte Rettungsweste bleibt man an Land.
Um 9 Uhr geht es los. Das Arbeitschiff sowie zwei Begleitboote laufen aus. Die Erwartungshaltung, etwas zu entdecken, ist groß. Klaus F. Keppler dämpft diesen Optimismus, dies sei schließlich eine Schulung, keine wirkliche Schatzsuche. Wir fahren das erste Suchgebiet an, das vorher mit Danny Bernhard festgelegt wurde, der den See seit seiner Jugend betaucht. Dabei wird ein Rechteck festgelegt, das systematisch in Bahnen abgefahren wird. Möglich wird dies durch DGPS sowie ein modernes Polarortungssystem, das dem Schiffsführer per Laserstrahl von Land aus jederzeit die exakte Position durchgibt.
Vorsichtig wird nun, nach Erläuterung der Technik, der sogenannte Sidescan-„Fisch“, der, einfach ausgedrückt per Sonar den Seeboden abspiegelt, ins Wasser gelassen. Die elektrische Winde springt an, und der Fisch verschwindet in den Tiefen des grünlich schimmernden Sees. Konzentriert hält ein Schüler mit dem Bootsführer Ausschau nach Bojen, an denen Fischernetze befestigt sind. „Pflügt“ der Fisch in ein Netz, so kann dies den Verlust des High-Tech-Equipments bedeuten.
Am Monitor tauchen die ersten Bilder vom Seegrund auf. Die Luft im Schiff wird stickig. Die Teilnehmer scheinen fast in den Computermonitor, der die Bilder vom Seegrund live überträgt, reinklettern zu wollen. „Mit dem Sidescan-Fisch können wir Gebiete von 50 bis 1000 m Breite scannen. Je geringer die Scannbreite ist, desto besser natürlich die Ergebnisse“, wird erklärt. Die „Nachwuchs-Schatzsucher“ starren wie gebannt auf etwas schwarzes, längliches, das sich auf dem Bildschirm abzeichnet. Keppler weiß, was sich gerade in den Köpfen der Teilnehmer abspielt, zu oft hat er es selbst erlebt. „Nein, so schnell geht das nicht. Was ihr hier seht, ist einfach ein Fels“, erklärt er und zieht an seiner Zigarre. So geht bzw. wiederholt sich dies eine ganze Weile – der Anspannung folgt bei allen eine leichte Ernüchterung. „Suchen heißt nicht gleich finden“ erklärt Keppler. Solcherlei Operationen sind auch ein Geduldsspiel. „Trotz ausgiebiger und intensiver Recherche haben wir z. B. bei unserer Expedition zum Wrack der „Prins Frederik“ immerhin ein Gebiet von über 1500 km2 gescannt.“ Dieser Schock sitzt bei allen.
Nach unzähligen Erlärungen über Magnetometer- und Sidescantechnologie dann nachmittags doch endlich der ersehnte Moment. Auf dem Monitor zeichnen sich Konturen ab. Keiner will sich blamieren – alle warten ab. Eine Schülerin hält es nicht mehr aus und schreit es förmlich raus – „Ein Wrack“. Keppler beugt sich über den Bildschirm und misst die ungefähre Länge des Objektes. „Dies durfte die ‚Portland‘ sein, ein 47 m langes Schiff, das 1953 unterging.“ erklärt er anschließend. Das ROV, der Unterwasser-Kamera-Roboter wird fertig gemacht. Alle helfen mit, schließlich will man ja sehen, was man gefunden hat. „Taucher gehen bei uns nur runter, wenn es wirklich notwendig ist. Warum soll man Menschenleben riskieren, wenn es eine entsprechende Technik gibt“. Kopfnicken bei allen, während das ROV ins Wasser gelassen wird. Per Joystick geht es in die in die Tiefe. Jeder darf nun natürlich auch einmal steuern. An der „Portland“ angekommen, übernimmt wieder Keppler. Vorsichtig nähert er sich dem sehr gut erhaltenen Wrack. Die Augen der Teilnehmer strahlen.
Nach einer halben Stunde wird das ROV wieder raufgeholt und weiter geht es. Nunmehr sind die „Nachwuchs-Schatzsucher“ scheinbar vom Glück verfolgt. Nur kurze Zeit später tauchen am Monitor Wrackreste auf. Man schaut ins Archivmaterial – Danny glaubt, dies seien die Reste eines Schweizer Militärflugzeuges, das in den Fünfzigerjahren in der Luft explodierte und hier versank.
