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OceanCare: Unsere Zauberformel lautet Vision, Beharrlichkeit und Kontinuität

OceanCare-Geschäftsführerin Fabienne McLellan über die Herausforderungen für den Meeresschutz in einer Zeit globaler Krisen.

Wie kommt eine junge Frau, die im Zürcher Oberland geboren wurde, aufs Meer?
Auf einem Surfbrett und in der Gesellschaft von Kleinwalen. Als ich mich vor vielen Jahren auf der Nordseeinsel Sylt auf einem Surfbrett aufs Meer wagte, tauchte zwischen den Wellen eine Gruppe von Schweinswalen auf. Sie kamen ganz nah zu mir, als wollten sie mich willkommen heißen in ihrer Welt – das war ein magischer Moment. Und ich wusste, dass ich mein Leben, meine Arbeit dem Meer und seinen Bewohnern widmen würde. Auch später in Australien, im Rahmen meines Studiums der Umweltwissenschaften, war ich täglich von der Kraft des Meeres fasziniert.

Jetzt haben Sie die Geschäftsführung der Meeresschutz-Organisation OceanCare angetreten. Mit welchen Gefühlen und Strategien übernehmen Sie diese Aufgabe?
Tatsächlich sind beide – das Herz und der Verstand – gefordert, wenn man die Verantwortung für eine Organisation übernehmen darf, deren Fundament in dreissig Jahren mit so viel Sorgfalt und Herzblut von der Gründerin Sigrid Lüber aufgebaut worden ist. Die Aufgabe, dieses visionäre Werk in die Zukunft zu führen, empfinde ich als enormes Privileg, verbunden mit einer großen Verpflichtung.

Sagt das Herz. Und der Kopf muss entscheiden: Welche der vielfältigen Aufgaben im Meeresschutz haben Priorität?
Natürlich sind alle unsere Projekte sehr wichtig. Allen gemeinsam aber ist eine Zauberformel – sie lautet: Vision, Beharrlichkeit und Kontinuität. Wir haben eine klare Landkarte und einen fein eingestellten Kompass, um unsere Ziele zu erreichen. Die Basis unserer Arbeit ist und bleibt die kontinuierliche Forschung: Mitfundierten Expertisen hat OceanCare sich weltweit Respekt verschafft. Unsere Forderungen basieren auf wissenschaftlichen Fakten, und dieser Ansatz bleibt auch in Zukunft in unserem Fokus. Oder die Politik: Auf höchster Ebene haben wir Kontakte zu den Vertretern internationaler Gremien aufgebaut und Vertrauen erworben. Die kontinuierliche Pflege dieser Beziehungen ist besonders wichtig. Wir stehen vor großen Herausforderungen, denen man ein starkes Rückgrat und viel Beharrlichkeit entgegensetzen muss. Da ist der Spirit, der OceanCare ausmacht, sehr hilfreich.

Spirit? Was meinen Sie damit?
Es ist die DNA unserer Organisation. Dabei geht es um den Geist, um Werte und Haltung, um das Zwischenmenschliche – und immer auch um Empathie und Verständnis: Wo kontroverse Positionen verteidigt werden, muss die Chemie stimmen; wo hart und geradlinig in der Sache verhandelt wird, muss man sich auf das Wort verlassen können. Und oft kommt es auch darauf an, was unausgesprochen bleibt. Es kann durchaus hilfreich sein, wenn man einmal die Perspektive der Gegenseite einnimmt. Vertrauen muss täglich neu erworben werden; es ist die Basis einer Reputation, die in langen Jahren aufgebaut wurde und in kurzer Zeit abhandenkommen kann.

Und das in einer Zeit vielfältiger Krisen: Seit zwei Jahren erschüttert die Pandemie die Menschheit. Wirkt sich Corona auch auf den Schutz der Meere aus?
Das Virus hat nebst organisatorischen Herausforderungen auch unsere politische Arbeit beeinträchtigt. Corona hat auf ganz eigene Weise deutlich gemacht, dass die Zukunft für Mensch und Natur an einem seidenen Faden hängt. Und dass der Umweltschutz nach wie vor nicht ganz oben auf der politischen Prioritätenliste steht.

Das müssen Sie erklären.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor wenigen Wochen haben die Corona-Massnahmen dazu geführt, dass der Zugang zum UNO-Gebäude in New York während der Verhandlungen für das erste rechtlich bindende Hochseeabkommen eingeschränkt wurde – eine vorgeschobene, willkürliche Sicherheitsmaßnahme: Während Diplomaten und Repräsentanten der Mitgliedsstaaten sowie Vertreter von zwischenstaatlichen Instanzen wie etwa der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation ungehinderten Zugang hatten, wurde bei der Zivilbevölkerung eine rote Linie gezogen. Nichtregierungsorganisationen durften das Hauptgebäude der UNO während einer von zwei Konferenzwochen nicht betreten.

