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Editorial Juli 2021

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist nicht einfach, ein Stück weit in ein „normales Leben“ zurückzufinden. Das dauert länger, als das staatlich verordnete Abdrehen des Hahns innerhalb kürzester Zeit. Seit Anfang November 2020 haben wir mit dem Tauchclub keinen Zugang mehr zu unserem Hallenbadtraining im Olympiabad in München.

Während in den Landkreisen die Hallenbäder nun wieder schrittweise geöffnet haben, mit den „zurzeit üblichen Auflagen“, stellt man sich in München stur wie 2020, sie haben nichts dazu gelernt. Dafür dürfen 15.000 Zuschauer zu den EM Spielen in die Münchner Arena, die sich eher weniger um die „Hygieneauflagen“ scheren. Deutlicher kann München nicht die tiefe Kluft deutlich machen, die den Profisport hofiert und  – ich spreche jetzt mal nur von auf Wassersport orientierte Vereine –  denen die Stadt die Türen immer noch nicht aufsperrt. Aussichten? Frag das Orakel in Delphi.

Man muss sich den Irrsinn mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Wassersportvereine hatten 2020 Hygienekonzepte entwickeln und den verantwortlichen zwei Damen in der Bäderverwaltung vorlegen müssen. Während ein „normaler“ Badebetrieb in den Hallenbädern ab Herbst 2020 wieder anlief, blieben die Vereine weiterhin wochenlang außen vor. Schließlich wurden die Konzepte abgenickt und ganze drei Mal konnte dann ein Training stattfinden. Dann wurde wieder der Stecker gezogen.

Und der Stecker liegt nach wie vor neben der Dose. Wieder redet man sich darauf hinaus, dass das Personal der Hallenbäder für die Überwachung der Hygieneregeln in den Freibädern benötigt würde. Das war schon 2020 ein Bauchplatscher, denn die schnell erfundene exklusive Onlinebuchung für einen Freibadeintritt war mehr oder weniger ein Rohrkrepierer. Sich online einen Slot für drei Tage später zu ergattern, egal wie das Wetter wird, ein Unding. Und zurückgeben konnte man die Buchung auch nicht, war nicht vorgesehen. Das Ende vom Lied, kein einziges Freibad erreichte je die maximale und ohnehin extrem reduzierte zugelassene Besucherzahl und das von den Hallenbädern abgezogene Personal musste täglich viel Zeit totschlagen, auch weil viele Buchungen Luftnummern waren.

Der Unfug geht mit kleinen Korrekturen auch 2021 in der Münchner Bäderszene weiter. Personal aus den Hallenbädern abgezogen, aber ein gaaaaanz neues Buchungssystem. Zumindest gedanklich, nicht technisch. Nach Recherchen der SZ verbringen viele Freibadfreunde die halbe Nacht vor ihrem PC, um nach Freigabe der Buchungsslots für drei Tage später ab Mitternacht zu versuchen, für sich, die Familie, ein Ticket zu sichern. Der städtische Server zeigte sich wie schon 2020 völlig überfordert und tillte laufend. Wer das „Glück“ hatte, endlich um 4:00 morgens buchen zu dürfen, brauchte gar nicht mehr  ins Bett zu gehen, der Wecker war schon auf dem Sprung. Jetzt ist zumindest der Buchungsslot ab Vormittag geöffnet, am Endergebnis ändert das aber nichts.

Denn bis Mittag sind die Freibäder nahezu menschenleer, mehr Personal als Schwimmer. Warum? Man kann nur für einen ganzen Tag für sich den Eintritt blockieren, nicht nur für drei Stunden oder einen halben Tag. Nicht genutzte Buchungen können zwar neuerdings zurückgegeben werden, aber was bringt das wirklich? Von dieser Möglichkeit macht man im Fall des Falles schon aus Trotz kaum Gebrauch. Verstehe ich auch wieder.

So ist die Rückkehr in die sportliche Realität für uns – hier als engagierte Apnoetaucher – wirklich nicht einfach. Statt wenigstens einem wöchentlichen Training gab es über ½ Jahr in die Saison 2021 gar keine Möglichkeiten, in 2020 wurden uns 2x 39 Wochentermine (Mitgliedschaft in zwei Tauchclubs) genommen. Eine Katastrophe, die den Profifußball natürlich nicht tangiert. Und die Stadt München auch nicht.

Und gäbe es nicht kleine Nischen, die ich in den letzten Jahren aufgetan habe, hätten wir nach wie vor keine Möglichkeit im kleinsten Stil in einem Freibad Statik, Strecke und anderes mit angehaltenem Atem zu trainieren. Heute war erst unser 9. Trainingstag, am 26. Juni 2021, und es ist nicht einfach, an die Kondition von 2019 anzuknüpfen. Das klappt langsam, aber war dieser wassersportliche Stillstand wirklich nötig?

Die Antwort ist einfach: Wenn ein Kanzlerkandidat nicht weiß, wieviel ein Liter Benzin kostet – öffentlich von ihm festgestellt – dann ist doch alles gesagt. Da ist die Verbindung zu uns ganz da unten schon lange nicht mehr vorhanden. Obwohl ich das nicht erst gestern realisiert habe, es macht mich immer noch wütend.

Passen Sie auf sich auf, das sage ich nach dem Erlebnis einer unglaublich zerstörerischen Gewitterzelle am 22. Juni über dem Haus. Der Garten wurde zerbombt, kaum noch ein Blatt auf den vielen unterschiedlichen Büschen (unser kleiner botanischer Garten), Lichtkugeln zerlegt, die Figur eines chinesischen Kriegers geköpft, ein Buddha massakriert, aber viel, viel schlimmer, 17 Spatzen unserer freilebenden Vogelkolonie wurden erschlagen von Hagelkörnern, größer als sie selbst. Sie hatten unter ihrem Lieblingsbusch Zuflucht gesucht. Sie waren chancenlos.

 

Mit nachdenklichen Grüßen

Michael Goldschmidt

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