Leider heißt es nun aber auch, wieder in Richtung Heimathafen zurückzukehren. Das Ausbildungsziel für diesen Tag ist erreicht und schließlich war es ein langer Tag. Wie heißt es so schön: Es kommt immer anders, als man denkt. Auf der Rückfahrt, den Sidescan-Fisch im Schlepp, unterhält man sich angeregt über das erlebte. Nur ein kurzer, flüchtiger Blick von Klaus Keppler auf den Monitor ist es, der alles verändern wird.
Keppler und Danny Bernhard schauen sich an – beide sind überrascht. Wie aus dem nichts zeichnen sich plötzlich unnatürliche Umrisse auf dem Seeboden ab. „Hier durfte eigentlich gar nichts sein, auf der Seekarte ist jedenfalls nichts eingezeichnet“ ruft Keppler den Teilnehmern zu. Es folgt ein Studium der Akten über die Untergänge von Schiffen am Vierwaldstätter See, während der Alubomber wendet, um noch einmal „über das Wrack zu fahren“. Tatsächlich, im Jahre 1899 sank die Naue „Flora“, ein Transportschiff, angeblich in dieser Gegend. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben. Bis heute galt das Schiff jedoch als verschollen. Kepplers Erregung wirkt ansteckend. Die Profis von der Seabed und die Teilnehmer des Seminars arbeiten Hand in Hand. „Ruf mal‘ einer im Hotel an, dass wir später kommen.“ sagt Keppler. Jeder weiß, was das bedeutet, doch keiner ist sonderlich traurig darüber.
Über der georteten Position wird vorsichtig wieder das ROV zu Wasser gelassen. Atemberaubende Stille herrscht auf dem Schiff. Die Scheinwerfer des Roboters flammen auf. Per Joystick geht es hinab in die Tiefe. Auf dem Monitor ist zunächst nur eine grüne Brühe zu erkennen. Ab 20 m wird es klarer. Das Tiefenzählwerk rast – 20, 30, 40, 50, 60, 65 m – gleich muss das Wrack kommen. Der Roboter verlangsamt seine Fahrt. Fast unmerklich schälen sich die ersten Konturen aus dem Dunkel. Kaum zu glauben, die immer deutlicher werdenden Formen zeigen ein Wrack, das auch erst gestern untergegangen sein könnte, so unglaublich gut scheint es erhalten zu sein. Vorbei an einer alten hölzernen Schubkarre fährt das ROV zum Steuerstand, taucht vorsichtig eine Ladeluke an. Phantastische Momente und unbeschreibliche Szenen spielen sich an Bord ab. Jedes Detail wird bestaunt und begutachtet. „Dies sind die schönsten Momente der Schatzsuche“ meint Klaus Keppler. „Wenn man ’sein‘ Wrack endlich entdeckt, so gibt dies einen Adrenalinstoß, der mit nichts vergleichbar ist.“ Es scheint sich wirklich um die Flora zu handeln – die Länge von ca 27 m wie auch die Aufbauten passen zu dem von uns entdeckten Wrack.
Trotz dieses Erlebnisses heißt es irgendwann jedoch nun wirklich, wieder an Land zurückzukehren. Abends, besser gesagt nachts beim Wein gibt es nur ein Thema: Die Schatzsuche. Dabei wird natürlich auch das Thema „Königin Astrid“ diskutiert. Das Auto, mit dem die Königin 1935 tödlich verunglückte (siehe Kasten), ein „Packard“, liegt immer noch auf dem Grunde des Sees. Auch erzählt Keppler von römischen Galeeren, die im Urnersee in der Nähe von Flüelen liegen sollen. Um dies herauszufinden, müsse man jedoch ein zweites Mal hierher kommen, meint Keppler, wobei dann jedoch auch Archäologen herbeigezogen werden müssten, da dieser Fund von hoher kulturhistorischer Bedeutung sei.
Tauchgang
Danny will sich am nächsten Tag mit seinem Kameraden Hubby die „Flora“ persönlich anschauen. Den ganzen nächsten Morgen hat er das aufwendige Gerödel für den Mischgastauchgang zusammengestellt und noch einem letzten Check unterzogen. Nun steht er hochkonzentriert auf dem Boot. Mittlerweile hat sich der gestrige Fund herumgesprochen. Eine große Menschenmenge verfolgt von Booten aus den Sprung der beiden ins recht kühle Nass. Ein letztes OK-Zeichen und die beiden tauchen am von Klaus Keppler und seinen Schülern gesetzten Bojenseil ab.