Auch OceanCare?
Auch OceanCare. In der Wahrnehmung der UNO-Sicherheitsabteilung – unter Druck gewisser Mitgliedstaaten – gelten wir als unbequeme Zeitgenossen, die kritisch hinterfragen. So hat man an uns wohl ein Exempel statuiert. Unsere Proteste gegen diesen Ausschluss, unterstützt von weiteren NGOs, waren so heftig, dass wir in der zweiten Woche wieder zugelassen wurden.

Dabei genießt die Organisation doch den Status als UNO-Sonderberaterin.
Das war auf jeden Fall hilfreich, damit man uns wieder eingelassen hat. Andere NGOs hingegen blieben weiterhin ausgeschlossen. Es war tatsächlich ein demokratischer Präzedenzfall; denn wir repräsentieren einen wesentlichen Teil der Bevölkerung – nämlich all jene, die um das Wohl der Meere besorgt sind.

Zur Pandemie ist auch noch der Krieg in der Ukraine gekommen. Was bedeutet diese neue Katastrophe für OceanCare?
Vor allem fühlen wir mit der ukrainischen Bevölkerung, der unermessliches Leid zugefügt wird. Die Schäden, die auch in der Natur angerichtet werden, sind heute noch gar nicht absehbar. Das Schwarze Meer ist weitgehend vermint, da lauert tausendfacher Tod – für Mensch und Tier. Dieser Krieg ist unfassbar …

… und er verdeutlicht das Machtstreben nationalistischer Autokraten.
Das ist ein globales Phänomen, das uns große Sorgen bereitet. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die Erkenntnis, dass eine bessere Welt nur im gemeinsamen Streben realisierbar ist, zur Gründung der UNO. Heute erkennen wir – etwa, wenn ein Hochseeabkommen ausgehandelt wird – den Trend zum genauen Gegenteil: Man ist immer mehr darauf bedacht, die eigenen Gewässer maximal auszubeuten. Länder wie China oder Russland verfolgen klar eine nationalistische Agenda und hegen Begehrlichkeiten auf Fischgründe und auf Ressourcen am und im Meeresboden, die eigentlich allen gehören und im Interesse der gesamten Menschheit besonders schutzbedürftig sind.

Wie kann OceanCare reagieren?
Mit der Macht politischer Vorstöße und der Kraft überzeugender Argumente: Wir mischen uns ein, erheben die Stimme für den Multilateralismus und gegen den Nationalismus. Wir machen deutlich, dass der Mensch als Teil der Natur nur in einer gesunden Umwelt, umgeben von gesunden Meeren, eine Zukunft hat. Unsere Mission, der Meeresschutz, ist auch die Überlebensstrategie der Menschheit.

Wo sehen Sie dringendsten Handlungsbedarf?
Beim Klima. Aus der Erwärmung ist längst eine veritable Krise geworden. Fassungslos schauen wir zu, wie weltweit die Temperaturen steigen und an den Polkappen das Eis wegschmilzt. In der Antarktis brechen gigantische Eismassen ab und in der Arktis wird spekuliert, wann ein eisfreier Nordpol neue Schiffsrouten eröffnet und Abbaugebiete für fossile Rohstoffe zugänglich macht. Diese Entwicklung müssen wir sehr aufmerksam verfolgen – aber es geht um noch viel mehr …

… worum geht es noch?
Wir sehen den Ozean gerne als Opfer des Klimawandels, als ungelöstes Problem – und vergessen dabei, dass die Lösung ebenfalls im Meer liegt.

Wie meinen Sie das?
Das Meer leidet, weil der Mensch es ausbeutet, zudröhnt, vergiftet und als Müllhalde nutzt. Dabei kann es uns helfen, das Klimaproblem zu lösen, weil es rund einen Drittel des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre absorbiert. Das Meer ist unser wichtigster Verbündeter, wenn wir die Klimakrise in den Griff bekommen wollen.

Das gilt ja auch an Land: Die Bäume in den Wäldern wandeln Kohlenstoff in Sauerstoff um. Der bedrohte Regenwald gilt als die grüne Lunge des Planeten. Genau – und
weil es zwei Lungenflügel zum Atmen braucht, hat die Erde neben der grünen auch eine blaue Lunge. Es ist die hehre Aufgabe auch unserer Organisation, den Organismus Erde am Leben zu erhalten, indem wir die Meere schützen. Mit der Hilfe unserer Unterstützerinnen und Unterstützer. Und mit allen Mitteln.

Fabienne McLellan, 42, aufgewachsen in Egg ZH am Pfannenstiel. Nach dem Studium der Kommunikation an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich liess sie sich als Volontärin bei OceanCare zum Masterstudium für Umwelt und Nachhaltigkeit in Melbourne inspirieren. 2014 kehrte sie zu OceanCare zurück, betreute die Öffentlichkeitsarbeit und wurde 2018 Co-Leiterin im Bereich Internationale Zusammenarbeit. 2022 übernahm sie als Geschäftsführerin die Verantwortung für die Organisation.

Interview: Daniel J. Schüz
OceanCare und Montage UWW

 

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