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Editorial Oktober 2019

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

jetzt habe ich es tatsächlich geschafft, der Redaktion ein paar Tage den Rücken zu kehren, um wieder einmal in Kroatien nach dem Rechten zu schauen. Ein bisschen nur. Nach zwei Jahren. Wenn nicht viel Zeit bleibt, aus welchen Gründen auch immer, ist es gut, mal wieder dort aufzuschlagen, wo man sich nicht umfassend neu orientieren muss. Das spart Zeit und Geld und sicher noch einiges mehr.

Bis zur Südspitze von Istrien sind es von Haustür bis Tauchbasis 580 Kilometer. Es geht nach knapp 100 Kilometern nach Österreich, dann in Kärnten (auch noch Österreich) durch den Karawankentunnnel nach Slowenien und nach der Stadt Koper auf einer kurvenreichen Straße zum Grenzübergang nach Kroatien, um dann die genussvollsten Kilometer auf einer nahezu leeren Autobahn bis nach Pula abzuspulen mit Tempo 110.

Tatsächlich kann ein kurzer, angenehmer Ausstieg aus dem Alltag schon bei der Autofahrt zum richtigen Zeitpunkt beginnen. Dazu gehören ein paar Zutaten: Nachsaison, nicht am Samstag fahren, Videomaut vorab buchen.

Trotzdem bin ich zurückhaltend, immer wieder bestimmte Ziele besuchen zu wollen, die zuvor gut gefielen. Die Zeit bleibt nicht stehen. Veränderung ist Ausdruck des Lebens. Veränderungen müssen sein, manchmal aber auch nicht. Und meisten behalte ich etwas lieber in Erinnerung, ohne den Wunsch zu entwickeln, nach längerer Zeit dort mal wieder hinzureisen. Denn ich weiß aus Erfahrung, dass der Wiedererkennungseffekt oft ausbleibt und das, was die Destination einmal so liebenswert machte, von Beton, Neonreklamen und Kommerz würdelos beerdigt wurde.

Es ist natürlich oft anders, hat sich eine persönliche Beziehung zu den Verantwortlichen einer Destination, einer Tauchbasis, einem Vermieter des Feriendomizils aufgebaut. Dann kommt man zurück zu Freunden und nicht in ein personell austauschbares, gnadenlos gewinnorientiertes Refugium ohne Anspruch auf Generierung von Stammgästen.

Doch persönliche Beziehungen können nicht alles zementieren, was den Reiz der oft besuchten Destination neben dem Tauchen und Wohnen ausmacht. Ein Beispiel, 9 Jahre war die Insel Elba in der Vor- und Nachsaison eine feste Größe für einen Tauchaufenthalt dort. Die Zeit schien stillgestanden zu sein, denn die auf den Massentourismus konzentrierten Lokale und Boutiquen waren zu diesem Zeitpunkt schlicht zugesperrt. Und ein Weihnachtsfest auf der Insel war das Beschaulichste überhaupt.

Nach mehrjähriger Pause ging es wieder nach Elba. Die Enttäuschung war groß, denn der nächtliche Markt der Aussteiger, die auf Tapetentischen fernöstlichen Andenkenschrott unter Petroleumlampen in den Altstadtgassen von Capoliveri feilboten, hatte nun auch den letzten Rückzugsort beschaulicher Lebensart im Inselsommer erreicht. Kleine örtliche Geschäfte und Tavernen mussten Boutiquen weichen, das billig kommerzielle Jahrmarktsgedränge mit lautstark nach Erfüllung blödsinniger Konsumwünsche von Kleinkindern gewürzte Gassenambiente riet zur Flucht.

Seit letztem Jahr erlebt die Insel bei Tauchern eine richtige Renaissance. Sie finden die jetzt anzutreffende Realität als immer schon da gewesen. Und das ist für sie ok. Vielleicht fänden sie es sogar aus ihrer reizüberfluteten täglichen Umgebung kommend als ausgesprochen langweilig, holte sie nicht das belanglose, globalisierte nächtliche Straßenambiente ein. Und ganz wichtig, WLAN, hui, das ist wichtig, und mobile Daten. Ohne, geht ja gar nicht. Schnell den Teller Nudeln in Facebook posten, den Sonnenuntergang in Instagram, alle total neidisch machen. Zuhause oder anderswo. Und mit dem Bildschirm vor Augen durch die Gassen, äh, schlendern? Nein, man muss ja up to date bleiben, was zuhause abläuft. Gaaaanz wichtig. Während man im Schatten uralter Gassen die Umgebung ausblendend Videotelefonate aus dem Handgelenk führt, sich mit den Nebensächlichkeiten in Fulda, Herne, Bielefeld oder Würzburg beschäftigt, tritt das Hier und Jetzt aber sowas von in den Hintergrund, dass die Frage gestattet sei: Warum bist du eigentlich hier? Um dich nach der Reise mit den dramatischen Erzählungen, welche epochalen Staus man erlebt hatte, im Urlaubsranking der Clique nach oben zu punkten? Weil man die An- und Abreise unter Aufbringung der Überlebenskräfte nach Art der Navy Seals so gekonnt meisterte?

In Kroatien, in Banjole, blieb die Zeit immer schon ein bisschen stehen. Noch. Mit zwei Jahren Abstand machen ein paar neue Ferienhäuser auf sich aufmerksam. Die Restaurants und Tavernen gibt es alle noch. Die Tauchbasis ist wie eh und je ein wundervoller Treffpunkt für bestens organisierte Ausfahrten zu den Wracks bis hin zur Baron Gautsch oder Titos Staatsyacht Vis. Das familiäre Basisteam kennt keinen Stress und das färbt auf die Gäste ab, die sich nicht laufend mit einem Smartphone den echten Ausblick versauen, obwohl hier ein besseres Netz ist, als in vielen Regionen Deutschlands.

Wenn es hier etwas zu verbessern gäbe, dann wäre es die Sitzhöhe der Bänke auf dem Tauchschiff. Da wären 15 Zentimeter mehr ein wahrer Luxus, um mit einem Doppelgerät auf dem Rücken bequemer aufstehen zu können. Aber was sind 15 Zentimeter gemessen an all dem wunderbaren, natürlichen Luxus hier rundum?

Herzliche Grüße,

Ihr

Michael Goldschmidt

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