Neben den Sicherungstauchern, die die beiden bis auf 20 m begleiten, folgt ihnen das ROV in die Tiefe. An Bord wird der Tauchgang am Monitoren live mitverfolgt. Auf 70 m angekommen, ballt Danny vor der Roboterkamera die „Boris Becker“-Faust vor Freude. Noch nie war ein Mensch an diesem Wrack getaucht und – Keppler hatte die Boje genau auf dem Wrack platziert, was eine luftintensive Suche sparte. Kleine Netzte liegen teilweise auf dem Schiff, Vorsicht ist geboten. Routiniert und gut austariert umkreisen die beiden das Schiff. „Nur kein Sediment aufwirbeln“, ist hier die oberste Devise. Ein kurzer Blick durch ein Kajütfenster in das Dunkel, und weiter geht es zur Ladeluke. Das Steuerrad, das Ruder, alles scheint gerade erst verlassen worden zu sein. Ein gespenstisches Szenario tut sich den beiden auf. Was mag die wirkliche Ursache des Unglücks gewesen zu sein. „Oben“ schaut Klaus Keppler hochkonzentriert auf den Bildschirm. Er findet nun auch eine Erklärung für den Untergang der Flora. „Wie es scheint, ist damals der Schiffsmotor explodiert. Der auseinanderbrechende Motor riss dabei ein Loch in den Schiffsboden, wodurch das Schiff kenterte und sank.
Danny blickt in die ROV-Kamera und bedeutet uns, dass er nun wieder aufsteigt, die 10 Minuten Grundzeit sind vorüber. Zu gern würden die Schüler mit dem ROV noch weiter das Wrack untersuchen, doch der Roboter fungiert hier nunmal als „Sicherungstaucher“. Die Zuschauer an der Wasseroberfläche starren gebannt zur Boje. Jetzt müssten die beiden ja gleich auftauchen. Dannys Freundin Esti sitzt jedoch gelassen im Beiboot. Stichwort Deko, es wird noch einige Zeit vergehen, ehe die beiden wieder das Tageslicht erreichen. Blasen perlen an die Oberfläche, dann endlich erblicken die beide wieder das wärmende Sonnenlicht. „Es ist die Flora“ ruft er uns zu. „Das Schiff ist zwar 1899 gesunken, doch gebaut wurde es um 1810. So eine alte Naue habe ich noch nicht gesehen“ meint er begeistert.
Und die Teilnehmer an der Schulung sind es auch, die an diesem Wochenende nicht nur viel dazu gelernt haben, sondern auch eine echte Schatzsuche miterleben durften.
Wir schreiben den 12. August.1935 – am Vierwaldstättersee in der Schweiz herrschen hochsommerliche Temperaturen. Der Mann am Steuer dirigiert ziemlich rasant seinen Packard, ein Luxusautomobil, die Seestraße entlang von Küssnacht in Richtung Merlischachen. Seine Frau sitzt neben Ihm. Der Chauffeur, der im Fond Platz genommen hat, schaut nervös auf die Straße. Ein harter Schlag erschüttert das Fahrzeug. Der noch eben scherzende Fahrer versucht nun verzweifelt, den Wagen vom Bordstein wieder auf die Straße zu steuern – vergebens. Seine Frau wird aus dem Auto geschleudert – das Fahrzeug stürzt die Böschung in den See hinab. Blutüberströmt, doch nur leicht verletzt schleppt sich der Mann zu seiner bewusstlosen Frau. Der nur ein paar Minuten später eintreffende Arzt schüttelt traurig den Kopf, zu schwer waren die Verletzungen der Frau gewesen.
Einen Tag später: Auf der Weltausstellung in Brüssel verstummen abrupt die Musikkapellen, es herrscht betretenes Schweigen. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet, nach der die Königin Astrid von Belgien bei einem Autounfall tödlich verunglückt sei. König Leopold III von Belgien sowie seine Frau hatten Inkognito ihren Urlaub am Vierwaldstättersee verbracht.
Das Automobil wird geborgen und in einer Garage abgestellt. Davon erhielten natürlich auch die damaligen Medien Kenntnis. So war es nicht weiter verwunderlich, dass innerhalb kürzester Zeit Hunderte von Schaulustigen zu jener Garage pilgerten. König Leopold III setzte diesem Spuk ein Ende und ließ das Vehikel mitten im See versenken. Seitdem gilt das Auto als verschollen.
Dietmar Reimer
Beitrag überarbeitet 12.2017